Oberhausen. Wie kann es sein, dass die Fälle häuslicher Gewalt laut Polizei gerade stark sinken? Gleichstellungsbeauftragte Britta Costecki bleibt skeptisch.
Die Corona-Pandemie wird auch als Krise der Frauen bezeichnet – nicht nur, weil sie durch Kinderbetreuung und Homeschooling viel stärker belastet waren als Männer und deshalb auch oft keiner Erwerbsarbeit nachgehen konnten, sondern weil sie auch vermehrt häuslicher Gewalt ausgesetzt waren. Auch der Gleichstellungsausschuss hat sich erneut dieses Themas angenommen. Nachdem in der vorherigen Sitzung Britta Costecki, die städtische Gleichstellungsbeauftragte, über Fallzahlen berichtet hatte, war nun Andre Matzat, Opferschutzbeauftragter der Polizei, zu Gast. Und präsentierte aktuelle Entwicklungen, die nicht nur ihn verblüffen.
Kriminalhauptkommissar Matzat kam auf Wunsch der CDU-Fraktion in den Ausschuss. Er erläuterte die Arbeit der Polizei und wie die Beamten während ihrer Ausbildung und darüber hinaus immer wieder für das Thema häusliche Gewalt sensibilisiert werden. Für die vergangenen acht Monate dieses Jahres mache er einen „erstaunlichen Rückgang“ der gemeldeten Fälle aus, berichtete er unserer Redaktion im Vorfeld der Sitzung. Bereits 2020, im Pandemiejahr schlechthin, habe es keinen großen Anstieg gegeben, vielmehr hätten sich die Einsatzzahlen der Polizei mit 369 Fällen wieder auf das Niveau der Jahre 2011 bis 2018 „normalisiert“, 2019 hätte es mit 487 Fällen einen Ausreißer gegeben.
Gesunkene Zahlen: Grund zur Freude – oder Skepsis?
„Wir haben immer ein Dunkelfeld“, sagt Andre Matzat zu den aktuell niedrigen Zahlen, aber warum es sich so sehr vergrößert haben sollte, sei nicht zu erklären. Er glaube eher an einen echten Rückgang – „wobei man natürlich noch abwarten muss, was die dunklere Jahreszeit bringt, wenn die Menschen viel länger eng beieinander hocken“.
Britta Costecki bleibt skeptisch. „Wenn die Zahlen wirklich gesunken sein sollten, könnten wir ja die Sektkorken knallen lassen“, sagt sie. Vielleicht hätten ja auch die enormen Bemühungen in der Stadt um diese gefährdetet Gruppe und dass das Thema seit Beginn der Pandemie auf der Tagesordnung des Krisenstabs gestanden habe, etwas genützt – „aber das glaube ich nicht.“ Sie verweist auf eine andere Statistik: Demnach sind die Beratungen in der Oberhausener Frauenberatungsstelle von 313 Klientinnen und 835 stattgefundene Termine in 2019 auf 373 Klientinnen und 1227 stattgefundene Termine in 2020 um 30 Prozent gestiegen. Auch gab es 2020 mit 78 Faxen von der Polizei nach Vorfällen häuslicher Gewalt 32 Prozent mehr solcher Meldungen als im Vorjahr.
Volle Frauenhäuser und vermehrte Hilferufe deutschlandweit
Costeckis Zahlenmaterial deckt sich mit deutschlandweiten Erkenntnissen. So teilt das Bundesministerium für Frauen mit, dass das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ im Jahr 2020 51.407 Beratungen durchführte, was einem Anstieg von 15 Prozent im Vergleich zu 2019 entspricht. Dabei seien die Anfragen zu häuslicher Gewalt überproportional gestiegen. „Die Frauenhäuser waren voll“, berichtet auch Britta Costecki, „es mussten sogar zusätzliche Notunterkünfte gefunden werden.“ Die Zahlen in der Polizeistatistik mögen nicht durch die Decke gegangen sein, konstatiert sie, „aber die Mitarbeiterinnen in den Einrichtungen sagen etwas anderes.“ Die einzige Erklärung für sie: Die Fälle sind – noch – nicht sichtbar, schließlich sei in den ganz schlimmen Phasen der Pandemie „die soziale Kontrolle absolut zusammengebrochen“.
In der größten Not, während der Shutdowns und Lockdowns, seien sie deshalb auch an Apotheken herangetreten, als einen der wenigen noch öffentlichen Räume, und hätten dort sensibilisiert für Fälle, die auf häusliche Gewalt deuten könnten. Costecki: „Wer mit einer Verletzung nicht zum Arzt gehen möchte, der geht erstmal in die Apotheke, zur Selbstversorgung.“ Auch mit der Polizei, insbesondere bei der Sensibilisierung neuer Kräfte, stehe die Frauenberatungsstelle in engem Kontakt.
Kaum Angebote in der Region für die Arbeit mit Tätern
Die Pandemie mag überwunden werden, die Gewalt gegen Frauen wird es auch danach noch geben, weshalb Britta Costecki ausdrücklich auf die Bedeutung der Prävention hinweist. Die Arbeit mit jungen Mädchen sei wichtig, auch die mit Jungs in Projekten, die in der Corona-Zeit zum Erliegen gekommen seien. Doch auch die Täterarbeit müsse angegangen werden, „das Aufarbeiten der Gewaltausübung“, sagt Costecki. In der Region seien Angebote rar gesät, weshalb die Gleichstellungsstelle sich beim Land NRW als möglicher Kooperationspartner in Stellung gebracht hätte. „Wir haben auch schon einen Träger, mit dem wir das machen würden“, sagt Costecki, möchte diesen jedoch noch nicht nennen, bevor die Finanzierung zugesichert wurde.
Und die Planungen gehen noch einen Schritt weiter. Neben Angeboten für verurteilte Täter soll es auch Kurse in Oberhausen geben für Männer, die gar nicht erst gewalttätig geworden sind. Für jene, die merken, dass sie davon betroffen sind und etwas dagegen unternehmen wollen. „Mit denen müssen wir arbeiten“, sagt Britta Costecki, „um Gewaltsituationen erst gar nicht aufkommen zu lassen.“ Doch sie macht sich keine Illusionen: Ohne Geld vom Land müssten dies kühne Pläne bleiben.
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