Oberhausen. 30.000 Quadratmeter grüne Oase, zweites Zuhause für zig Familien: In Oberhausen-Sterkrade sollen Kleingärten künftigem Wohnungsbau weichen.
Vögel zwitschern, Kinder lachen und der nächstgelegene Baum spendet Schatten vor der Frühlingssonne. „Unsere kleine Oase“, nennt es Sarina van de Logt und meint ein sogenanntes Grabeland zwischen Wilhelm- und Steinbrinkstraße mitten in Sterkrade. Auf rund 30.000 Quadratmetern erstrecken sich hier mehr als 50 Gärten, durchschnittlich 600 Quadratmeter groß. Hier und da ist ein Loch im Zaun und eine Hecke gibt sich dem Wildwuchs hin. „Hier steht vielleicht kein piekfeiner Kleingartenverein“, sagt die 31-Jährige, „aber dafür steckt unglaublich viel Herz drin.“
Doch ebenjenes Herz soll verschwinden. Das Gelände gehört der MAN GHH Immobilien, die jederzeit kündbare Pachtverträge mit den einzelnen Kleingärtnern geschlossen hat. Kein Verein steckt hinter der selbst ernannten Oase, sondern es sind viele einzelne Anwohner aus Sterkrade und Umgebung. Wenn es nach dem Eigentümer geht, soll das Gelände neu genutzt werden – die Gärten müssten dann verschwinden. Informationen hätten die Kleingärtner darüber nicht bekommen, lediglich einen Brief, dass sie ihre Gartentore für Ingenieure offen halten sollen, zur Ausmessung des Geländes. Das war im März.
Gartenbesitzer reagieren emotional auf das Bauvorhaben
„Erst auf mehrfache Nachfragen wurde uns mitgeteilt, dass hier neue Wohnungen gebaut werden sollen“, erzürnt sich Sarina van de Logt. „Viele Familien teilen sich hier die Gärten, teilweise sind sie seit Generationen im Besitz.“ Auch sie hat den Garten von ihrem Großvater übernommen, hat dort Laufen und Fahrradfahren gelernt. „Das wollte ich auch für meine Kinder. Gerade in Corona-Zeiten lebe ich quasi mit meiner Tochter hier.“ Die Kunde über das bevorstehende Ende habe wie ein Lauffeuer die Runde unter den Gartenbesitzern gemacht. „Es geht um Rentner, die ihr ganzes Leben in ihrem Garten verbringen. Einige haben geweint“, berichtet die Sterkraderin.
„Natürlich haben wir auch Verständnis für die Leute“, heißt es auf Nachfrage bei der MAN GHH Immobilien. Geschäftsführer Rüdiger Stolz findet dennoch klare Worte: „Das sind Grabelandflächen, die für eine marginale Pacht zur Verfügung gestellt worden sind. Von einem Schrebergarten sind wir da weit entfernt.“ Erlaubt sei laut Pachtvertrag alleine der Anbau einjähriger Pflanzen, das Errichten von Hütten dagegen sei ausdrücklich verboten. „Die verhalten sich vertragswidrig und meinen auch noch, dass das bis zum St. Nimmerleinstag so zu bleiben hat“, erbost sich Stolz.
Die Befürchtungen der Kleingärtner bestätigt der Geschäftsführer. „Hochattraktive Wohnbebauung“ sei an dieser Stelle geplant, überwiegend mit frei stehenden Einfamilienhäusern. Laut Flächennutzungsplan der Stadt sei dies erlaubt, Gespräche hierzu habe es dort auch schon gegeben. Diese bestätigt ein Sprecher der Stadt. Noch bestehe für die Fläche jedoch kein Bebauungsplan. Sollte man sich dazu entschließen, das Gelände zu entwickeln, so müsse hier sensibel vorgegangen werden, heißt es weiter. Von einem Gesamt-Areal mit Kleingärten, Schule und Finanzamt ist die Rede, von Grün-Infrastruktur und einem behutsamen Wohnungsbau. Der letzte Satz dürfte jedoch ausschlaggebend sein: „Klar ist aber auch, dass Oberhausen modernen Wohnungsbau benötigt.“
Nabu und BUND unterstützen Bürgerinitiative
Auch wenn noch völlig unklar ist, wann und wie das Areal bebaut wird – die Grabeland-Pächter wollen nicht untätig abwarten. Eine Bürgerinitiative ist gegründet, die Anwohner wurden mit Flyern informiert. Die Oberhausener Vertretungen von Nabu und dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) haben sich ebenfalls eingeschaltet. „Hier ist ein vielfältiges Artenreich, das erhalten werden muss“, fordert BUND-Sprecherin Cornelia Schiemanowski. Fledermäuse, Bienen, Hühner hätten in den Gärten eine Heimat gefunden, auch das Pflanzenreich sei divers. „Gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels gehören solche Flächen dringend erhalten, besonders, da es in Sterkrade sonst kaum noch Grünflächen gibt.“ Ökologische Bedenken nehme auch die MAN GHH Immobilien ernst. „Selbstverständlich werden im Falle einer Bebauung alle umweltrechtlichen und naturschutzrechtlichen Belange geprüft“, verspricht Geschäftsführer Rüdiger Stolz.
Was ist Grabeland?
Als Grabeland bezeichnet das deutsche Bundeskleingartengesetz ein Grundstück, das vertraglich nur mit einjährigen Pflanzen bestellt werden darf. Grabeland ist kein Kleingarten im Sinne dieses Gesetzes.
Grabeland ist hobbygärtnerisch genutztes Land, das von Gemeinden oder Firmen parzellenweise und befristet oft zur Zwischennutzung ausgegeben wird und gegen eine verhältnismäßig geringe, jährlich zu zahlende Pacht vom Pächter genutzt werden kann.
Die Nutzung von Kleingartenanlagen ist dagegen auf unbestimmte Zeit angelegt. Verträge über Grabeland werden dagegen unmittelbar zwischen Grundstückseigentümer und Nutzer geschlossen und sind oftmals ihrem Zweck entsprechend jährlich kündbar.
Hoffnungen verbinden die Kleingärtner auch mit einer Petition, die sie dem Oberbürgermeister vorlegen wollen. „Er muss ein Einsehen haben“, bittet Anwohner und Kleingärtner Karl-Heinz Hartmann. Die Gärten seien für viele mittelständische Familien die einzige Möglichkeit, zum niedrigen Preis ein Stück Natur zu besitzen. „Seit 80 Jahren ist mein Garten im Besitz der Familie. Kinder aus dem nahe gelegenen Pflegenest Zwergenland können hier spielen, die unterschiedlichsten Menschen leben hier friedlich zusammen. Ich kann nicht glauben, dass man uns das einfach wegnehmen will.“
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