Oberhausen. Oberhausen impft Menschen in Hochhäusern. Sie sollen besser vor Corona geschützt werden. So hat es die 19-jährige Vida Torki erlebt.

Vida Torki steht im weißen Zelt an der Bebelstraße, den Impfausweis in der linken Hand, und starrt auf den Boden. Es ist 12 Uhr und sie wartet, dass die Kabine aus Trennwänden frei wird. Sie bekommt an diesem Vormittag endlich ihre Corona-Impfung. „Jetzt bin ich schon nervös“, sagt sie. Dann wird sie in die Kabine gebeten.

Torki, 19 Jahre alt, trägt eine beige Cordjacke und eine schwarze Jogginghose. Sie hat ihre schwarzen Haare zum Mittelscheitel gekämmt. Für sie ist die Impfung eine Befreiung: Sie hat ihre Freunde im Lockdown kaum gesehen, sie durfte ihren Realschulabschluss nicht feiern und ihr 18. Geburtstag fiel auch aus. „Ich hoffe, viele impfen sich und das Leben wird dann wieder freier.“

Die Stadt Oberhausen impft an zwei Tagen dieser Woche arme Menschen in dicht besiedelten Gegenden: am Dienstag am Wohnpark City-West und am Donnerstag in Osterfeld auf dem Marktplatz. An beiden Orten verimpfen die Ärztinnen und Ärzte jeweils 750 Dosen. Der Impfstoff, Johnson & Johnson, stammt vom Land NRW. Insgesamt hat NRW 100.000 Impfdosen für Städte bereitgestellt, wo viele Arme leben. Das Land will sie so besser vor Corona schützen.

Oberhausen impft Menschen in Hochhäusern an der Bebelstraße

Um 11.30 Uhr steht Torki mit ihren Eltern auf dem Platz zwischen den Wohntürmen an der Bebelstraße in der Warteschlange. Sie ist etwa 150 Meter lang. Auf dem Platz hat die Feuerwehr die Impfzelte aufgebaut, Flatterband regelt den Verlauf der Schlange. Torki hat erst heute Morgen von der Aktion erfahren. Ihre Mutter entdeckte ein Plakat mit den Informationen im Hausflur. Die Familie wohnt in einem der Hochhäuser. „Wir haben gar nicht lange überlegt und haben uns sofort hier angestellt“, sagt Torki.

Bevor Vida Torki sich für die Impfung anmelden kann, wird ihre Temperatur gemessen. Hinter ihr warten ihre Eltern.
Bevor Vida Torki sich für die Impfung anmelden kann, wird ihre Temperatur gemessen. Hinter ihr warten ihre Eltern. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Die Familie wartet etwa 15 Minuten, als sie in das Anmeldezelt gelassen wird. Im Zelt muss Torki ihren Ausweis vorzeigen. Die Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) prüfen, ob die Impflinge aus Oberhausen stammen. Der Leiter der Impf-Aktion, Jörg Brandenburg: „In Herne und Duisburg kamen viele Menschen aus fremden Städten zu den mobilen Impfteams. Daher schauen wir genau auf die Ausweise.“ Die Aktion in Oberhausen startete schon um 9 Uhr – und dauert solange, bis alle Dosen verimpft sind. „Bisher läuft alles bestens. Wir schaffen in der Stunde 70 Impfungen.“

Im Anmeldezelt liegen die Informationen in 21 Sprachen aus

Übersetzer helfen Torkis Eltern, Einwilligungserklärung, Anamnese (Prüfung von Vorerkrankungen) und Aufklärungsblatt zu verstehen und auszufüllen. Die Familie stammt aus dem Iran, lebt seit vier Jahren in Deutschland. Weil in Oberhausen Menschen aus über 140 Staaten leben, liegen die Info-Blätter mit den grundlegenden Fakten zu Impfungen und Corona-Infektionen in 21 Sprachen aus.

Torki muss beantworten, ob sie an Vorerkankungen leidet, und ob sie Medikamente einnimmt. Ein Zettel fasst die Risiken zusammen. Am Ende unterschreibt sie, dass sie mit der Impfung einverstanden ist. Sie muss im nächsten Zelt nochmals ihren Personalausweis zeigen. „Wir registrieren hier jeden Impfling“, erklärt die Mitarbeiterin. Sie tippt die Daten in einen Computer ein, später übermittelt sie sie an das Robert-Koch-Institut (RKI). Dann stellt Torki sich für die letzte Station an, die Impfkabine.

„Schreiben Sie mit links oder rechts?“, fragt der Arzt in der Kabine. „Mit rechts“, antwortet sie. „Ok, dann machen Sie bitte Ihren linken Arm frei.“ Torki zieht den Arm aus dem Pullover. Sie sitzt auf einem Stuhl vor einem Tisch. Darauf steht eine Schale mit etwa 15 Spritzen, darin der durchsichtige Impfstoff. Torki sitzt aufrecht und hat den Kopf gesenkt, als wollte sie die Spritzen nicht sehen. Sie wirkt hochkonzentriert.

Torki hofft, dass es zu ihrem Fachabi eine Abschlussparty gibt

Der Arzt desinfiziert den Oberarm, piekst zwei, drei Sekunden hinein. Dann ist es vorbei. Torki schlüpft wieder in Pullover und Jacke, bedankt sich und verlässt das Zelt. Erst draußen beginnt sie zu lachen. Sie kreist die Schulter, den Stich habe sie nicht gespürt. Sie klappt den Impfausweis auf. Tatsächlich. Der neue Aufkleber im Heft beweist es. Sie hat es geschafft. „Damit kann man schon flexen“, sagt sie. An ihren Augen bilden sich Lachfalten. Flexen ist Jugendsprache und heißt so viel wie angeben, prahlen. Sie sagt das Wort, wenn sie etwas Außergewöhnliches geschafft hat.

Wo kommt der Impfstoff her?

Das Land NRW hatte Mitte Mai 2021 angekündigt, 15 Landkreisen und Großstädten ein zusätzliches Impfkontingent von 100.000 Impfdosen von Johnson & Johnson abzugeben.

Die Kommunen, darunter Oberhausen, wurden ausgewählt, wenn sie insgesamt hohe Inzidenzwerte aufweisen und zudem relativ viele Bürger haben, die auf Hartz-IV-Leistungen und Grundsicherung angewiesen sind.

Freundinnen und Freunde in Restaurants treffen, einkaufen gehen, in den Urlaub fahren: Das wird für sie jetzt wieder einfacher werden. Auch Jörg Brandenburg zieht ein positives Fazit. Um 17 Uhr haben sie fast alle Impfdosen verimpft. Es wurden sogar mehr Leute als erwartet geimpft, weil aus den Dosen etwas mehr Impfstoff gezogen werden konnte. Es seien auch Leute aus angrenzenden Städten gekommen. „Die mussten wir leider nach Hause schicken.“

Vida Torki schreibt nächstes Jahr ihr Fachabitur mit dem Schwerpunkt Informatik. „Ich hoffe, das können wir endlich wieder normal feiern.“