Oberhausen. Ein Dutzend Bäume mussten für den Bau von Wohnungen und einer Kita fallen. Ein Anwohner ist sauer auf die Stadt, doch die verteidigt sich.
Dieter Piontek ist kein Grünen-Politiker und kein Klima-Aktivist. Aber er hat von klein auf gelernt, wie wertvoll die Natur ist. Der Vater hatte das Gärtnern als Beruf, er selbst nennt es sein liebstes Hobby. Kein Wunder, dass ihn das, was er in den vergangenen Monaten gleich gegenüber seines Hauses in der Straße Lickenberg in Alstaden mit ansehen musste, zur Weißglut gebracht hat: Seit dem Abriss der Ruhrschule wird dort ein Gelände neu bebaut. Eine Kita und Wohnungen entstehen. Doch warum, fragt Dieter Piontek, mussten für dieses Bauvorhaben so viele Bäume sterben? Nicht nur dem neuen Besitzer und Bauherrn macht der Rentner schwere Vorwürfe, besonders wütend ist er auf die Stadt.
Von Anfang an hat der Ingenieur für Verfahrenstechnik das Bauvorhaben in seiner Straße aufmerksam beobachtet. Das Schulgelände sei schließlich mit etwa einem Dutzend großer alter Bäume bewachsen – „ein kleiner Wald, mitten in der Stadt“. Bei einer Infoveranstaltung für Bürger habe es Zeichnungen gegeben, erinnert er sich. „Dort waren auch Bäume zu sehen.“ Auf der Homepage des Bochumer Investors Nagel Consult ebenfalls. Doch dann sei alles anders gekommen, sagt Dieter Piontek. Es folgte „eine Fällung in vier Akten“.
Eine Fällung in vier Akten
Begonnen habe es im Mai 2020. Die hinteren Gebäude wurden abgerissen und alle Bäume, die direkt im Bereich der späteren Baugrube standen, wurden gefällt. Das habe er nicht anders erwartet, sagt Piontek, der das alles von seinem Geburtshaus aus, das auch das Geburtshaus seines Vaters war und von seinem Großvater 1889 erbaut wurde, mit großem Interesse verfolgte. Nach dem Ende der Abrissarbeiten im Juli 2020 sah er, wie die Arbeiter den Bauschutt sortierten und wegschafften. Dabei schränkten wohl einige Bäume die Beweglichkeit des Baggers ein. „Ich hab fast geheult, wenn ich gesehen habe, wie die Baggerfahrer mannsdicke Äste einfach abgebrochen haben, nur weil sie ihnen im Weg standen“, erzählt Piontek. Er habe sich über das rabiate Vorgehen bei der Stadt beschwert. „14 Tage später wurden die Bäume gefällt. Im August. Wie kann man nur genehmigen, im August einen Baum zu fällen?“
Weiter ging es im April 2021: Nach Abriss der Gebäude an der Straßenfront wurden zwei Straßenbäume gefällt. „Eine Linde war hundert Jahre alt und wunderschön“, erinnert sich Dieter Piontek. „Man hätte die Bäume doch einhausen können, zum Schutz“, sagt er. Er fragt bei der Abteilung für Baumschutz nach, erhält im Juni 2021 die Auskunft, dass weitere Fällungen nicht beantragt seien.
Das letzte Kapitel notiert Piontek vier Monate später in seinen Aufzeichnungen: Im Oktober 2021 werden die letzten vier Bäume am südlichen Grundstücksrand gefällt. „Der Grund war, dass bei der – vergessenen – Stromversorgung kein anderer Weg für den Kabelzug gefunden werden konnte. Und das bei einer Länge der Straßenfront von fünfzig bis sechzig Metern.“ Nur einer der vielen Missstände, die es nach Dieter Pionteks Ansicht auf dieser Baustelle gegeben habe. „Die Stadt hat dem Investor hier freie Hand gelassen“, schimpft er. Und: „Wofür brauchen wir eine Baumschutz-Abteilung, wenn Bäume einfach so umgenietet werden können?“
Bäume oder Kita: (k)eine schwierige Abwägung
Bei der Stadt sind Dieter Pionteks Beschwerden längst bekannt. In mehreren E-Mails, die auch unserer Redaktion vorliegen, hat er sich an die zuständigen Stellen gewandt und auch stets eine Antwort erhalten. Ihm wurde erklärt, warum es Sondergenehmigungen gegeben hat und dass Neupflanzungen geplant sind. Das Projekt scheint bedeutsam zu sein. Auf Nachfrage unserer Redaktion nimmt Stadtentwicklungs-Dezernent Ralf Güldenzopf persönlich Stellung.
Baumschutzsatzung wurde gelockert
In einer wichtigen Entscheidung des Rates der Stadt Oberhausen ging es Ende 2021 um den Baumschutz. Selbst ein Einsatz von Grünen-Ikone Bärbel Höhn konnte nicht verhindern, dass die seit 25 Jahren geltende Baumschutzsatzung gelockert wurde.Nicht mehr geschützt, also ohne Antrag fällbar, sind künftig Birken, Pappeln, Nadelbäume (mit Ausnahme von Eiben und Ginkgos, Obstbäume (mit Ausnahme von Walnuss und Esskastanie) sowie abgestorbene Bäume. Stehen Bäume näher als drei Meter an Gebäuden, dürfen sie ebenfalls ohne Antrag gefällt werden. Erlaubt die Stadt die Fällung eines geschützten Baumes, muss ein Ersatzbaum gepflanzt werden; ab einem Umfang von 1,50 Meter (bisher: 1,2 Meter) sogar zwei.
Zwei Dinge seien wichtig, wenn es um das etwa 1500 Quadratmeter große Gelände gehe, erklärt Güldenzopf. Ökologisch betrachtet werde durch den Abriss der alten Ruhrschule und den Bau eines Kindergartens mit Rasenfläche ein Teil der Fläche entsiegelt. „Dadurch kann Regenwasser besser versickern und es bilden sich weniger Hitzeinseln. Das ist definitiv ein dickes Plus.“ Im Rückblick werde sich in einigen Jahren bestimmt sagen lassen, dass dies die beste Lösung gewesen ist.
Der zweite Punkt seien die sozialen Belange der Stadt. „Kitaplätze sind wichtig“, sagt Ralf Güldenzopf. „Es tut weh, wenn Bäume gefällt werden. Aber wir müssen immer abwägen.“ Selbstverständlich sei trotz allem bei der Planung und Genehmigung darauf geachtet worden, ob die Bäume nicht erhalten werden konnten. „Da sind wir als Verwaltung in den letzten Jahren auch sensibler geworden“, sagt Güldenzopf. Der Bauherr sei in diesem Fall zu mehreren Neupflanzungen verpflichtet worden, viel mehr an der Zahl als gefällt worden sind. Zudem erhalte die Kita ein begrüntes Dach. Ein wahrscheinlich schwacher Trost für Dieter Piontek, den Baumfreund.
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