Oberhausen. Im neuen Gemeindezentrum an der Vestischen Straße präsentieren sich drastisch-detaillierte Kreuzwegstationen als Fenster-Ausstellung zu Ostern.

Mit einem kreisrunden Frühstücksbrettchen beginnt die Passion Christi nach Alfred Grimm: Zerteilt liegt darauf ein Plastikfigürchen des Gekreuzigten zwischen Messer und Gabel; das Blut des Erlösers füllt einen Eierbecher aus silbrigem Cromargan. Selbst wenn der „noch 77-jährige“ einstige Beuys-Schüler aus Hünxe-Bruckhausen eine Ausstellung auf die Schnelle improvisiert, bleibt jedes Detail seiner Objektbilder stimmig – und das Arrangement zu einem Quasi-Kreuzweg schlüssig.

Wenn das MoMA angerufen hätte“, juxt Alfred Grimm, also New Yorks berühmtes Museum of Modern Art, „hätte ich es auch in einer Woche geschafft“. Tatsächlich hatte sein Vereinsvorsitzender angerufen, Winfried Baar von der Kunstinitiative Ruhr (KiR): Denn der ist der evangelischen Auferstehungs-Kirchengemeinde verbunden, seit er in frühen Rockerjahren mit den „Downtown Angels“ im Keller des Gemeindehauses proben durfte.

Versteckt im überladenen Prunk eines barocken Goldrahmens: Alfred Grimm weiß um den Zwiespalt zwischen „Memento mori“ und katholischer Schaulust.
Versteckt im überladenen Prunk eines barocken Goldrahmens: Alfred Grimm weiß um den Zwiespalt zwischen „Memento mori“ und katholischer Schaulust. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die Osterfelder Gemeinde hatte alle Gottesdienste zum Gedenken an die Passion und zur Feier der Auferstehung in der Kirche abgesagt. „Doch Kirche ist ein Ort des Trostes“, sagt Pfarrerin Ursula Harfst. Sie erinnerte sich der im Dezember in die Fensterfront des schmucken neuen Gemeindezentrums drapierten Weihnachtskrippen – und bat den KiR-Chef um kreative Hilfe. Einige seiner Objekte, erschaffen mit den in zigtausender Auflage gepressten metallenen Christus-Figuren für fromme Herrgottswinkel, hatte Alfred Grimm schon in Oberhausen gezeigt: in der Lutherkirche im Knappenviertel zerteilte eine Brotschneidemaschine den Leib Gottes.

Ein geradezu Dürer’sches Wiesenstück in 3D

Doch der Künstler, selbst Kirchgänger in seiner evangelischen Gemeinde in Bruckhausen, präsentiert in dichter Folge vor den hohen Fenstern auch noch nie gezeigte Werke wie „das grünende Kreuz“: Eine kleine Kiepe – wie frisch vom Bauernmarkt – füllte der Detailversessene mit einem geradezu Dürer’schen Wiesenstück in 3D, darin gebettet die schmale Gestalt des Gekreuzigten. „Wir haben die Arbeiten aufgebaut wie die Kartage“, erklärt Pfarrerin Harfst. Das Kreuz im Grünen entspricht in diesem Konzept der Grablegung Christi.

Der Schuber voller Kreuze ist kein Grimm’sches Materiallager, sondern ironischer Verweis auf die Vielfalt der Konfessionen.
Der Schuber voller Kreuze ist kein Grimm’sches Materiallager, sondern ironischer Verweis auf die Vielfalt der Konfessionen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

In der Kirche selbst sieht Ursula Harfst lieber, der evangelischen Tradition entsprechend, „das Kreuz ohne Korpus“. Schließlich sei Christus auferstanden – das Zeichen der Marter überwunden. Der Protestant Grimm arbeitet als Künstler eher mit einer katholischer Inbrunst, die den Blick von Blut und Leiden nicht abwenden kann. Die Pfarrerin verweist auf die kleine Version von Grimms „Morgue“: vor einer bleich gekachelten Wand blickt man auf eine Bahre und sieht ein paar Füße mit den blutroten Malen der Nägel. Sie habe bei der Auswahl gezögert, sagt die Pfarrerin – doch dies sei ja auch ein Bild der gegenwärtigen Pandemie.

Wie ein Linsengericht im Suppentopf

Alfred Grimm provoziert eben nicht um der Provokation willen, sondern um Nachdenken und Mitfühlen herauszufordern. „Seine Kunst kann nicht blasphemisch sein“, sagt Ursula Harfst. Blasphemisch sei der Kreuzestod selbst. Zu den Grimm’schen Kruzifix-Versionen zählen silbrige Erlöser-Figuren in einem zerbrochenen Spiegel, über die Maßen behängt mit billigem Modeschmuck oder aufragend aus einem Golgatha-Hügel aus Münzen.

Ob die Kunst selbst Erlösung verheißen kann? Die Wirkung seines Kruzifixes inmitten von Maler-Utensilien und Farbklecksen ist höchst zwiespältig: Einerseits zeigt diese Arbeit lebensfrohe Buntheit, andererseits ist die kleine Figur im Mittelpunkt bedrängt und bekleckert von Farben und Pinseln, Tuben und Tiegeln.

Die tödliche Macht des Mammons: Die Schädelstätte Golgatha ist in diesem grimmigen Werk ein Hügel aus Münzen.
Die tödliche Macht des Mammons: Die Schädelstätte Golgatha ist in diesem grimmigen Werk ein Hügel aus Münzen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

So kann man vor jeder Station dieses Grimm’schen Kreuzwegs verweilen. Scheinwerfer setzen auch die Arbeiten in der zweiten Reihe für den Blick durchs Fenster ins Licht. Der 77-jährige Künstler mit dem gewaltigen Materialfundus in seiner Hünxer Scheune besitzt noch etliche kleinere und größere Kruzifixe – auch, um sie wie ein Linsengericht im Suppentopf schwimmen zu lassen.

In den hohen Fenstern des neuen Gemeindezentrums

Zu sehen sind die Kruzifix-Objekte von Alfred Grimm im neuen Gemeindezentrum direkt neben der Auferstehungskirche in Osterfeld, Vestische Straße 86. Zur Einweihungsfeier im September 2020 hatte Propst Christoph Wichmann von der katholischen Gemeinde übrigens das neu entworfene Pankratius-Kreuz als Präsent übergeben.

Ein weiteres Fenster des vom Köln-Essener Architektenbüro „Archequipe“ gestalteten Neubaus gestalteten die Konfirmanden der Gemeinde: Pfarrer Stefan Conrad, der sie in diesem Jahr nur online unterrichten konnte, hatte ihnen schlichte Holzkreuze gesandt: Daraus schufen 24 Konfirmanden höchst individuelle Reflexionen von Gefangenschaft bis Tod: „Mobbing“ ist ein Thema, so der Pfarrer, „oder der Tod des Großvaters“.

Zur großen Ausstellung der Grimm’schen Kruzifix-Objekte 2015 im Kloster Kamp erschien ein ausführlicher Katalog, der für 19,50 Euro nach wie vor erhältlich ist.

Seine jüngste Passion sind allerdings Weihwasserbecken. Darin können Miniaturboote die Segel setzen oder auf weißem „Eis“-Boden Schlittschuhläufer kurven: In diesen Tagen wären es schöne Hoffnungszeichen.