Oberhausen. . Die kleine „Anna“-Ausstellung erzählt von früher weiblicher Belesenheit. Erneut kooperiert die Ludwiggalerie mit dem Suermondt-Ludwig-Museum.

Das in der Mitte des Mittelalters noch unbekannte Bild-Sujet bewirbt ein neues Ideal von Gelehrsamkeit – und macht deutlich: Weibliche Bildung war im 15. Jahrhundert keineswegs ein Widerspruch in sich. „Gehobene Kreise hatten alle ihre Stundenbücher“, betont Dr. Dagmar Preising. Die Kuratorin des Aachener Suermondt-Ludwig-Museums gestaltete jene Ein-Raum-Ausstellung „Anna lehrt Maria das Lesen“, die jetzt in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen einen aparten Kontrast bildet zum bunten Motiv-Mix der British Pop Art.

Gebildete Frauen des ausgehenden Mittelalters also: Es waren nicht nur Nonnen in klösterlicher Weltabgewandtheit, sondern auch die Frauen der Kaufleute sowie adelige Damen. Sie alle durften in der Gottesmutter Maria ein Vorbild sehen, die als Mädchen von ihrer Mutter Anna unterrichtet wurde. Eine französische Kalksteinskulptur um 1450 mit gut erhaltener Bemalung ist der Blickfang in diesem Kabinett, das mit Albrecht Dürers „Marienleben“- Kupferstichen eröffnet und mit einer barocken Elfenbein-Miniatur aus Goa, der portugiesischen Kolonie in Indien, abschließt.

Als Mutter Mariens komplett ignoriert

Aus Weidenholz schnitzte ein fränkischer Meister um 1500 diese „Büste der Anna selbdritt“.
Aus Weidenholz schnitzte ein fränkischer Meister um 1500 diese „Büste der Anna selbdritt“. © Anne Gold

In der Bibel allerdings wird Anna als Mutter Mariens komplett ignoriert – und ihre Tochter erscheint erst mit der Verkündigung durch den Erzengel Gabriel – also als junge Frau. Dagmar Preising nennt die mittelalterliche Schrift „Legenda aurea“ als Quelle des Annenkults: Darin heißt es, das dreijährige Mädchen Maria sei im Tempel „von Priestern und Engeln“ erzogen worden – nicht von ihrer Mutter Anna. Denn die war den frühen christlichen Autoritäten ohnehin suspekt: eine Frau, die erst im hohen Alter Mutter wird – und sich der Legende nach auch noch dreimal verheiratet.

Blick aufs Alltagsleben der Renaissance: die anonyme Kopie einer Arbeit von Raffael.
Blick aufs Alltagsleben der Renaissance: die anonyme Kopie einer Arbeit von Raffael. © Anne Gold

Dass Maria eine belesene Frau war, galt zumal den Kirchenkünstlern als gesichertes Wissen: Etliche Verkündigungsszenen zeigen sie lesend, mit einem Buch in der Hand, im Schoß oder auf einem Pult vor sich. Die Karriere des „Unterweisungs“-Motivs in kostbaren Buchmalereien und später in Stein- und Holzplastiken verfolgte die Kuratorin von England nach Frankreich. In Deutschland schnitzte man lieber die „Anna selbdritt“, also drei Generationen der heiligen Familie: Anna hält Maria als Kind, aber auch den gerade geborenen Jesus.

Es sind – zumal bei dem Spitzenwerk der Ausstellung – still-würdevolle Szenen: Mutter und Tochter tragen kostbar gefältelte Gewänder; die kleine Maria ist aufwendig frisiert und trägt bereits ihre Krone der Himmelskönigin. Wer dagegen ganz unvermittelt aufs Alltagsleben der Renaissance blicken möchte, der verweile vor einer anonymen Raffael-Kopie. Fast fotografisch direkt bannte das junge Genie aus Urbino den Moment mit der lesenden Mama und ihrem Kind, das – statt aufs Buch – lieber zum Betrachter blickt.

>>> Katalog, Vortrag und Führungen

Zu sehen ist die Ein-Raum-Ausstellung „Anna lehrt Maria das Lesen“ im Hauptgebäude des Schlosses Oberhausen vom 10. Februar bis 12. Mai, parallel zur „British Pop Art“.

Der Eintritt für beide Ausstellungen kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro. Der Katalog mit 128 Seiten, verlegt bei Kerber, kostet 29,80 Euro.

Einen Vortrag „Woher konnte Maria lesen?“ hält die Katalog-Autorin Dagmar Preising am Samstag, 16. März, um 15 Uhr. Führungen mit Christine Vogt gibt’s am 17. März und 5. Mai, jeweils um 16 Uhr.