Oberhausen. Bildungsungerechtigkeit oder Racial Profiling: Die nigerianische Community kämpft für ihre Rechte in Oberhausen – und Reformen in ihrer Heimat.
Wenn sie früher einen Streifenwagen am Oberhausener Hauptbahnhof sahen, hätten sie sofort ihren Personalausweis in die Hand nehmen können. Denn kontrolliert worden seien viele Nigerianer am Aus- und Eingang der Bahnhofshalle eigentlich immer – sogar manchmal von denselben Polizisten am selben Tag. Solche Erfahrungen aus seiner Community in Oberhausen habe er vor einigen Jahren ständig gehört, sagt der gebürtige Nigerianer Sunday Taiwo. „Als Afrikaner wird man in der westlichen Welt schnell in eine kriminelle Ecke gestellt.“
Statt das Problem aber einfach hinzunehmen, suchte Taiwos Verein
„Nigeria Voice in Diaspora e. V.
“ (NIVID) das Gespräch mit dem damaligen Oberbürgermeister Klaus Wehling und der Polizei-Führung. „Wir konnten sie davon überzeugen, dass dieses Verhalten falsch ist“, sagt der Vize-Vereinsvorsitzende Christian Ejodamen. Seitdem sei
Racial Profiling
– also Kontrolle aufgrund von Herkunft und Hautfarbe – zumindest für sie kein allzu großes Thema mehr.
EndSARS-Demonstrationen: Viele Tote bei Protesten in Nigeria
So wie sie in Oberhausen gehandelt haben, will die nigerianische Gemeinschaft auch für Veränderungen der Polizei ihres Heimatlandes kämpfen. Dabei geht es allerdings nicht um unangenehme Situationen am Hauptbahnhof. Es geht um Leben und Tod.
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Wie viele Leute schon gestorben sind, weiß man nicht
“, sagt Christian Ejodamen, der im engen Austausch mit Bekannten in seiner Heimat ist. „Aber wenn die Regierung von hunderten Toten sprechen würde, waren es eher tausende.“ Schon jetzt sind er und seine Freunde sich sicher, dass der 20. Oktober 2020 als „
B
lack Tuesday
“, als „schwarzer Dienstag“, in die nigerianische Geschichte eingehen wird. An jenem Tag eröffneten Armee und Polizei das Feuer auf eine Gruppe junger und friedlicher Demonstranten in der nigerianischen 14-Millionen-Metropole Lagos. Laut Amnesty International sind an jenem Tag mindestens zwölf Menschen gestorben,
„Nigeria muss komplett umstrukturiert werden“
„Jeder, der mal in Nigeria war, hat schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht“, sagt Ejodamen. „Wenn sie sehen, dass du ein teures Smartphone besitzt, nennen sie dich gleich einen Kriminellen, um es dir wegnehmen zu können.“ Verachtung hat Ejodamen jedoch mehr für die Regierung als für die Polizei übrig. „Ein Kommissar bekommt dort ein mickriges Gehalt, ein nigerianischer Senator dagegen hat ein höheres Gehalt als der
US-Präsident.
“ Was als Protest gegen die brutal agierende
Spezialeinheit SARS
begonnen hatte, entwickelte sich deshalb zu einer Bewegung, die grundlegende Reformen in Nigeria einfordert.
Protest in der Innenstadt: Nigerianer wollen Oberhausener aufwecken
„Die junge Generation in Nigeria ist digital vernetzt und besser informiert“, erläutert Christian Ejodamen, der
jüngst wieder in den Oberhausener Integrationsrat gewählt wurde
. „Sie will sich nicht mehr zufriedengeben mit der verantwortungslosen Regierungsführung, mit der mangelhaften Bildung, der Korruption und Unterdrückung von Meinungsfreiheit. Nigeria muss komplett umstrukturiert werden.“
Ende Oktober sind auch in Oberhausen rund 100 Nigerianer auf die Straße gegangen, um die EndSARS-Bewegung zu unterstützen. „Es geht darum, den Menschen die Augen zu öffnen“, sagt Ejodamen. Denn bislang ignoriere die Europäische Union die täglichen Menschenrechtsverletzungen in Afrikas bevölkerungsreichstem Land. „Man pflegt weiter einen diplomatischen Umgang mit einer Regierung, die die wahren Probleme des Landes nur kaschieren möchte“, meint NIVID-Vorstand Elvis Anumihe. „Deswegen ist die Unterstützung aus der Diaspora so wichtig. Wir teilen in Europa die Erfahrungen, die Videos und Fotos – und zeigen, wie es wirklich ist in Nigeria“, sagt NIVID-Beisitzer Chris Okwell.
Ständig neue Corona-Verordnungen: Problem für Migranten
Was die Zahl der hier lebenden Nigerianer angeht, ist Oberhausen kein Zentrum jener Diaspora – dies sind vielmehr die Städte Essen oder Düsseldorf. Dennoch gingen viele Aktivitäten von hier aus, gibt Christian Ejodamen an. Auch den
Unabhängigkeitstag
hat man hier bereits mit über 500 Gästen auf dem Saporishja-Platz in der Oberhausener Innenstadt gefeiert. Ejodamen sieht NIVID deshalb als Interessenvertretung der Nigerianer in der gesamten Region. „Wir haben uns 2014 gegründet, um anderen Nigerianern bei der Integration zu helfen“, erklärt Sunday Taiwo.
Gerade angesichts der ständig neuen
Corona-Verordnungen
sei es für viele Nichtmuttersprachler schwierig, den Überblick zu behalten. „Bei vielen kommen nicht die richtigen oder nur unvollständige Informationen an“, beschreibt Ejodamen die Lage. Hier müsse man schnell vermitteln und schnell Hilfe leisten.
Einen großen Schwerpunkt legt der Verein derzeit auf die Förderung von Schülern mit afrikanischem Hintergrund. Denn deren Potenzial werde oft nicht richtig von den Lehrern erkannt. „Ich selbst musste sehr viel kämpfen für meinen Bildungsweg“, sagt die ausgebildete Sicherheitsfachkraft. „Viele afrikanische Kinder werden schnell in eine Schublade gesteckt und abgeschrieben.“ Aber wie einst bei den Polizeikontrollen, gibt er sich zuversichtlich: Man, werde auch hier für positive Veränderungen sorgen können.