Oberhausen. . Mit gekonntem Understatement und als Meister der Pausen las Michael Kumpfmüller aus seinem Kafka-Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“.
Es geht auch ohne Musik, ob live oder vom Band, ohne Sensationen oder Schauspielerei. Wie Michael Kumpfmüller mit gekonntem Understatement aus seinem Kafka-Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“ vortrug, ließ dieses nach der Seitenzahl eher schmale Werk keinen der Zuhörer im Literaturhaus unberührt.
Schließlich wurde der Roman, vielmehr dessen chinesische Übersetzung, bereits als „bester Roman des 21. Jahrhunderts“ ausgezeichnet, wie Gastgeber Harald Obendiek eingangs erzählte. „Der Preis heißt so“, ergänzte Michael Kumpfmüller amüsiert, „wird aber jährlich vergeben“. Aber im Jahr 2100 zu den besten 100 Romanciers zu zählen, sei auch schon was.
Kafka heißt im Roman nur „der Doktor“
„Es gibt Begegnungen, die sind unwiderruflich“, sagte der 57-jährige Literat, nachdem er von den glücklichsten – und letzten – elf Monaten im Leben Franz Kafkas (1883 bis 1924) erzählt hatte. Lange habe die Literaturwissenschaft dessen letzte Liebe, Dora Diamant (1893 bis 1952), am liebsten nicht zur Kenntnis nehmen wollen, habe sogar bestritten, dass beide ein Paar waren. „Ich finde Dora großartig“, sagte Michael Kumpfmüller.
Das findet auch der Zuhörer, wenn der Romancier im zweiten Kapitel seiner „Herrlichkeit des Lebens“ die 25-jährige Köchin für das Jüdische Volksheim vorstellt.
Dora ist mit den Kindern für die Sommerferien 1923 aus Berlin ins Ostseebad Müritz gezogen – den Kurort des tuberkulosekranken Kafka, der im Roman stets „der Doktor“ heißt. „Wenn ich unter ihnen bin“, sinnierte Kafka über die im Haus neben seiner Pension jiddisch singenden und sprechenden Kinder, „bin ich nicht glücklich, aber vor der Schwelle des Glücks“.
Genau so, Nähe und Beobachter-Distanz fein abgewogen, zeichnet Kumpfmüllers Roman die ersten Begegnungen zwischen Dora und dem Doktor. Als Lesender, der nur hin und wieder in sein Buch zu blicken schien, schuf der heute in Berlin lebende Münchner einen eigentümlichen Fluss, geprägt von einem sanft-melodischen bayrischen Tonfall. Zum Schluss der wohlgeformten Sätze verlangsamte Kumpfmüller gern.
Doras Odyssee quer durch Europa
Ein Meister der Pausen, die selbst schlichte Dialogsätze präzise pointieren: „Hast du ihn“, ein Atemzug, „getroffen?“ Die Sommerkapitel dieses literarischen Strandflirts beendete der Satz: „Dora kommt von Geschenk. Er müsste es sich nur nehmen, sie wartet darauf.“
Sommerhell und gar nicht trauerschwer klingt selbst das vorletzte Kapitel von Kafkas Tod im Sanatorium von Klosterneuburg bei Wien: „Er ist mutiger geworden an ihrer Seite. Oder war er erst mutig und dann an ihrer Seite?“
So wie Michael Kumpfmüller anschließend von den dramatischen Wendungen im weiteren Leben Dora Diamants erzählte, böte auch dies besten Romanstoff. „Eine Odyssee quer durch Europa“, so umriss er ihre Biografie.
>>> Der neue Roman führt an die US-Westküste
Der Kafka-Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“ ist bereits 2011 bei Kiepenheuer und Witsch erschienen und inzwischen auch als Taschenbuch erhältlich. Der „einfühlsame Roman“, so der FR-Kritiker, fand in den Feuilletons einhelliges Lob.
Michael Kumpfmüllers neuestes Werk „Tage mit Ora“ ist im August ebenfalls bei „Kiwi“ erschienen. Der SZ-Rezensent stellte diesen Roman einer USA-Reise in die große Tradition von Kurt Tucholskys „Rheinsberg“ und Max Frischs „Montauk“.