Essen. Bei einer Digital-Konferenz des Initiativkreises Ruhr wird klar, wie ernst es um viele Start-ups steht. Firmen wie Urlaubsguru haben zu kämpfen.
Wenn Daniel Marx gefragt wird, welchen Wunsch er habe, dann sagt er: „Für mich kann ganz, ganz schnell Silvester kommen.“ Möge das Jahr 2020 schnell vorüber sein – abgehakt. Marx ist Mitbegründer des Reiseportals Urlaubsguru. Das Vorzeige-Startup aus Holzwickede leidet wie viele andere Tourismusbetriebe auch massiv unter den Folgen der Corona-Pandemie. Rund 40 von 160 Arbeitsplätzen sollen bei der Urlaubsguru-Mutterfirma UNIQ wegfallen. Zum ersten Mal nach fast acht Jahren am Markt sei sein Unternehmen auf finanzielle Hilfe von Banken angewiesen, berichtet Marx, um „die unmittelbare Zukunft des Betriebs abzusichern“. Während einer vom Initiativkreis Ruhr (IR) organisierten Digital-Konferenz geht Marx offen mit der schwierigen Situation um.
Der IR, ein einflussreiches Netzwerk mit Mitgliedskonzernen wie Eon, RWE, Evonik und Thyssenkrupp, hat in dieser Woche rund 100 Vertreter von Startup-Initiativen, Unternehmen, Investoren, Wirtschaftsförderungen, Industrie- und Handelskammern sowie Universitäten in einer Videokonferenz versammelt. Vom „digitalen Gründergipfel Ruhr“ sprechen die Organisatoren.
Die Start-up-Szene im von der Montanindustrie geprägten Revier zu beleben, gehört zu den Zielen, die beim Initiativkreis Ruhr derzeit im Mittelpunkt stehen. Umso alarmierter ist IR-Geschäftsführer Dirk Opalka angesichts der Corona-Krise. Sie bedrohe schließlich „insbesondere junge Unternehmen, deren Geschäft noch im Aufbau ist“, mahnt Opalka. Es stelle sich auch die Frage nach einer „Systemrelevanz der Gründer“.
„Stilles Sterben“ von Start-ups befürchtet
Neun von zehn Start-ups seien durch die aktuelle Krise beeinträchtigt – und rund zwei Drittel der Firmen sogar in ihrer Existenz gefährdet, heißt es in einer Studie, die der Bundesverband Deutsche Startups unlängst mit Unterstützung der Essener RAG-Stiftung erstellt hat. Es sei zu befürchten, dass unter dem finanziellen Druck der Corona-Krise verstärkt Gründungen eingestellt werden könnten, sagt Christian Lüdtke, der Geschäftsführer der Digitalberatung Etventure, der im Auftrag des IR auch als „Gründerkoordinator Ruhr“ agiert. Ein „stilles Sterben“ von Start-ups sei möglich, mahnt Lüdtke.
„Auch wir haben mit der Corona-Situation zu kämpfen“, berichtet Markus Hertlein, der Gründer des Gelsenkirchener Start-ups XignSys, das sich auf Cybersicherheits-Dienstleistungen wie die passwortlose Authentifizierung via Smartphones spezialisiert hat. Hertlein sagt, es komme derzeit häufiger vor, dass sich Verkaufsgespräche verschieben oder Kunden zurückhaltender seien. Dieser Tage arbeite sein Unternehmen aber auch an einer „Corona-App“, die den Kontakt von Bürgern zu den Gesundheitsämtern der Kommunen erleichtern soll. Hertlein sieht also nicht nur Risiken, sondern er wittert auch Chancen, die sich aus der aktuellen Lage ergeben.
Besuchsverbote an Krankenhäusern wirken sich auch auf Gründer aus
Britta Dombrowe, die sich beim Initiativkreis Ruhr um die Start-up-Aktivitäten kümmert, erwartet einen „Riesenschub für die Digitalisierung“. Gerade für die im Ruhrgebiet starken Branchen Cybersicherheit und Gesundheitswirtschaft gebe es Wachstumspotenziale, sagt sie.
Das Universitätsklinikum Essen hat ebenfalls enge Kontakte zu Start-ups geknüpft. „Die Universitätsmedizin Essen versteht sich als zentrale Entwicklungsplattform zur Digitalisierung des Gesundheitswesens“, sagt der Ärztliche Direktor Jochen A. Werner. Im Klinikalltag habe die Kooperation mit digitalen Talenten und Start-ups „eine ganz besondere Bedeutung“, erklärt er. Mit den Besuchsverboten an Krankenhäusern sei es für Gründer momentan aber schwierig, „Projektideen anwendungsnah in Kliniken zu erproben oder auch einzuführen“, sagt Werner. „Die Start-ups gehören aktuell zu den wirklich Leidtragenden der Corona-Pandemie.“
„Verlierer und Gewinner durch Corona“
Der Gelsenkirchener Gründer Markus Hertlein hebt die Bedeutung der Hochschulen im Zusammenhang mit der Entwicklung von Start-ups hervor. Bei der RWTH Aachen und der Ruhr-Universität Bochum zum Beispiel sehe er gute Ansätze. Urlaubsguru-Gründer Daniel Marx beschreibt es als einen Vorteil, dass sich die Start-up-Szene im Ruhrgebiet zunehmend vernetze. Er spüre einen „starken Zusammenhalt“, auch jetzt, da es durch Corona „Verlierer und Gewinner“ gebe.
Der Austausch mit anderen Gründern – wie etwa über die vom Initiativkreis Ruhr organisierte Digital-Konferenz – sei wichtig für das „Start-up-Ökosystem“, sagt Marx. Er wolle Mut machen – trotz der Existenzängste, die es nun bei Firmengründern gebe. Seine Hoffnung sei, in fünf, sechs oder sieben Jahren zurückblicken zu können mit der Erkenntnis, „diese Situation gemeistert zu haben“.