Oberhausen / Düsseldorf. Beständig aktuell: In der Kunsthalle Düsseldorf verbünden sich 80 hochkarätige Werke von Sigmar Polke mit Kreationen von acht jüngeren Künstlern.

Staatstragenden Ernst oder gekünstelte Denkerposen muss man von diesem Meister der Malerei nicht befürchten. Das zeigt in der Kunsthalle Düsseldorf gleich im Entree ein großformatiges Foto des Künstler-Porträtisten Manfred Leve: Man sieht Sigmar Polke, der sich einen geschliffenen Stein vors rechte Auge hält, als wär’s ein altmodisches Monokel.

Damit verweist die zentrale Figur der Ausstellung „Produktive Bildstörung“ spielerisch auf eine große Tradition: Pulverisierte Halbedelsteine lieferten einst die Farben für kostbare Tafelbilder – und mit Lapislazuli plus Harz auf Leinwand experimentierte auch Sigmar Polke (1941 bis 2010). Dank der Begegnung von Polkes Werken mit Positionen ein oder zwei Generationen jüngerer Künstler hat die Anna Polke Stiftung ein Fest des künstlerischen Forschergeistes ausgerichtet. Um einen Monat verlängert, ist es noch bis zum 6. März in drei der vier großen Säle der Kunsthalle am Rande der Düsseldorfer Altstadt zu erleben.

„Alchimist“ auf der Höhe seiner Zeit – und unserer Gegenwart

Die „Produktive Bildstörung“ ist zugleich der erste große öffentliche Auftritt der 2018 von Anna Polke gegründeten Stiftung, die vor allem die kunsthistorische Forschung zum vielfältigen Oeuvre von Sigmar Polke weiterbringen will. Eine Jubiläums-Ausstellung mit zentralen Werken Polkes und aktueller Kunst acht jüngerer Geistesverwandter scheint zunächst ein gewagter Coup – schließlich hat die Stiftung keinen eigenen Kunstbesitz. Doch Anna Polke, seit der Ära von Klaus Weise dem Oberhausener Theater-Ensemble fest verbunden, konnte voll und ganz auf ihre jungen Kuratorinnen vertrauen: Nelly Gawellek und Kathrin Barutzki sorgten für eine anregende Augenfreude, die im Vergleich immer wieder frappierend deutlich macht, dass der „Alchimist“ Sigmar Polke nicht nur auf der Höhe seiner Zeit war – sondern tief in die Gegenwartskunst weiterwirkt.

Der liebenswürdige Ironiker Sigmar Polke benannte die Werkreihe von 1996 in der Mitte dieses Raums „Hopp“, „Topp“ und „Flopp“. Links die eigens für die „Produktive Bildstörung“ kreierten Gemälde von Camille Henrot.
Der liebenswürdige Ironiker Sigmar Polke benannte die Werkreihe von 1996 in der Mitte dieses Raums „Hopp“, „Topp“ und „Flopp“. Links die eigens für die „Produktive Bildstörung“ kreierten Gemälde von Camille Henrot. © Kunsthalle Düsseldorf | Katja Illner

Man nehme nur den auch von Anna Polke als „entzückend“ geschätzten Schweizer Raphael Hefti: Seine „Polycrystals“ aus den in strahlenden Farben oxidierenden Bismut-Kristallen korrespondieren aufs Trefflichste mit Sigmar Polkes „Goldenem Spiegel“: die Künstler als Chemiker.

Die eigenwillige und nicht gänzlich kontrollierbare Magie verlaufender Farben und Formen erforschte Polke aber auch mit so vermeintlich banalen Utensilien wie dem Fotokopierer: „Der Teufel von Berlin“ schwingt die Peitsche als klassischer Holzschnitt-Dämon in Cape und Federhut – wirkt aber erst so richtig teuflisch dank der vom Kopierer angerichteten Verzerrungen. Raphael Hefti dagegen darf mit drei himmelhohen Bannern in lodernden Rottönen den höchsten Raum der Kunsthalle beanspruchen: „Lycopodium“ heißt diese Serie, eine Versuchsreihe mit den leicht brennbaren Sporen der Moospflanze.

Tochter und Stifterin: Anna Polke kennen viele Oberhausener als Schauspielerin im Ensemble des Theaters.
Tochter und Stifterin: Anna Polke kennen viele Oberhausener als Schauspielerin im Ensemble des Theaters. © FUNKE FotoServices | Gerd Wallhorn

Das größte Polke-Format stammt aus NRW-Landesbesitz und ist eines jener Werke, die Kunsthallen-Direktor Gregor Jansen „zum Niederknien“ nennt: Auf „Primavera“ blickt man dem nackten Landmann am Pflug auf stramme Pobacken. Daneben vereint die junge Avery Singer mit dem Porträt einer Absinth-Trinkerin virtuose Lichtführung wie auf alten Hollywood-Stills mit kantigem Neo-Kubismus. Ihre Gemälde plant sie en detail am PC, um sie dann mit Schablonen auf die Leinwand zu bringen.

Gehackte Satelliten-Videos und Grenzzäune

Die in Berlin und New York lebende Pariserin Camille Henrot schuf eigens für die „Produktive Bildstörung“ eine Werkreihe, inspiriert von Polkes Spiel mit optischen Täuschungen: „Do’s and Dont’s“ vereint Unvereinbares, zitiert ein altbackenes Benimm-Büchlein für höhere Töchter, zeigt felllose Katzen und groteske Krieger. Der Erfinder des „Kapitalistischen Realismus“ wäre wohl fasziniert von dieser speziellen Hommage.

Anna Polke im Workshop und Ausstellungs-Talk

Die Kunsthalle am Grabbeplatz in Düsseldorf zeigt die von der Anna Polke Stiftung kuratierte Ausstellung „Produktive Bildstörung“ noch bis zum 6. März. Der Eintritt kostet 6 Euro, ermäßigt und für Gruppen 3 Euro, Anmeldung für Führungen und Workshops unter bildung@kunsthalle-duesseldorf.deDie Stifterin Anna Polke ist bei zwei Terminen im Januar präsent: „Studio K“ ist ein interkultureller Workshop für Kinder von 6 bis 13 Jahren am Freitag, 21., um 14.30 Uhr. Im Talk am Freitag, 28., um 18 Uhr spricht Anna Polke über ihren Vater und die Venedig-Biennale.Der zweisprachige Katalog zur Ausstellung erscheint im Distanz-Verlag, Berlin, 224 Seiten stark mit zahlreichen Farbabbildungen im Softcover, ISBN 978-3-95476-425-9. Er kostet in der Ausstellung 30 Euro, im Buchhandel 38 Euro.

Mit Trevor Paglen zeigt die Ausstellung einen Film- und Foto-Künstler, dessen Werke bereits bis an den Rand des Weltalls vordrangen. Sein Video „Drone Vision“ von 2010 basiert auf den gehackten Bildern eines Kommunikationssatelliten: Der Betrachter verfolgt beklommen, wie jene Daten en masse fressenden Maschinen die Ziele für Luftangriffe auswählen. Das sei nun aber ganz weit weg von Sigmar Polkes freundlichen Experimenten? Auch der Maler war, zumindest gelegentlich, ein profunder Zeitkritiker: Sein Gemälde von schwarzen Schemen am martialischen Zaun der US-mexikanischen Grenze stammt von 1984 – und könnte die Ereignisse des letzten Sommers spiegeln. Kaum ein Künstler ist so beständig aktuell wie Sigmar Polke.