Oberhausen. Heftiger Schock bei Beschäftigten, Familien, Gewerkschaftern, Stadtspitze und Politikern: Oberhausen verliert mehrere hundert Industriejobs.
Wie tief der Schock sitzt, ist aus ihren Gesichtern abzulesen: Seit Monaten grummelt es bei MAN Energy Solutions (ES), im Werk ahnen die 1800 Oberhausener Beschäftigten schon länger, dass die Wolken über ihren Köpfen immer dunkler werden: Erst die weltweit angestrebte Energiewende, die zunächst einmal weniger Turbinenmotoren für Kraftwerke benötigt, dann die Corona-Pandemie, die die ertragsträchtigen industriellen Dienstleistungen minimierte und die Diesel-Großmotoren durch die Flaute der Kreuzfahrtindustrie ins Abseits drängte. Und dann der Verfall des Ölpreises, der viele Stornierungen mit sich brachte, weil sich Projekte aus Sicht der Turbinen-Auftraggeber nicht mehr lohnten.
Seit Jahrzehnten Bau erfolgreicher Turbomaschinen in Oberhausen
Oberhausen baut seit Jahrzehnten für Raffinierien und Kraftwerke mit hervorragendem Ingenieurwissen – weltweit anerkannt – komplexe verlässliche Turbomaschinen und Kompressoren. Doch das Geschäft wurde und wird immer schwieriger.
Und die MAN-Mutter, der Volkswagen-Konzern, geht wegen des Diesel-Skandals sowie der Wende hin zu elektrischen Autos und dem Corona-Shutdown schon selbst finanziell durch schwierige Zeiten. Auch deshalb hat VW einen Käufer für MAN ES (früher MAN Diesel & Turbo) gesucht – und offenbar bisher keinen gefunden, der das Unternehmen in Gänze haben wollte.
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Seit dem gestrigen Mittwoch, der schwarze Mittwoch von Oberhausen, sind die Pläne der VW-Tochter nun amtlich: Die in Augsburg sitzende Konzernführung von MAN ES hat der 14.000-köpfigen Belegschaft weltweit an über 120 Standorten ihr einschneidendes, seit einiger Zeit erarbeitetes Sparprogramm vorgelegt: 3000 Arbeitsplätze sollen allein in Deutschland gestrichen werden, 460 bis 560 davon in Oberhausen. Die Standorte Berlin (450 Jobs) und Hamburg (150, Dampfturbinen-Produktion) werden überprüft, in Augsburg (Dieselmotoren) sollen 1800 Arbeitsplätze wegfallen.
Das ist viel schlimmer, als die dunkelsten Schwarzmaler erwartet hatten: Ein Drittel (!) der Belegschaft soll in Oberhausen abgebaut werden, hier verdienen seit vielen, vielen Jahren immerhin fast 2000 Beschäftigte ihr gutes Geld. „Für Oberhausen ist das eine Katastrophe“, sagt MAN-Betriebsratsvorsitzender Helmut Brodrick. „Mit diesem Ausmaß hat niemand gerechnet. Wir sind alle geschockt.“
Nach MAN-Betriebsversammlung: „Man muss das erst mal hinnehmen“
Aus Corona-Schutzgründen sind am Mittwoch die Mitarbeiter in mehreren verteilten Betriebsversammlungen im Werk an der Steinbrinkstraße 1 informiert worden – alle Anwesenden trugen Masken. Doch von außen wirkt es so, als sei alles irgendwie so normal wie immer.
Es gibt keine Grüppchenbildung vor dem Haupttor 6, ein Beschäftigter sagt so traurig wie nüchtern: „Es war ein Vortrag ohne Aussprache. Man muss es wohl erst mal hinnehmen und auf sich wirken lassen.“ Jeder will eigentlich wissen, ob seine Stelle nun bedroht ist oder nicht, doch wie zwei Arbeitnehmerinnen nicht weit vom Werkstor entfernt kurz berichten: „Details wissen wir auch noch nicht.“ Dann eilen sie zur nahen Haltestelle „MAN Turbo”.
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Ein bisschen Hoffnung gibt es noch: Denn nun erst beginnen die Verhandlungen der Konzernführung mit Betriebsrat und der Gewerkschaft IG Metall. Das Einsparvolumen soll 450 Millionen Euro betragen – fast eine halbe Milliarde Euro bei über drei Milliarden Euro Umsatz. Können vielleicht doch noch Stellen gerettet werden, wenn alle Arbeitnehmer auf garantierte Lohnbestandteile wie Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld verzichten? Kann man diese Riesensumme noch drücken?
Bedingungen der Gewerkschaften für Verhandlungen
Die Gewerkschafter haben durch die Mitbestimmung eine starke Stellung, kritisieren den massiven Personalabbau scharf und formulieren Bedingungen: „Betriebsbedingte Kündigungen müssen ausgeschlossen werden.“ Alle Standorte sollen erhalten bleiben. Der Oberhausener IG-Metall-Bezirkschef Jörg Schlüter verlangt „Garantien für den Verbleib bei Volkswagen“, wenn man verhandelt.
Der erfahrene stellv. Gesamtbetriebsratsvorsitzende von MAN Energy Solutions, Helmut Brodrick, meint, gerade in Oberhausen, der Wiege der Ruhrindustrie, müsse es unbedingt gelingen, qualitativ hochwertige Arbeitsplätze zu erhalten. „Zumal davon nur noch so wenige im Ruhrgebiet vorhanden sind.“ Er sieht sogar die Gefahr, dass „die Vorstandspläne die Basis für eine erfolgreiche Umsetzung der Unternehmensstrategie zerstören, einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten und bei der Wasserstofftechnologie voranzukommen“. Denn wer so viele Stellen streicht, verliert auch viel Expertise.
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Der MAN-Energy-Vorstand hat die Stadt Oberhausen rechtzeitig über die Hiobsbotschaft informiert. Über den Rückschlag für den Wirtschaftsstandort, über den Tiefschlag für die MAN-Beschäftigten zeigt sich Oberbürgermeister Daniel Schranz stark betroffen. „Das ist eine sehr schlimme Nachricht für die Arbeitnehmer und ihre Familien, aber auch für die gesamte Stadt. Neben allem Bemühen, uns wirtschaftlich in Oberhausen breit aufzustellen, wollen wir Industriestandort für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bleiben.“ Schließlich müsse die aufwändige und komplexe Energiewende bewältigt werden – und hier könne die deutsche Ingenieurskunst aus Oberhausen einen hohen Beitrag leisten.
„Wir sind solidarisch mit den Kolleginnen und Kollegen der IG Metall und den Betriebsräten bei MAN. Es darf keine betriebsbedingten Kündigungen geben, der massive Arbeitsplatzabbau muss abgemildert werden. Wir werden als Stadt Oberhausen alles in unserer Macht stehende tun, um mitzuhelfen, diese Ziele zu erreichen“, sagt Schranz.