Oberhausen. Eine Oberhausener Familie sieht die Selbstständigkeit als Weg aus der Perspektivlosigkeit. Das Jobcenter gibt aber keine Starthilfe. Warum?
Irgendwann hat Manuel Speer* aufgehört zu zählen, wie viele Bewerbungen er in seinem Leben geschrieben hat. Trotz Chemiestudium, Floristen-Ausbildung, Berufserfahrung als LKW-Fahrer und Bereitschaft, als Seiteneinsteiger an einer Schule zu beginnen, habe der 51-Jährige in den vergangenen zehn Jahren immer nur Absagen erhalten. Nur einmal habe ihn eine Schule nehmen wollen, in Berlin. „In die Hauptstadt zu ziehen und da ein Leben aufzubauen, hätte aber ein viel zu großes finanzielles Risiko bedeutet“, sagt seine Ehefrau Stephanie Speer*, die der Überzeugung ist: Das Jobcenter möchte ihren Mann, trotz seiner offenbar schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, in einem Angestelltenverhältnis sehen. „Sie wollen keinesfalls seine Selbstständigkeit unterstützen.“
Jobcenter bewertet Geschäftskonzept und persönliche Eignung
Aber wann fördert das Jobcenter überhaupt die Unternehmensgründung von Klienten? „Wenn jemand seine Hilfsbedürftigkeit beenden möchte, kommt entweder die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit infrage“, sagt Josef Vogt, Pressesprecher des örtlichen Jobcenters. „Da würden wir erst einmal keinen Unterschied machen.“ Unterstützen könne man den Weg in die Selbstständigkeit im zweiten Schritt allerdings nur dann, wenn ein Geschäftskonzept insgesamt „als tragfähig“ erscheine.
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Das heißt: Beim Jobcenter wird durch den Einbezug verschiedener Fachstellen eine Prognose abgegeben, ob die Geschäftsidee trägt und ob jemand persönlich für das Dasein als selbstständiger Unternehmer geeignet ist. „Jemand mag ein brillanter Handwerker sein“, sagt Vogt, „aber bei einem finanziellen Risiko wie dem Schritt in die Selbstständigkeit ist natürlich auch zu beachten, ob die Steuerpapiere Fragen aufwerfen oder jemand stark verschuldet ist“.
Im Teufelskreis der Verschuldung und Arbeitslosigkeit
Familie Speer sieht sich deshalb in einem Teufelskreis gefangen. Denn durch die jahrelange Arbeitslosigkeit hat sie tausende Euro Schulden angehäuft, wie sie berichtet – „nicht durch Luxusgüter, sondern durch Nebenkosten, Fixkosten, das alltägliche Leben“. Einen Kredit bei einer Bank könne man da vergessen, sagt Stephanie Speer, die selbst aus gesundheitlichen Gründen seit 2009 nicht mehr arbeitet. „Welche Optionen gibt es dann noch, wenn das Jobcenter nicht hilft?“
Andere Fördermöglichkeiten
Jobcenter-Sprecher Josef Vogt macht darauf aufmerksam, dass es neben dem Gründerzuschuss des Jobcenters weitere Möglichkeiten gibt, um finanzielle Unterstützung für die Unternehmensgründung zu erhalten. So bietet etwa die KfW zinsgünstige Gründerkredite.
Auf dem Existenzgründungsportal des Bundeswirtschaftministeriums (BMWi) betont man jedoch, dass die Bonität bei der Bewilligung von öffentlichen Förderprogrammen oft eine entscheidende Rolle spielt.
Bei geringem Kapitalbedarf ist eine Förderung über den Mikrokreditfonds Deutschland möglich. Dieser richtet sich an Vorhaben mit einem Kreditbedarf von bis zu 25.000 Euro. „Das Besondere hierbei ist, dass auch Gründer, die keinen Zugang zu Banken haben, einen Kredit erhalten können“, heißt es beim BMWi.
Von ihrer Geschäftsidee sind die beiden jedenfalls überzeugt: Sie wollen Blutanalysen und Gesundheitsberatung zu Themen wie Mineral- und Vitaminstoffen anbieten. Dabei soll auch das Wissen zum Einsatz kommen, dass Manuel Speer derzeit bei seiner Heilpraktiker-Ausbildung sammelt, die vom Jobcenter finanziert wird. Auch beim Jobcenter weiß man, dass Anstellungen als Heilpraktiker im Anschluss „so gut wie gar nicht möglich sind“. Stephanie Speer erwartet deshalb, dass ihrem Mann schon vor Abschluss der Ausbildung Perspektiven in die Selbstständigkeit eröffnet werden. „Statt ihn weiter in Maßnahmen und Bewerbungstrainings zu schicken, von denen er nichts hat.“
Gründerzuschuss von 5000 Euro möglich
Erhalten könnte Speer vom Jobcenter einen Gründungszuschuss in der Höhe von maximal 5000 Euro. „Das wäre aber kein Blanko-Scheck“, sagt Sprecher Josef Vogt. Es müsse gut erklärt werden, wofür das Geld aufgewendet wird. „Die konkrete Investition muss vorher finanziell dargelegt werden.“ Außerdem haben Wunsch-Gründer die Möglichkeit, zu bekommen, wobei Wissen aufgefrischt wird oder Marktanalysen gemacht werden. „Dabei wird immer auch die ganz aktuelle Situation auf dem Markt berücksichtigt“, sagt Vogt. Und da spiele Corona der Heilkunde nicht unbedingt in die Karten. „Aktuell suchen eben nur wenige Leute freiwillig eine Praxis auf.“
Corona oder nicht: Manuel Speer will weiter für seinen eigenen kleinen Betrieb kämpfen. Denn Bewerbungen habe er in seinem Leben schon genug geschrieben.
(*Name geändert)