Oberhausen. . Als „Helden“ sieht Yury Kharchenko den 17-jährigen Herschel Grynszpan. Seine Schüsse boten 1938 dem NS-Regime den Vorwand für die Pogromnacht.

  • Als erfolgreicher Maler pendelt der 30-jährige Yury Kharchenko zwischen Oberhausen und Berlin
  • Von Mai bis September hat er Anteil an der großen Ausstellung „Luther und die Avantgarde“
  • Dort, im alten Gefängnis von Wittenberg, erinnert er an Herschel Grynszpan - einen Verwandten

Im Kunsthaus Haven, der nördlichen Hälfte der Havensteinschule, hatte er Bilder der kommenden Groß-Ausstellung schon während der „Kunstlicht“-Nacht gezeigt: Yury Kharchenko, der 30-jährige Maler zwischen Oberhausen und Berlin, hat von Mai bis September Anteil an einem Großprojekt des Reformationsjubiläums 2017. „Luther und die Avantgarde“ heißt die Ausstellung im alten Gefängnis von Wittenberg.

„Kunst ist für mich Freiheit“, sagt der in Moskau geborene, in Dortmund aufgewachsene Maler, „aber ich wollte unbedingt im Gefängnis ausstellen“. In der Lutherstadt ist er der Jüngste unter vielen Großkünstlern von Ai Weiwei bis Anselm Kiefer. Jonathan Meese ist er schon beim Einrichten seiner Ausstellungs-Zelle begegnet.

Yury Kharchenko
Yury Kharchenko © Benyamin Reich

Der 30-Jährige erinnert an den 17-jährigen Herschel Grynszpan, dessen verzweifeltes Attentat 1938 dem NS-Regime den Vorwand lieferte für die Pogromnacht des 9. November. In einem kleinformatigen Gemälde spiegeln sich Porträt und Selbstbildnis – darüber geschrieben die Frage: „Wie lange noch meine Identität verstecken?“

Für Yury Kharchenko ist Herschel Grynszpan nicht nur ein „Held“, weil er mit den fünf Schüssen auf den Botschafts-Attaché von Rath ein Zeichen gesetzt habe gegen die Verfolgung des jüdischen Volkes. Er zählt Herschel Grynszpan zur Familie: Sein Großvater hatte als Soldat der Roten Armee den sofort als jüdisch erkennbaren Namen Grynszpan abgelegt und den ukrainischen Namen Kharchenko angenommen. Noch viele Jahre nach Stalin drückte versteckter Antisemitismus die Sowjetunion, erklärt sein Enkel. „Darum wollte auch mein Vater den Namen nicht wechseln.“

Verwandt mit dem Attentäter von Paris?

Yury Kharchenko überlegt, den Familiennamen Grynszpan wieder anzunehmen – obwohl er sich mit dem elterlichen Namen als Künstler schon einige Bekanntheit erworben hat: „Aber es ist ein fiktiver Name, er gehört nicht zu mir.“ Sieht er denn zum Attentäter von Paris mehr als eine Namensgleichheit? Der Maler spricht von „hoher Wahrscheinlichkeit“ einer tatsächlichen Verwandtschaft. „Aber alle Dokumente gingen verloren.“

Künstlerisch trifft das Mysteriosum Herschel Grynszpan bei ihm einen Nerv. Im Dezember berichteten der englische „Guardian“ und andere Medien von einem im Jüdischen Museum Wien aufgetauchten Foto, das den Attentäter 1946 in einer Gruppe von Displaced Persons zeigen soll, die für ihre Ausreise nach Palästina demonstrierten. Hat Herschel Grynszpan die KZ-Haft und den Weltkrieg überlebt? Er wäre heute 95 Jahre alt.

Verzweiflungstat gegen den Terror

Yury Kharchenko hält es zumindest für denkbar, dass sein Held sogar gegenüber den eigenen Eltern weiter für tot gelten wollte: „Für ihn wäre es gefährlich gewesen, als lebend zu gelten.“ Grynszpan sei auch unter vielen religiösen Juden verhasst gewesen, weil er durch seine Verzweiflungstat den Terror der Pogromnacht über sie brachte – obwohl das NS-Regime auch jeden anderen Vorwand benutzt hätte.

In der prächtigsten Synagoge, die in Deutschland den 9. November 1938 überstanden hat, will Yury Kharchenko im Frühjahr seine Werke zeigen: Parallel zu „Luther und die Avantgarde“ bereitet er eine Einzelausstellung für Essens Alte Synagoge vor.