Oberhausen. Der Unterrichtsausfall im letzten Schuljahr macht sich bemerkbar: Welche gravierenden Mängel Lehrer und Ärzte an den Kindern beobachtet haben.

Das neue Schuljahr in Oberhausen hat begonnen – endlich ohne Wechselunterricht und Homeschooling. Eigentlich ein Grund zur Freude, doch bereits seit Monaten schlagen Kinderärzte und Pädagogen Alarm: Die Folgen der Corona-Pandemie und der ausgefallene Unterricht haben bei den Schülerinnen und Schülern Spuren hinterlassen. Auch Susanne Amrehn, Direktorin der Steinbrinkschule und Sprecherin aller Grundschulen in Oberhausen, hat bereits vor den Sommerferien erschreckende Beobachtungen gemacht, die sich auch auf das neue Schuljahr auswirken werden.

„Als kurz vor den Ferien wieder alle Schüler in die Schule kamen, haben wir uns wirklich umgeguckt“, erzählt sie. „Einige Kinder haben deutlich zugenommen, andere sind extrem dürr geworden.“ Doch dabei hört es nicht auf. Auch die motorischen Fähigkeiten der Kinder seien in schlechtem Zustand. „Wir haben viel mehr Unfälle auf dem Schulhof“, berichtet Susanne Amrehn. „Die Kinder laufen unkontrolliert ineinander, stolpern über ihre eigenen Füße und stürzen. Eine Menge der Körpererfahrungen, die sie vor Corona gesammelt hatten, scheinen verloren gegangen zu sein.“

Grundschulen wollen mit Bewegung gegen die Mängel der Kinder ankämpfen

Grund dafür sei, dass Grundschulkinder mitten in ihrer körperlichen Entwicklung stecken, aber durch Lockdown und Schulausfall kaum noch vor der Tür gewesen sind. Das hatte auch die Obfrau der Kinderärzte in Oberhausen, Dr. Christa Langen, bei ihren jungen Patienten erkannt und plädierte bereits, besonders ärmere Schülerinnen und Schüler großzügig die ersten und zweiten Klassen wiederholen zu lassen.

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Für das neue Schuljahr steht für die Direktorin fest: „Die Bewegung steht im Vordergrund.“ Im Rahmen eines Projekts sollen nun alle Kinder einmal am Tag unter Aufsicht der Lehrer 15 Minuten lang über den Schulhof rennen. „Das wird erst einmal natürlich nicht klappen, aber wir wollen, dass die Kinder ihre Kondition trainieren können.“ Langfristig sei Bewegung ein Konzept, das fest in den Unterricht eingebunden werden müsse. „Die Kinder brauchen frische Luft. Und das dringend.“

Auch die Psyche der Kinder habe deutlich gelitten – die Schulsozialarbeit werde deshalb noch weiter in den Fokus rücken, glaubt die Schulleiterin. „Wir haben Kinder an unserer Schule, die Ängste entwickelt haben, sich im Klassenraum nicht mehr konzentrieren können oder weinend auf dem Schulhof stehen, weil sie sich nicht von ihrer Familie trennen wollen“, schildert Amrehn die Situation.

Enge Zusammenarbeit mit Jugendamt und Kinderärzten geplant

Andere Kinder würden sich bei jeder bietenden Gelegenheit die Hände waschen, ein zwanghaftes Verhalten könnte sich daraus entwickeln. „Wir werden eng mit der schulpsychologischen Beratung der Stadt, dem Jugendamt und den Kinderärzten zusammenarbeiten. Wir können dieses Verhalten zwar beobachten, aber die betroffenen Familien müssen sich weitergehende Hilfe suchen.“ An der Steinbrinkschule sind derzeit zwei halbe Stellen für die Schulsozialarbeit besetzt, die Fachkräfte besuchen schon jetzt die Eltern zu Hause, um beratend tätig zu werden. „Kein Kind, das solche Ängste entwickelt hat, kann sich konzentrieren und lernen. Da bringt auch der schönste Unterricht nichts.“

430 Millionen Euro für NRW

Die Landesregierung stellt mit Unterstützung des Bundes den Schulen für 2021 und 2022 430 Millionen Euro zur Verfügung. Beim Programm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ werden Schulen darin unterstützt, die Folgen der Pandemie so gut wie möglich aufzuarbeiten und auszugleichen.

Bereits Anfang März 2021 hatte NRW das Programm „Extra-Zeit zum Lernen in NRW“ ins Leben gerufen, das nun ins Gesamtkonzept „Ankommen und aufholen“ eingefügt wurde. Durch die drei Bausteine „Extra-Geld“, „Extra-Personal“ und „Extra-Blick“ sollen die Schüler unterstützt werden, Lernrückstande aufzuholen.

Das neu aufgelegte Förderprogramm der Bundesregierung und des Landes NRW „Ankommen und Aufholen“ soll auch Personalkosten für neue Schulsozialarbeiter zur Verfügung stellen. Das ist für Susanne Amrehn ein guter Schritt, allerdings mit einem wichtigen Knackpunkt: „Es ist so schon kaum an Personal zu kommen, ob das jetzt Lehrer oder Sozialarbeiter sind. Der Markt ist leer und wir könnten durch die Förderung nur einen befristeten Vertrag anbieten. So rare Kräfte geben sich damit wohl eher nicht zufrieden.“ Von einer „Generation Corona“ möchte die Direktorin nicht sprechen. „Ich möchte die Kinder nicht abwerten. Aber wir müssen die Mädchen und Jungen im Auge behalten, damit wir sie nicht verlieren.“