Oberhausen. Die Oberhausener AfD zieht in den Wahlkampf mit ihrem Oberbürgermeister-Kandidaten Wolfgang Kempkes. Dabei ist er aus der Partei ausgetreten.

Sie nennen keine Adresse eines AfD-Büros in Oberhausen, sie geben keine Telefonnummern ihres Vorstandes oder ihres Oberbürgermeister-Kandidaten heraus, sie wollen aus Datenschutzgründen nicht die Namen ihrer Direktkandidaten in den 29 Oberhausener Wahlkreisen zusenden, sie laden Journalisten nicht zu ihren Parteitagen ein, sie wollen mit dieser Redaktion trotz mehrfacher Einladungen nicht über ihr Wahlprogramm und ihre politischen Ziele reden – und selbst auf harmlose inhaltliche Fragen antworten sie nicht. Der Oberhausener Kreisverband der AfD hüllt sich in Schweigen, dabei will er in den neuen Stadtrat einziehen.

Beim Wahlkampfauftakt der Oberhausener AfD in Sterkrade: Birgit Mumm (Listenplatz 5) und OB-Kandidat Wolfgang Kempkes.
Beim Wahlkampfauftakt der Oberhausener AfD in Sterkrade: Birgit Mumm (Listenplatz 5) und OB-Kandidat Wolfgang Kempkes. © AfD Oberhausen | AfD Oberhausen

Der ganze Verband schweigt? Nein, zumindest einer der AfD-Spitzenleute im Stadtgebiet, Wolfgang Kempkes, ist recht rührig, schreibt und kommentiert fast rund um die Uhr. Er versendet regelmäßig Pressemitteilungen mit Fotos an die Redaktion, widmet sich populären Themen: Wenn sich auf den Wegen der Ruhrwiesen Pfützen bilden, wenn auf Hinterhöfen Müll gammelt oder Abfalltonnen überquellen, wenn der Ruhrpark verdreckt wird, wenn die MAN-ES-Vorstände ein Drittel der Oberhausener Belegschaft kappen will, wenn die Brunnen im Stadtgebiet kein Wasser mehr geben oder wenn der Riesenbärenklau überhand nimmt.

Bei all diesen Themen stellt die AfD Forderungen auf. Beim Bärenklau hat Kempkes sogar Strafanzeige gegen die Stadt Oberhausen eingereicht –allerdings ist dafür in weiten Teilen das Wasseramt Duisburg-Meiderich zuständig.

Kempkes kommentiert gerne auf Facebook-Seiten

Wie auch immer: Fast jedes Thema, das die Redaktion auf der Facebookseite der WAZ Oberhausen platziert, wird von Kempkes dort kommentiert – gerne nachts.

Hier wollen die AfD-Politiker des Oberhausener Kreisverbandes einziehen – und ihre Chancen dafür stehen nach den Wahlergebnissen der Europa-, Landtags- und Bundestagswahl nicht schlecht: Der Ratssaal im Oberhausener Rathaus.
Hier wollen die AfD-Politiker des Oberhausener Kreisverbandes einziehen – und ihre Chancen dafür stehen nach den Wahlergebnissen der Europa-, Landtags- und Bundestagswahl nicht schlecht: Der Ratssaal im Oberhausener Rathaus. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Daher weiß man, dass Kempkes die Corona-Pandemie für nicht so schlimm hält, sondern die strengen Regelungen für die Wirtschaft („Lockdown-Maßnahmen – eine staatliche Reglementierung von Freiheitsrechten, die zu einer Wirtschaftskrise führten“); dass er den Klimawandel für keine besondere Menschheitsgefahr erachtet, Frauenquoten im Bemühen um mehr Gleichberechtigung als „undemokratisch“ und „Gender-Gaga“ ansieht und die Regierungszeit der Oberhausener SPD als „sozialistische Ära“ bewertet, die „mitverantwortlich war für den Abstieg unserer Stadt“.

Überraschende Wahl zum Oberbürgermeister-Kandidaten nach Austritt aus der AfD

Zum Oberbürgermeister-Kandidaten wählten die AfD-Delegierten Kempkes relativ überraschend. Der Betriebswirt, in Oberhausen 1966 geboren, ist eigentlich während seiner Arbeit als Pressesprecher des Kreisverbandes im Streit aus der Partei ausgetreten – im Frühjahr dieses Jahres nach heftigen Querelen über menschenverachtende Hetz-Kommentare auf den Facebook-Seiten der Oberhausener AfD und einzelner Vorstandsmitglieder.

Eröffnung des Oberhausener Wahlkreisbüros im April 2018 von Uwe Kamann (Mitte), Bundestagsabgeordneter. Er trat für die AfD an – und Ende 2018 aus der Partei aus. Neben Kamann stehen links Matthias Gellner (als Bundesvorsitzender des AfD-Mittelstandsforums aus der AfD im Juni 2019 ausgetreten) und rechts Wolfgang Kempkes.
Eröffnung des Oberhausener Wahlkreisbüros im April 2018 von Uwe Kamann (Mitte), Bundestagsabgeordneter. Er trat für die AfD an – und Ende 2018 aus der Partei aus. Neben Kamann stehen links Matthias Gellner (als Bundesvorsitzender des AfD-Mittelstandsforums aus der AfD im Juni 2019 ausgetreten) und rechts Wolfgang Kempkes. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Man konnte durchaus von außen den Eindruck haben, dass Kempkes, einst auch AfD-Landtagskandidat von 2017, den Uwe Kamann macht. Der Oberhausener Bundestagsabgeordnete ist Ende 2018 aus der AfD ausgetreten („Die Partei ist mir zu rechts geworden“), mit Grausen wandte sich der IT-Unternehmer schon zuvor vom hiesigen Kreisverband ab, weil dieser „von rechten Ideologen gekapert“ worden sei. Wolfgang Kempkes war sein Büroleiter und eröffnete mit Kamann gemeinsam das Wahlkreisbüro an der Elsässer Straße 35.

Doch nach seinem Austritt war Kempkes nur für kurze Zeit einfacher Bürger. Plötzlich teilte er Anfang Juli 2020 in einer Pressemitteilung mit, er sei jetzt der OB-Kandidat der AfD, und fasste seine Bewerberrede der AfD-Aufstellungsversammlung zusammen.

Alle Nachfragen nicht beantwortet

Sämtliche journalistisch üblichen Nachfragen wurden nicht beantwortet: Alter, Beruf, Wahlergebnis, Mitgliederzahl der AfD in Oberhausen, seine Ideen für die Verbesserung der Lebensqualität in seiner Heimatstadt oder zu seinem Austritt aus der AfD, um sich dann von der gleichen Partei als Direktkandidat für Alstaden-West, auf dem Listenplatz 3 und sogar als Bewerber für das höchste Stadtamt aufstellen zu lassen. Selbst auf seinem Lieblingsmedium Facebook ließ er Fragen von Bürgern offen, ob er nun Mitglied der AfD sei oder nicht. Weder schickte er der Redaktion auf Nachfrage seine Rede im Wortlaut zu noch seinen Lebenslauf.

Wolfgang Kempkes (rechts) organisierte als Landtagskandidat der AfD im Frühjahr 2017 eine Wahlkampfveranstaltung mit einem der bekanntesten AfD-Politiker in Alstaden: Guido Reil aus Essen (Mitte). Links sitzt der AfD-Kandidat für den Landtagswahlkreis 56 Michael Huth.
Wolfgang Kempkes (rechts) organisierte als Landtagskandidat der AfD im Frühjahr 2017 eine Wahlkampfveranstaltung mit einem der bekanntesten AfD-Politiker in Alstaden: Guido Reil aus Essen (Mitte). Links sitzt der AfD-Kandidat für den Landtagswahlkreis 56 Michael Huth. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

In einer Mail von Anfang Juli begründete Kempkes die Ablehnung für ein Kennenlern-Gespräch damit, dass er die bisherigen Berichte und Kommentare der Oberhausener Redaktion über die AfD missbilligt und deshalb die Grundvoraussetzungen für ein Treffen fehlen („Ihr Kommentar stellt keine Basis für ein zeitnahes Gespräch dar“).

Rätselhafte Buchstaben auf einem AfD-Flugblatt

Erst recht ein Geheimnis macht die AfD um ein Flugblatt, das der Kreisverband bereits im Juni an viele Haushalte verteilte und auf ihrer Internetseite platzierte. Darin fordert die AfD, Obdachlose besser zu unterstützen, ein neues Freibad zu errichten, einen positiven Bezug zu Deutschland im Schulunterricht zu fördern und Asylbewerbern statt Geld nur noch Sachleistungen zu geben. In dickeren Lettern steht die Überschrift: „Korruption verhindern!“, die dem Leser nahe legt, es habe in der Stadt bei Unternehmen oder im Rathaus Korruptionsfälle gegeben. Doch auch diese Fragen werden ignoriert: „Beruht diese Forderung, Korruption zu verhindern, auf Erkenntnissen, dass es in der Stadtverwaltung Oberhausen oder in Zusammenhang mit Oberhausener Unternehmen zu Korruption gekommen ist? Falls Ja, welche Fälle sind das?“

Wunderliche kyrillische Zeichen finden sich auf dem Oberhausener Flugblatt der AfD.
Wunderliche kyrillische Zeichen finden sich auf dem Oberhausener Flugblatt der AfD. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Auffällig ist, dass die Oberhausener AfD als ihre Adresse im Impressum nur die Geschäftsstelle ihres Landesverbandes in Düsseldorf auf dem Flugblatt angibt und darunter kyrillische Buchstaben gedruckt sind. Auf Fragen der Redaktion, nach den Gründen dafür und wie das Flugblatt finanziert worden ist, reagierte Kempkes natürlich mit Schweigen. Übersetzt lautet die Inschrift: Ostrowskij Aleksandr, Kiew - eigene Arbeit (in englisch). Kiew ist die Hauptstadt der Ukraine.

Über 14.200 Oberhausener stimmten 2017 für die AfD

Die AfD hat in Oberhausen nach eigenen Angaben in allen 29 Wahlkreisen Direktkandidaten aufgestellt. Von der für kleine Parteien wichtigeren Ratsreserveliste der AfD sind von ihr bisher nur fünf Namen bekannt gegeben worden: Auf Listenplatz 1 ist der Oberhausener AfD-Kreisverbandsvorsitzende Hartmut Mumm gewählt. Danach folgen Erich Noldus und Wolfgang Kempkes. Jörg Lange und Birgit Mumm sind auf Platz 4 und 5 platziert.

Die AfD hat in Oberhausen bei den vergangenen Wahlen gute Ergebnisse erzielt: Schon bei der Europawahl 2014 wurde die AfD mit knapp 6 Prozent von 4090 Oberhausenern gewählt, fünf Jahre später waren es bei der Europawahl im Mai 2019 bereits 10.000 Wähler (12,2 Prozent).

Bei der Bundestagswahl im September 2017 stimmten sogar 13,1 Prozent der Oberhausener für die AfD – immerhin 14.226 Wähler. Das war das bisher beste Stadtergebnis für die AfD in Oberhausen. Bei der Landtagswahl im Mai 2017 machten exakt 10.307 Wähler (11,0 Prozent) ihr Kreuz bei der AfD. Bei der letzten Kommunalwahl vor sechs Jahren und bei der Landtagswahl 2012 trat die AfD im Stadtgebiet noch nicht an.

Sollte die AfD am 13. September 2020 ein zweistelliges Ergebnis um die zehn Prozent holen, würde sie etwa sieben Ratssitze erobern. Eine Mindesthürde gibt es bei der Kommunalwahl nicht, schon ab 600 bis 800 Stimmen holt man mit großer Wahrscheinlichkeit einen Ratssitz.