Oberhausen. Warum wird ein Studium gesellschaftlich immer noch mehr geschätzt als eine Ausbildung? Experten in Oberhausen brechen eine Lanze für die Lehre.

Menschen, die anpacken. Menschen, die ihre zwei Hände nutzen, um etwas zu bewirken. „Das ist das, was wir brauchen“, sagt Tobias Koppen. Der Inhaber des gleichnamigen Elektrobetriebes steht noch unter den Eindrücken der Katastrophengebiete, in denen er in den vergangenen Tagen geholfen hat, die Infrastruktur nach den verheerenden Unwettern wieder aufzubauen. Eigentlich sitzt er mit einer Runde Gäste an diesem Vormittag in seinem Betrieb, um über etwas ganz anderes zu reden: die Ausbildung junger Menschen. Doch der Bogen spannt sich bis in die vom Hochwasser so hart getroffenen Gebiete: „Wir müssen nicht reden, wir müssen anpacken“, wiederholt Koppen. Und wer kann anpacken? Menschen mit fundierter Handwerks-Ausbildung.

Bei seinen Gästen rannte Koppen dabei offene Türen ein. Zu Besuch waren Vertreter des sogenannten Ausbildungskonsens’, einem Zusammenschluss der NRW-Landesregierung mit örtlichen Wirtschaftsvertretern, Gewerkschaften, Kammern, Jobcenter und der Arbeitsagentur. Aufgabe dieses Gremiums: für Ausbildung werben, Prozesse begleiten und die Umsetzung der Arbeitsmarktpolitik beobachten.

Ausbildung schließt ein Studium nicht aus

Eine Diskussion entbrannte sich in der Runde am Thema „Studium oder Ausbildung?“ Gesellschaftlich sei das Studium immer noch höher angesehen als eine Ausbildung, ärgerte sich etwa Franz Roggemann, einer der Geschäftsführer der Essener Industrie- und Handelskammer und Ansprechpartner für den Bereich Aus- und Weiterbildung. „Da bekomme ich schlechte Laune. Unsere Ausbildung ist toll und bietet den jungen Leuten prima Chancen, auch später in der Weiterbildung.“

Vertreter des Ausbildungskonsens’ zu Besuch im Elektrobetrieb Koppen in Oberhausen.
Vertreter des Ausbildungskonsens’ zu Besuch im Elektrobetrieb Koppen in Oberhausen. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

„Handwerker haben gehörig was auf dem Kasten“, sagte auch Tobias Koppen – und sieht in seinem Betrieb genügend Belege. Edwin Moses Guthke zum Beispiel: Der junge Oberhausener hat zunächst Maschinenbau und Wirtschaftsmathematik studiert, das Studium aber abgebrochen. Gescheitert? Keineswegs, sagt Tobias Koppen, „ist ein ganz toller Auszubildender.“

Ausbildung ist Sorgenkind des Arbeitsmarktes

„Ohne Bachelor ist man nichts“: Diesen Spruch höre Roggemann ständig. „Er stimmt aber einfach nicht.“ Auch im Elektrobetrieb Koppen ist das so: „Ich habe super Projektleiter im Team, die keinen Hochschulabschluss haben“, sagt Tobias Koppen. „Ich selbst habe auch keinen Bachelor, habe als Lehrling angefangen, wurde Meister und bin nun Geschäftsführer.“

Berichtete über die Ausbildung in seinem Betrieb: Geschäftsführer Tobias Koppen.
Berichtete über die Ausbildung in seinem Betrieb: Geschäftsführer Tobias Koppen. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Gegen ein Studium habe er überhaupt nichts einzuwenden. „Auch wir brauchen Programmentwickler für intelligente Gebäudetechnik oder neue Technologien für eine Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge.“ Ausbildung und Studium würden sich auch nicht ausschließen, was das Beispiel von Christian Bleckmann zeigt: Ausbildung bei Koppen als Prüfungsbester abgeschlossen, dann studiert und nun als Master of Science zurück im Betrieb. Aber die Mischung mache es eben aus. Und es dürfe nicht sein, dass ein exzellenter Handwerker mit Hauptschulabschluss weniger wertgeschätzt wird als ein Ingenieurs-Student.

Die Ausbildung bleibt indes eines der Sorgenkinder des Oberhausener Arbeitsmarktes. Pro Bewerber gibt es rein rechnerisch 0,69 Ausbildungsstellen. 660 junge Menschen sind derzeit ohne Lehrstelle, Arbeitgeber haben noch 440 freie Plätze zu vergeben, viele im Handel, einige im Handwerk. Auch deshalb sind die Vertreter des Ausbildungskonsens’ nach Oberhausen gekommen: Um nicht nur junge Menschen zu ermutigen, sondern auch Arbeitgeber zu stärken, weiter in Ausbildung zu investieren.

Tobias Koppen macht es vor: Zwei weitere Auszubildende hat er erst in der vergangenen Woche eingestellt – obwohl er in der Corona-Zeit eigentlich zunächst gezögert hat. „Aber warum warten? Wenn man gute Leute in Aussicht hat, sollte man zugreifen.“ Wegen der anhaltenden Pandemie zahlt der Staat derzeit noch einen Bonus für ausbildende Betriebe. „Den sollte man nutzen, um den jungen Leuten mehr Gehalt zu zahlen“, rät Koppen. Seit Jahren zahle er seinen Azubis mehr als tariflich vereinbart, um sich die Fachkräfte von morgen zu sichern – als Investition in die Zukunft des eigenen Betriebes.