Oberhausen. Von „Melancholie“ hat der junge Maler Yury Kharchenko genug: Seine neuen Gemälde zeigen Superhelden vor den Toren der NS-Vernichtungslager.
„Es ist gefährliches Terrain, das ich begehe“, sagt Yury Kharchenko in seiner bedachtsamen, gewählten Diktion. Der 34-jährige Maler, geboren in Moskau, aufgewachsen im Ruhrgebiet, unterhält seit einigen Jahren eines der Ateliers im Kunsthaus Haven: ein in der jungen Kunstszene erfolgreicher Pendler zwischen Oberhausen-Borbeck und Berlin-Charlottenburg.
Yury Kharchenkos großformatige und oft strahlend farbige Gemälde reflektieren seine jüdische Identität – und der Künstler ist damit gefragt für Gruppen- und Einzelausstellungen. Zunächst suchend und nahezu abstrakt verwiesen seine technisch virtuos gemalten „Häuser“, die im Jüdischen Museum Westfalen zu sehen waren, auf die zwölf Stämme Israels. In ähnlich raumfüllenden Formaten folgten imaginäre und zunehmend expressive Porträts von Größen aus ferner bis jüngster Vergangenheit: vom Philosophen Baruch de Spinoza bis zur Sängerin Amy Winehouse.
Comic-Gestalten vor den Toren des Todes
Und diesem irdischen Pantheon vor teils dramatisch-farbigen Kulissen lässt der Künstler seit einem Jahr grelle Superhelden folgen: Freche Cartoon-Anarchisten wie Bugs Bunny ebenso wie martialische Heroen wie Captain America. Yury Kharchenko hat sich allerdings nicht zum Comic-Zeichner gewandelt, sondern betritt das „gefährliche Terrain“, wie er selbst sagt: Er stellt die Helden unter einen Regen aus gelben Sternen. Es sind zugleich die hebräischen Symbole „Magen David“ (deutsch ‚Schild Davids‘) – und die 1941 vom NS-Regime ihren Trägern aufgezwungenen Zeichen der Entrechtung und Verhöhnung.
Andere Comic-Gestalten stellt der Maler vor die Tore des Todes: unter den zynischen Schriftzug „Arbeit macht frei“ von Auschwitz. Oder er lässt hinter Darkwing Duck und Bugs Bunny die Silhouette des Torhauses von Birkenau aufragen. Als Yury Kharchenko vor einem Jahr erste kleinere Formate mit diesen ungeheuerlichen Themen zeigte – aber noch nicht ausstellte – sagte er noch: „Erklären kann und will ich das jetzt nicht.“
Nun bietet der 34-Jährige eloquent nicht nur eine kunsthistorische Herleitung – sondern auch einen hohen Anspruch: Der Künstler, aus dessen Verwandtschaft 80 Menschen während der Schoah ermordet wurden, will mit seinem Werk eine Wende in der Gedenkkultur provozieren. Als Angehöriger der „dritten Generation“ habe er diese Chance.
„Ein Messias kommt immer zu spät“
Yury Kharchenko ist wohl bewusst, dass seine neuen Werke – zumal in den monumentalen Formaten von zweieinhalb mal zwei Metern – als „Spiel mit dem Zynismus“ empfunden werden könnten. „Man könnte es eine Verharmlosung der Opfer nennen.“ Bisher zeigten sich künstlerische Verweise auf die dunkelste Zeitgeschichte melancholisch, meint der 1986 in Moskau Geborene: „Wie die Kunst von Anselm Kiefer: schwer wie eine Tonne Stahl, die alles zerdrückt.“
Eine Million Euro für das UN-Flüchtlingshilfswerk
Beispiele der Kunst von Yury Kharchenko – wenn auch noch nicht der jüngsten Gemälde – sind in den nächsten Wochen präsent in einer großen Gruppen-Ausstellung. So zeigt das Kunstmuseum Bonn noch bis zum 13. September „Heart – 100 Artists, 1 Mission“: 100 Arbeiten sind dort Spenden für eine Kunst-Lotterie, darunter auch Kreationen ganz Großer wie Olafur Eliasson und Anish Kapoor.
Der Erlös von 25.000 Losen zu jeweils 40 Euro geht an das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Werden sämtliche Lose verkauft, sind dies eine Million Euro. Die Hamburger Kunsthalle (vom 20. Oktober bis 8. November) und die Berlinische Galerie (vom 18. bis 26. November) sind weitere Ausstellungs-Stationen von „Heart“.
Über die Modalitäten der Kunst-Lotterie informiert online uno-fluechtlingshilfe.de/kunst.
Kharchenko aber sucht einen Ausgang aus dieser Schwere – und seine Generation sei mit Superhelden-Comics und -Filmen aufgewachsen. Diese Heroen im Kampf gegen ebenso überdimensionierte Schurken seien nicht zufällig die Kopfgeburten jüdischer US-Zeichner. Nicht zufällig führten sie ihre ersten Kämpfe zur Rettung der Welt in den Jahren vor und während des Zweiten Weltkriegs. Auschwitz haben sie nicht verhindert – und Yury Kharchenko zitiert Franz Kafka: „Ein Messias kommt immer zu spät.“
Können Hasen und Enten, ausstaffiert mit Cape und Schlapphut und mit Hingabe gemalt, Argumente sein für eine kämpferische neue Position in der bisher mit Trauerflor ausgekleideten Gedenkkultur? Dem jungen Maler geht es nicht um Provokation als Selbstzweck. Er verweist auf „das Zerstörungspotenzial jedes Menschen: Auch Israels aktuelle Politik ist sehr gefährlich“.
„Notwendige Erzeugnisse unserer Kultur“
Kay Heymer, Leiter der Abteilung Moderne Kunst im Düsseldorfer Museum Kunstpalast und ein kundiger Beobachter des Oeuvres von Kharchenko, nennt die noch nicht öffentlich gezeigten Werke „notwendige Erzeugnisse unserer Kultur: Dafür sind Aufmerksamkeit und der unbedingte Wille zum Lernen nötig.“