Oberhausen. Neun Milliarden Euro spendiert der Bund, um nach Jahrzehnten die nationale Wasserstoff-Wirtschaft zu puschen. Oberhausen hat das Knowhow dazu.
Das durch Corona noch schwerer gebeutelte VW-Unternehmen MAN Energy Solutions (MAN ES) will mit aller Macht die Wasserstoff-Wirtschaft in Deutschland vorantreiben – und auf dem Oberhausener Werksgelände an der Steinbrinkstraße einen bisher einzigartigen Wasserstoff-Campus errichten.
Dort sollen Uni-Energieexperten, Fraunhofer-Wissenschaftler, Turbinen- und Elektrolyseur-Hersteller sowie Großverbraucher des energie-reichen Wasserstoffs gemeinsam forschen und bauen – am besten eine 100-MW-Megaanlage zur Wasserstoff-Produktion inklusive Speicherungsmöglichkeit. Von dort soll der Wasserstoff dann an die energie-hungrige Industrie des Ruhrgebiets (Stahl, Chemie, Raffinerien) verteilt werden.
Die Ingenieure von MAN Energy Solutions können Wasserstofftechnik
„Wir können alles, was es braucht, um in der Wasserstofftechnik voranzukommen“, wirbt Betriebsratschef Helmut Brodrick bei einem abendlichen Werksbesuch von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in Oberhausen. Der hat vor kurzem mit seinen Minister-Kollegen die „Nationale Wasserstoff-Strategie“ mit einem neun Milliarden Euro schweren Förderpaket festgezurrt – und nun hoffen viele Städte in NRW, Wasserstoff-Champion zu werden.
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Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft, ist bisher aber in der Praxis mit einer Unmenge von Problem-Haufen belastet: Er muss mit sehr viel Strom aus Wind-, Sonnen- oder Wasserkraft hergestellt werden, er ist explosiv, er muss aufwändig zum Verbraucher transportiert – und dort meist wieder in Strom zurückverwandelt werden. Auf dem Weg verliert man viel Energie – und all das ist heute noch teuer.
Anschubfinanzierung aus Steuergeldern möglich
Deshalb geht ohne Anschub-Steuerförderung nichts. Und zudem fehlt ein Markt: Es gibt derzeit gar keine oder zu wenige Wasserstoff-Laster, Wasserstoff-Schiffe, Wasserstoff-Kraftwerke, Wasserstoff-Stahlerzeuger. Doch alle stehen unter Druck, denn mit Wasserstoff wären Industrieproduktion und Mobilität ohne das klimaschädliche Kohlendioxid möglich.
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Weltweit hat die Technik erhebliches Potential: In heißen und gebirgigen Ländern könnte man Wasserstoff umweltfreundlich und günstig erzeugen, per Pipeline zu den Industrie-Verbrauchern bringen. Doch wer baut die Anlagen?
Für Brodrick ist die Antwort klar: Die deutschen Ingenieure. „Uns läuft die Zeit weg, China und andere Länder geben hier Gas, wir dürfen den Markt nicht verlieren. Es muss schneller gehen.“ Das sieht auch Minister Heil so („Wir müssen jetzt ins Handeln kommen“) – und mit ihm auf allen staatlichen Ebenen wichtige Oberhausener Sozialdemokraten beim Treffen im Werk: Jens Geier (Europa), Dirk Vöpel (Bundestag), Sebastian Hartmann (NRW-SPD-Chef), Thorsten Berg (Oberhausener OB-Kandidat), Jörg Schlüter (IG Metall), Stefan Zimkeit und Sonja Bongers (Landtag).
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Alle sorgen sich um eine durch Corona beschleunigte De-Industrialisierung des Ruhrgebiets – die Wasserstoff-Wirtschaft könnte viele Industrie-Arbeitsplätze retten. „Die Wiege der Ruhrindustrie darf nicht zur Bahre der Ruhrindustrie werden. Das Ruhrgebiet kann die Lage nicht alleine bewältigen und benötigt jetzt Unterstützung von Land, Bund und Europa“, sagt Schlüter.
OB-Kandidat Berg sieht den Industriestandort Ruhrgebiet auf der Kippe und will bei seiner möglichen Wahl mit anderen Städten verstärkt zusammenarbeiten. Auch Heil verlangt eine abgestimmte Wasserstoffstrategie des Ruhrgebiets, um Erfolg zu haben. Besorgt sagt er: „Wenn das Ruhrgebiet ins Schlingern kommt, dann hat das ganze Land ein Problem.“
VW-Tochter mit hartem Sparprogramm
Der Vorstand des Großmotoren- und Turbinenherstellers MAN Energy Solutions (Augsburg) hatte im Juli 2020 angekündigt, jährlich 450 Millionen Euro einsparen und 3000 Arbeitsplätze in Deutschland abbauen zu wollen. Nach Verhandlungen mit den Betriebsräten fallen „nur“ noch 1650 Arbeitsplätze weg: 318 statt zuvor 560 in Oberhausen. Der VW-Konzern verzichtet für die nächsten vier Jahre auf den geplanten Verkauf seiner Tochter MAN ES.
Der Ausbau der Wasserstoff-Wirtschaft könnte für MAN ES ein neues Wachstumsfeld darstellen. Das Oberhausener MAN-Werk will erreichen, dass die Oberhausener Müllverbrennungsanlage GMVA eine 6-MW-Anlage zur Wasserstoff-Produktion betreibt – mit ihrem bei der Abfallverbrennung erzeugten Strom.
Der Oberhausener Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU) hat in den vergangenen Wochen mehrfach mit dem MAN-Vorstand telefoniert. Er lädt zu einer virtuellen Wasserstoff-Konferenz mit Fachleuten in der nächsten Zeit ein, um die Möglichkeiten für das Oberhausener Werk auszuloten.