Oberhausen. Sascha Hawemann inszeniert fürs Theater Oberhausen die Uraufführung von „Herkunft“, dem biografischen Roman von Buchpreis-Träger Saša Stanišić.

Verdichten und verknappen kann eine Kunst sein – doch Sascha Hawemann sagt mit einiger Emphase: „Nee, Saša Stanišić gab uns seinen Text nicht, damit wir drüber huschen!“ Als Uraufführung zeigt das Theater Oberhausen am Freitag, 9. Oktober, um 19.30 Uhr eine gut zweistündige Premiere von „Herkunft“, nach jenem biografischen Roman, für den der 42-jährige Stanišić im Vorjahr den Deutschen Buchpreis erhalten hatte.

Saša Stanišić, Träger des Deutschen Buchpreises, will zur Premiere der Uraufführung von „Herkunft“ Oberhausen besuchen.
Saša Stanišić, Träger des Deutschen Buchpreises, will zur Premiere der Uraufführung von „Herkunft“ Oberhausen besuchen. © NDR | Stefan Albrecht


Es ist ein schwungvoll zu lesender, oft amüsanter und stets anrührender „Bildungsroman“ des Dichters als junger Flüchtling vor einem bleischweren Hintergrund: dem Zerfall Jugoslawiens während der 1990er Jahre in Kriegen, Völkermorden und „ethnischen Säuberungen“, wie es damals so zynisch hieß. Sascha Hawemann nennt die 360-seitige Quelle seiner Inszenierung „privat und sehr intim“. Aber Saša und Sascha haben nicht nur den Vornamen gemeinsam: Der 42-jährige Romancier hat sein Werk „einem halben Landsmann gegeben“, wie der elf Jahre ältere Regisseur sagt.

Als Kind aus einer „Partisanen-Familie“, so der 53-Jährige, spricht Hawemann bis heute konsequent von Jugoslawien. Er selbst wuchs in Ost-Berlin und Belgrad auf, verließ 1986 illegal die DDR und ging über Ungarn nach Jugoslawien. In Belgrad studierte er Germanistik und Regie an der Hochschule für dramatische Kunst – und kehrte mit Beginn der Jugoslawienkriege 1991 zurück nach Berlin. Als „Herkunft“ mit dem Drachen der Stanišić auf dem Cover erschien, erzählt der Regisseur, „hatte ich das Buch sechsmal auf dem Gabentisch“. Und die Lektüre machte klar: „Es war eine Begegnung mit meinem eigenen Leben.“

Das Geheimnis des schweigsamen Vaters

Das Oberhausener Ensemble hatte sich eine Hawemann-Inszenierung gewünscht dank seines Rufes als „Schauspieler-Regisseur“ und als Kenner slawischer Literaturen. Und er darf (jedenfalls für Oberhausener Verhältnisse) aus dem Vollen schöpfen mit vier Schauspielerinnen und vier Schauspielern in einer noch weit größeren Zahl von Rollen. „Torsten Bauer spielt zehn Figuren“, sagt Sascha Hawemann. „Ich habe drei Sašas, die im Wechsel oder gemeinsam auftreten.“

Ein großer Theaterabend soll es werden – aber mit viel Humor. Szene mit Clemens Dönicke, Agnes Lampkin und Henry Morales.  
Ein großer Theaterabend soll es werden – aber mit viel Humor. Szene mit Clemens Dönicke, Agnes Lampkin und Henry Morales.   © Theater Oberhausen | Katrin Ribbe

Die geheimnisvollste Gestalt in „Herkunft“ (dem Buch) allerdings gehört Sašas Vater, der erst ein halbes Jahr nach der Flucht seiner Frau und seines Sohnes ebenfalls Heidelberg erreichte. Saša Stanišić, der damals 14 Jahre jung war, erzählt hier sehr diskret: „Er macht den Krieg in Halbsätzen auf“, wie Hawemann sagt, „und lässt ihn gleich wieder verschwinden“. Für den Deutsch-Jugoslawen allerdings entschlüsseln sich Bilder, Zitate und Ortsnamen sofort: Stanišićs Geburtsort Višegrad war Schauplatz vielhundertfacher Morde an Zivilisten und Vergewaltigungen an bosnischen Frauen. Von den Gräueln des Jahres 1992 erzählte der Romancier bereits in seinem Debüt „Wie der Soldat das Grammofon repariert“.

Jugoslawischer Humor: schnell wie ein Fingerschnippen

Die im Buch geradezu schattenhafte Gestalt des Vaters, sagt Hawemann, „wird bei uns sehr greifbar“: eine Aufgabe für Clemens Dönicke an der Seite von Agnes Lampkin als Mutter. Doch Kern der Erzählung wie der Inszenierung bleibe „die Suche nach der Wurzel“ – auch jene der eigenen Kunst. Um Saša Stanišić gegen konkurrierende Bühnen von Hamburg bis Berlin für Oberhausen zu gewinnen, hatte Sascha Hawemann dem Jüngeren „einen ellenlangen Brief geschrieben: Scheinbar habe ich ihn überzeugt“.

Dem Oberhausener Publikum will er einen großen Theaterabend bieten – aber keinen bleischweren. Denn da ist noch der jugoslawische Humor, der – Hawemann schnipst mit dem Finger – „so schnell vom Schweren zum Leichten springt“. Dieser Witz sei „amoralisch, aber nicht unmenschlich“. Und dann sind da noch die coolen Jungs aus der Heidelberger Vorstadt, unter ihnen Saša, für die ein Tankstellen-Shop mit Blick auf den Neckar die Welt bedeutet.