Oberhausen. Was bedeutet „Abwasserfreiheit“? Wie sauber ist die renaturierte künftige Emscher wirklich? Eine Leserin möchte das ganz genau wissen.
Wie sauber ist die neue Emscher wirklich? Diese Frage stellt Leserin Melanie Bergmann mit Blick auf unseren jüngsten Bericht: „1. Januar 2022 schreibt Geschichte: Die Emscher ist abwasserfrei!“
Die Leserin formuliert: „Ist die Emscher nun wirklich 100 Prozent abwasserfrei?“ Und sie erläutert auch sogleich, welche Formulierung sie zu dieser kritischen Nachfrage veranlasst: „In diesem Artikel steht, dass in der Emscher kein ,klärpflichtiges’ Abwasser mehr fließt. Ich lese da einen kleinen, aber eventuell nicht ganz unwichtigen Unterschied heraus. Wäre schön, wenn Ihre Redaktion das klären könnte.“
Ist die zum Jahreswechsel in der gesamten Region bejubelte „Abwasserfreiheit“ der Emscher also eher ein Etikettenschwindel? Die Redaktion fragte bei Ilias Abawi, Sprecher der Emschergenossenschaft, nach. Er begleitet als Öffentlichkeitsarbeiter seit vielen Jahren den milliardenteuren Umbau des Emschersystems, der ja schon in den 1990-er Jahren begonnen hat.
„Kein ungeklärtes Abwasser“
„In die Emscher wird seit Jahreswechsel kein ungeklärtes Abwasser mehr eingeleitet“, unterstreicht Ilias Abawi mit Blick auf die kritische Nachfrage der Leserin. Zuvor sei ja über rund 170 Jahre eben diese Einleitung des ungeklärten Abwassers das große Problem gewesen – mit all jenen negativen Begleiterscheinungen, die zum Beispiel schon der Autor Hubert Kurowski in seinem 1993 erschienenen Buch „Die Emscher“ skizziert hat: So breitete sich im Jahr 1901 eine verheerende Typhusepidemie in der Region aus. Hubert Kurowski schreibt: „Eine in Gelsenkirchen durchgeführte Untersuchung ergab, dass fast 50 Prozent der erkrankten und 300 gestorbenen Personen im Überschwemmungsgebiet der Emscher lebten.“
Doch zurück ins 21. Jahrhundert: Was bedeutet nun „Abwasserfreiheit“ ganz genau? Es bedeutet nicht, dass die Emscher mit Abwässern ab sofort überhaupt nichts mehr zu tun hat. „Gereinigtes Abwasser aus unseren Kläranlagen wird weiterhin in die Emscher eingeleitet, da es ja sauber ist“, erklärt Ilias Abawi. Ebenfalls werde in die Emscher – genauso wie in andere Flüsse – das so genannte „nicht-klärpflichtige Abwasser“ eingeleitet. Es stamme aus den vielen Regenwasser-Behandlungsanlagen in der Region.
Emscher um 1900: Typhus, Ruhr und Malaria
Im frühen 20. Jahrhundert hatte die Verschmutzung der Emscher verheerende Folgen für die Region.
Von einer „anhaltenden Typhus-, Ruhr- und Malariagefahr“ warnten Zechengesellschaften, deren Grundeigentum im Überschwemmungsgebiet der Emscher lag.
Sie erwogen deshalb sogar, für das Abteufen ihrer Schächte auf andere Standorte auszuweichen.
Dieses Abwasser sei nach heftigem Starkregen aufgrund des großen Anteils darin enthaltenen sauberen Regenwassers „jedoch so stark verdünnt, dass es nicht über den Abwasserkanal Emscher (AKE) in die Kläranlage transportiert werden muss“, sagt Ilias Abawi.
Es sei aus seiner Sicht wichtig, so der Sprecher der Emschergenossenschaft weiter, darauf hinzuweisen, dass dies kein spezielles Emscher-Phänomen sei, „sondern der aktuelle Stand der Technik, der übrigens gesetzlich klar geregelt und gefordert ist“. Genauso werde der Starkregen-Abfluss auch an anderen Flüssen in der Bundesrepublik gehandhabt.