Oberhausen. Der Abschied von der Marktstraße 146 soll das hochkarätige Programm nicht verhindern. Die Termine stehen – die Schauplätze sind noch zu finden.

Die vierjährige Allianz zwischen Literaturhaus-Verein und ihrem Patron von der Weinlounge „Le Baron“ ist zwar nun beendet. Doch Enttäuschung will sich Hartmut Kowsky-Kawelke nicht anmerken lassen. „Wir lebten lange von der Großzügigkeit von Emile Moawad“, betont der Literaturhaus-Vorsitzende. „Er war und ist damit einer unserer größten Förderer.“

Doch jetzt will der Gastronom an den stark nachgefragten Freitagabenden auch den bisher als Literaturhaus-Domizil genutzten Raum an der Marktstraße 146 nutzen – also am bevorzugten Wochentag, an dem auch die Literatur-Liebhaber ihre Gäste einladen. Zudem gefällt den Kunden der Weinlounge ein Ambiente aus dekorativ gelagerten Flaschen sichtlich besser als die beengteren Verhältnisse mit kleinen Tischen und Wänden voller Bücher nebenan.

Jetzt wird Literaturhaus-Mitgründer Dr. Michael Huhn den stolzen 6000-Bücher-Bestand aus dem Nachlass des „Revierflaneurs“ Manuel Heßling zunächst wieder bei sich aufnehmen: Mit diesem Kauf hatte schließlich die Geschichte des Literaturhaus-Vereins begonnen. „Mit Auswärts-Terminen haben wir ja Erfahrung“, sagt sein Vorstandskollege Kowsky-Kawelke unverdrossen. „Und wir verfügen inzwischen über ein gutes Netz von Partnern.“ Anders als während des Dauer-Lockdowns im ersten Halbjahr soll der Auszug von der Marktstraße 146 das dritte Quartalsprogramm aus Lesungen und Exkursionen deshalb auch nicht gefährden.

Eine feste Größe sind die „Literad“-Touren mit Rainer Piecha, der beim Biergärten-Programm mit einem besonderen Andrang rechnen darf.
Eine feste Größe sind die „Literad“-Touren mit Rainer Piecha, der beim Biergärten-Programm mit einem besonderen Andrang rechnen darf. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Kaum hatte Harald Obendiek, sinnigerweise im „Café Klatsch“, den Auszug publik gemacht, erreichten den Verein auch schon die ersten Angebote, gerne helfen zu wollen. „Wir müssen uns noch sortieren“, sagt Hartmut Kowsky-Kawelke abwägend. Übliche Ladenmieten könne der Verein keinesfalls zahlen: „Eine Lösung gibt’s nur in einer Patenschaft.“ Bis ein neuer „Patron“ gefunden ist, ziehen die Literaturhäusler also mit mobiler Technik – leistungsfähige Luftfilter inklusive – zu wechselnden Schauplätzen.

Biergarten-Lektüre: „Kurze Geschichte der Trunkenheit“

Los geht’s mit diesem „Tourneebetrieb“ bereits am Freitag, 9. Juli, an einem anderen literarischen Ort: Denn die Zeche Alstaden an der Solbadstraße ist auch der Sitz des Assoverlags. Und Verleger Ernst Gerlach hatte schon länger gemeinsame Termine angeregt. Den Anfang macht nun Klaus Zwick vom Ensemble des Theaters Oberhausen mit einer Lesung aus Arno Geigers „Der alte König in seinem Exil“. Der österreichische Erzähler reflektiert darin ergreifend das Zusammenleben mit seinem an Alzheimer-Demenz erkrankten Vater.

Eine feste Größe im Sommerprogramm sind die „Literad“-Touren – und diese vierte der Reihe dürfte noch schneller ausgebucht sein als die früheren Runden: Schließlich erkunden die belesenen Radler am Freitag, 23. Juli, einige der lauschigsten Biergärten im Osten Oberhausens und jenseits der Stadtgrenzen. Literarisch steht dabei Mark Forsyths „Kurze Geschichte der Trunkenheit“ im Mittelpunkt. Der abendliche Auskehrschwung der Tour ist im „Hostel Veritas“ geplant. Dort soll’s auch um 17 Uhr losgehen.

Stillleben der Buchpreis-Shortlist 2019: „Nicht wie ihr
Stillleben der Buchpreis-Shortlist 2019: „Nicht wie ihr"-Romancier Tonio Schachinger, und „Winterbienen"-Erzähler Norbert Scheuer sind Gäste des dritten Literaturhaus-Quartals. © dpa | Jens Büttner

Eine genüsslich-fiese Nachbetrachtung der Fußball-Europameisterschaft folgt am Samstag, 7. August, mit „Nicht wie ihr“. Mit seinem Roman-Porträt eines karriereversessenen Bundesliga-Kickers schoss Tonio Schachinger 2019 auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Hartmut Kowsky-Kawelke sähe diesen Gast gerne in der RWO-Vereinskneipe – doch wie alle fast folgenden Termine des Quartals muss das „Literaturhaus unterwegs“ die Schauplätze erst noch fest vereinbaren.

Stadionauftritt mit Liebesbriefen

Einen Stadionauftritt allerdings gönnen die Gastgeber zur Eröffnung des Sterkrader Lesesommers am Freitag, 20. August, dem Recklinghäuser Schauspielerpaar Christine Sommer und Martin Brambach: So hört ein romantisch gestimmtes Publikum die bemerkenswertesten Liebesbriefe im Stadion im Volkspark.

Mit Norbert Scheuer kündigt sich für Freitag 27. August, ein weiterer Buchpreis-Finalist an: „Winterbienen“ ist die in Tagebuchform erzählte Geschichte des Lehrers und Imkers Egidius Arimond. Um als Epileptiker während des Zweiten Weltkriegs an die teuren Medikamente zu kommen, wagt er es, Verfolgte über die nahe belgische Grenze zu schmuggeln.

Wahl-Berliner aus Dresden: Ingo Schulze erhielt jüngst den „Preis der Literaturhäuser“ – und erzählt vom erschreckenden Wandel eines angesehenen Antiquars.
Wahl-Berliner aus Dresden: Ingo Schulze erhielt jüngst den „Preis der Literaturhäuser“ – und erzählt vom erschreckenden Wandel eines angesehenen Antiquars. © dpa | Annette Riedl

Eine ganz andere Bewegung – vom bürgerlichen Intellektuellen zum nationalistischen Pegida-Unterstützer – beschreibt Ingo Schulze in seinem viel debattierten Roman „Die rechtschaffenen Mörder“: Sein Held (oder Antiheld) Norbert Paulini ist ein hoch geachteter Dresdner Antiquar, der allerdings nach der Wende seinen inneren Kompass verliert und immer krasser reaktionäre Züge annimmt. Der in diesem Jahr mit dem „Preis der Literaturhäuser“ geehrte Ingo Schulze ist am Freitag, 10. September, Gast des Literaturhauses Oberhausen.

Die Zumutungen von Integration

Im Wochenabstand folgen zwei Freitags-Termine mit jungen Literatinnen, deren Werke aufhorchen lassen. Asal Dardans „Betrachtungen einer Barbarin“ ist nominiert für den erstmals ausgeschriebenen Deutschen Sachbuchpreis. In ihrer Auseinandersetzung mit der deutschen Gesellschaft begibt sich die Tochter iranischer Eltern auf die Suche nach einer gemeinsamen Sprache, nach der Überbrückung des ewigen Gegensatzes von „Wir“ und den „Anderen“.

Literaturhaus-Verein möchte in Oberhausens Mitte bleiben

Auf der Homepage des Vereins literaturhaus-oberhausen.de ist der baldige Auszug aus dem vertrauten Raum an der Marktstraße 146 noch kein Thema: Schließlich sind die Aktiven derzeit vollauf damit beschäftigt, zum einen den Auszug zu stemmen und zum anderen für die vereinbarten Termine des dritten Quartals neue Schauplätze zu organisieren.

Als sich die Literaturhaus-Gründer vor sechs Jahren zusammenfanden, hatten sie als künftiges Domizil noch die Zeche Sterkrade im Blick. Inzwischen allerdings, meint Hartmut Kowsky-Kawelke, möchte man möglichst in der Alt-Oberhausener Mitte bleiben: „Hier sind die Kultur-Einrichtungen.“

Deniz Ohde schließlich erkundet die Zumutungen von Integration in ihrem Debütroman „Streulicht“: Sie erzählt aus einer engen Industriestadt von ihrer Mutter, deren Freiheitsdrang in der Arbeiterwohnung erstickte, ehe sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. Sie erzählt vom frühen Schulabbruch und von der Anstrengung, im zweiten Anlauf „Versäumtes nachzuholen“. Genau das unternimmt in diesem Quartal auch das Literaturhaus – denn diese formidable Gästeliste hätte der Verein gerne schon im ersten Halbjahr zwischen seinen Bücherwänden an der Marktstraße 146 vorgestellt.