Oberhausen. Vor gut zehn Jahren kauften sechs arme Städte den fünftgrößten deutschen Stromanbieter. Der Steag-Kauf wurde für Oberhausen zum Millionen-Grab.
Trotz eines einstigen Kaufpreises von 56 Millionen Euro für einen sechsprozentigen Anteil an dem Kohleverstromer Steag will Oberhausen aus diesem Investment komplett aussteigen. Die Stadt hat wenig Hoffnung, unter den derzeitigen Bedingungen der Energiewende aus dem Essener Energiekonzern auch künftig eine ordentliche Rendite zu erzielen. Die Energieversorgung Oberhausen (EVO), die zu gleichen Teilen der Stadt Oberhausen und dem RWE-Konzern gehört, hat die Steag-Beteiligung in ihren Büchern bereits komplett abgeschrieben und nach eigenem Bekunden den Wert auf Null gesetzt.
Erstmals äußerte sich EVO-Vorstand Hartmut Gieske, einst einer der größten Befürworter des Steag-Erwerbs („ein Jahrhundert-Deal“), öffentlich über die Kehrtwende seiner Sicht auf den international agierenden Strom- und Wärmeproduzenten: „Betrachtet man das Steag-Investment nur mit dem heutigen Wissen rückwärts, dann war die Steag für uns ein Flop.“ Damals jedoch schien dieses Investment von sechs Stadtwerken im Ruhrgebiet an der Steag durchaus wirtschaftlich logisch und lukrativ.
Für knapp eine Milliarde Euro hatten Dortmund, Essen, Dinslaken, Bochum, Oberhausen und Duisburg die Steag in zwei Tranchen 2011 und 2014 gekauft. Die Steag sollte eigentlich die Kosten für Zins und Tilgung des Kaufdarlehens der Städte über ihre Gewinnausschüttungen selbst aufbringen. Doch das gelingt seit zwei Jahren nicht mehr, da die Steag-Kohlekraftwerke durch die Energiewende nicht mehr ertragreich genug betrieben werden können – und sogar Schritt für Schritt abgeschaltet werden müssen.
Mehrere Gründe gab es für die Kaufentscheidung der Steag durch die Kommunen
Vier Gründe haben nach Angaben von Gieske und EVO-Aufsichtsratschef Daniel Schranz (CDU), damals Fraktionschef im Rat, für die Steag-Kaufentscheidung eine Rolle gespielt. Erstens wollte man industriepolitisch eingreifen, um Tausende wertvolle Arbeitsplätze in der Energiebranche fürs Ruhrgebiet vor einem ausländischen Zerschlagungs-Investor zu retten. Zweitens wollte man mit der Oberhausener Sechs-Prozent-Finanzbeteiligung jährlich einen verlässlichen Gewinn durch die Steag-Ausschüttungen erzielen (Gieske: „Anfangs hat das ja auch gut geklappt“).
Drittens hat man durch die langen Fernwärme-Leitungen der Steag im Ruhrgebiet gehofft, mit eigenen Netzen der Stadtwerke zusammen ein großes umweltfreundliches Wärmeverteilnetz in der Region zu zimmern. 200 Millionen Euro wollte man allein in Oberhausen für 25 Kilometer Leitung ausgeben. „Das rechnet sich jetzt nicht mehr“, sagt Gieske. Schließlich fallen wichtige Wärmelieferanten für das heiße Wasser, wie die Abwärme der Steag-Kohlemeiler, durch die Energiewende nach und nach weg.
Und viertens wollten die Stadtwerke mithelfen, den Traditions-Stromerzeuger aus Steinkohle zu einem Unternehmen voller erneuerbarer Energie umzuwandeln. Doch international verlief die Errichtung eines Geothermie-Kraftwerkes auf vulkanischem Boden in Indonesien nicht ohne Probleme und national sind nach Angaben des EVO-Vorstandes so wenige Kraftwerksprojekte mit erneuerbaren Energien in Planung, dass „sich hier alle Investoren tummeln und die Margen im Keller sind“.
Vor zehn Jahren noch als Jahrhundert-Deal gewürdigt
Einstimmig hatte der Oberhausener Stadtrat, damals bestückt mit SPD, CDU, FDP, Grüne und Linke, die erste Tranche des Steag-Kaufs (51 Prozent) am 13. Dezember 2010 in nicht-öffentlicher Sitzung abgesegnet. Die EVO beteiligte sich mit sechs Prozent am Kauf der Evonik-Kraftwerkssparte Steag durch den Verbund von sieben Unternehmen aus sechs Städten (KSBG). So sollte ein kommunaler Energieerzeuger entstehen, der den Wettbewerb mit den großen vier, RWE, EON, ENBW und Vattenfall, aufnimmt. Am 7. Februar 2011 stimmte die Politik genauso einstimmig für den kompletten Kauf der Steag (49 Prozent).
.„Das Risiko ist überschaubar“, sagte 2010 SPD-Ratsfraktionschef Wolfgang Große Brömer. Als „Chance für die EVO“ bezeichnete CDU-Oppositionschef Daniel Schranz das Geschäft. Ob der Kauf der Steag letztlich sinnvoll für die Bürger sei, lasse sich „nicht mit letzter Sicherheit sagen“, befand skeptischer Hans-Otto-Runkler (FDP). EVO-Vorstand Hartmut Gieske sprach von einem „Jahrhundert-Deal“. Es müsste schon „Hinkelsteine regnen“, sollte dabei etwas schief gehen.
In Deutschland betreibt die Steag als fünftgrößter Stromerzeuger Großkraftwerke an sieben Standorten mit einer Leistung von rund 7200 Megawatt (MW) elektrisch, davon 5000 in Deutschland. International betreibt die Steag eigene Großkraftwerke in der Türkei, auf den Philippinen und in Kolumbien. Die Steag GmbH ist der fünftgrößte Stromerzeuger in Deutschland. 2019 waren dort 6378 Mitarbeiter bei der Steag beschäftigt, 47 Prozent davon im Ausland.
Mit anderen Worten: „Alle unsere damaligen Hoffnungen sind enttäuscht worden. Der jetzige Weg für uns muss klar und eindeutig sein – und dieser Weg heißt: Ausstieg.“ Die RAG-Stiftung soll die Steag mit ihrer energiepolitischen Erfahrung nach vorne bringen und sie dann im Auftrag der sechs Steag-Kommunen verkaufen – bis Ende 2024.
Keinen Cent mehr frisches Geld für die Steag aus Oberhausen und Bochum
An einer weiteren geplanten Finanzierungsrunde in diesem Jahr wollen sich Oberhausen (1,8 Millionen Euro) und Bochum (5,4 Millionen Euro) nicht mehr beteiligen. Der Nachteil: Bei einem auch denkbaren sehr guten Verkaufserlös für die Steag werden diese beiden Städte nur noch nachrangig bedacht. „Wenn wir jetzt noch einmal Geld geben würden, würden wir wieder auf die Steag-Zukunft zocken – das machen wir nicht mehr“, sagt Gieske im Einklang mit Schranz. „Wir haben nicht mehr die Hoffnung, nennenswerte Summen mit der Steag erzielen zu können.“
Die damalige Kaufentscheidung hält Oberbürgermeister Daniel Schranz aus heutiger Sicht für falsch – und zwar von beiden Seiten aus betrachtet. „Nicht nur unsere Hoffnungen haben sich nicht erfüllt, sondern für die Steag waren letztendlich die Stadtwerke die falschen Eigentümer.“
Denn die Expertise der Stadtwerke habe nicht ausgereicht, um die Steag mit Synergien, Technik- und Umbau-Wissen voranzubringen. „Die jetzige Entscheidung für die RAG-Stiftung ist der richtige Weg. Wichtig ist es nun, dass ein neuer geeigneter Eigentümer gefunden wird, der aber nicht zu einem Strukturbruch führt.“