Oberhausen. Der Covid-Alltag als Nichtmuttersprachler ist hart. Viele werden als Infektionstreiber verdächtigt - grundlos, sieht man in Oberhausen.

Ob türkische Großhochzeiten, die als Superspreader-Events gebrandmarkt werden, oder ostasiatische Mitbürger, die für die Pandemie mitverantwortlich gemacht werden: Immer wieder wird in der Corona-Krise mit dem Finger auf Menschen mit Einwanderungsgeschichte als vermeintliche Verursacher hoher Infektionszahlen gezeigt. Zuletzt beklagte auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass die Corona-Krise wie ein „Brandbeschleuniger“ für Vorurteile gegen Ausländer wirke. Dabei gibt es auch in Oberhausen nach Aussagen der Stadtspitze keine Hinweise darauf, dass etwa Feste und Familienfeiern migrantischer Gruppen wesentlich zur Corona-Ausbreitung beigetragen haben.

Infektionsgeschehen nicht dort auffällig, wo mehr Migranten leben

Nach Beobachtung des städtischen Corona-Krisenstableiters Michael Jehn ist in Oberhausen zwar bis zum vollständigen Partyverbot größerer Gruppen immer wieder „im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten“ gefeiert worden. Gastgeber waren aber sowohl Menschen mit wie auch ohne Migrationshintergrund. Ein einziges Mal habe es in einer solchen Feier ein Infektionsgeschehen geben. „In den letzten Monaten gab es aber keine Zwischenfälle.“

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Das Infektionsgeschehen im Stadtgebiet wurde insgesamt nicht durch Hotspots geprägt, sondern die Infektionen breiteten sich nach Informationen aus dem Krisenstab nahezu gleichmäßig flächendeckend aus. Am Ende war der Inzidenzwert in Oberhausen am Wochenende vor Weihnachten mit 342 so hoch wie in keiner anderen NRW-Großstadt.

"Verzweiflung und Chaos" wegen Corona-Bürokratie

Anhaltende Sorgen bereitet dem Oberhausener Krisenstab allerdings, wie die Corona-Regeln Menschen aller Migrationshintergründe vermittelt werden können. Immerhin leben in Oberhausen Menschen aus über 140 verschiedene Staaten - all diesen Menschen die stetig wechselnden Verhaltens-Vorschriften gut zu erklären, so dass sie sich daran halten können, bleibe schwierig. Der Krisenstab hat deshalb bereits zu Beginn der zweiten Welle darüber diskutiert, wie man das Verständnis für Corona-Regeln gerade bei Zuwanderer-Familien mit geringen Deutschfähigkeiten erhöhen kann. "Wir haben ein Flugblatt in zwölf Sprachen drucken lassen und dieses in Krankenhäusern, Apotheken und Arztpraxen verteilen lassen, um möglichst viele Zuwanderer zu erreichen", sagt Michael Jehn.

Es sind nicht nur die Sprachbarrieren und schwer verständlichen Corona-Regeln, die Nichtmuttersprachlern in der Corona-Krise große Probleme bereiten. Dass durch die Corona-Krise immer mehr Behördenvorgänge auf dem digitalen oder schriftlichem Weg statt im persönlichen Gespräch erledigt werden müssen, sorgt in vielen Bevölkerungsgruppen mit Einwanderungsgeschichte zudem für „Verzweiflung und Chaos“. Das berichten Vertreter des Oberhausener Integrationsrates und Diplom-Pädagogin Habibe Demirci, die seit vielen Jahren Familien und psychisch Erkrankte mit Migrationshintergrund in Oberhausen betreut und begleitet.

"Viele Migranten leben in beengten Verhältnissen"

Egal ob Hausarzttermine, Anträge für Arbeitslosengeld oder Unterlagen bei der Krankenkasse: Oberhausener der Gastarbeiter-Generation, Geflüchtete und andere Gruppen von Migranten seien mehr denn je „verloren, wenn sie mit Bürokratie und Behördenvorgängen zu tun haben“, erzählt die 43-Jährige, die als selbstständige Familienberaterin und hauptberufliche Bezugsbetreuerin versucht, den wachsenden Klärungsbedarf aufzufangen. „Man darf nicht unterschätzen, was das persönliche Gespräch ausmacht“, sagt auch Ercan Telli, Geschäftsführer des Integrationsrats. Missverständnisse, die auf Distanz entstehen, könnten dort trotz Sprachbarrieren besser geklärt werden.

Zu sprachlichen Barrieren geselle sich das Problem, dass gerade viele Familien mit Migrationshintergrund auch finanziell schlechter gestellt sind und dadurch weniger Möglichkeiten hätten, in Corona-Zeiten Formalitäten zu erledigen, ergänzt Habibe Demirci, „Sie haben vielleicht keinen PC zu Hause, keinen Internetanschluss oder das Prepaid-Guthaben auf dem Handy ist schon aufgebraucht.“ Das bestätigt auch Ercan Telli, der mit Sorge auf die Folgen des zweiten Lockdowns blickt. „Viele Migranten leben in beengten Verhältnissen im billigen Wohnraum im Süden der Stadt. Für sie ist es deshalb umso schwieriger, sich aufs Häusliche zurückzuziehen und dort miteinander auszukommen.“

Familienpädagogin erlebt unsensible Behörden

Statt für diese Umstände Verständnis zu zeigen, sinke jedoch das Verständnis vieler Behördenvertreter. „Die Kommunikation hat sich definitiv verschlimmert, viele Sacharbeiter sind gereizter und unsensibel“, meint Habibe Demirci. Gerade in den letzten Monaten habe sie bei der Auseinandersetzung mit dem Sozialamt oder dem Jobcenter „vorverurteilende und diskriminierende Angriffe“ gegenüber ihren Klienten erlebt. Statt einen unterschwelligen Rassismus dafür verantwortlich zu machen, sieht Habibe Demirci in vielen Ämtern allerdings vielmehr „fehlende interkulturelle Kompetenz“. Der Umgang mit Menschen unterschiedlicher Kulturen muss deshalb nach ihrer Auffassung bei den Ämtern intensiver geschult werden.