Oberhausen. Um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen, verfolgt das Gesundheitsamt Infektionsketten zurück. Bis zu 60 Ermittler sind im Einsatz.

Das Telefon klingelt alle paar Minuten, die Bürotür geht auf und zu, der Schreibtisch füllt sich mit Laborberichten und Kontaktlisten. An diesem Freitag wartet nach Wochen des Corona-Ausnahmezustandes eigentlich ein früher Feierabend auf Birgit Komorowski – doch daraus wird nichts. Ein Oberhausener hat sich mit dem Corona-Virus infiziert und möglicherweise seine gesamte Familie angesteckt: Kinder, Frau, Großeltern. Die Hygienekontrolleurin muss heute noch dafür sorgen, dass Menschen unter Quarantäne gestellt werden. Und überprüfen, mit wem der Mann noch Kontakt hatte.

Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, setzt das Gesundheitsamt der Stadt Oberhausen „Corona-Ermittler“ ein. Mitarbeiter wie Birgit Komorowski spüren Kontaktketten auf, ordnen Testungen an, überwachen die Quarantäne. 60 Ermittler waren auf dem Höhepunkt der ersten Infektionswelle im Einsatz, die Behörde im Krisenmodus. Im März und April hieß das Schichtdienst und Rufbereitschaft bis zum Umfallen: 24 Stunden, sieben Tage die Woche. „Wir sind an unsere Grenzen gestoßen“, erzählt die 63-jährige Komorowski, die sich nach einem kurzem Urlaub von dem Stress ein wenig erholen konnte. Doch sie lobt auch die gute Zusammenarbeit auf dem Höhepunkt der Krise. „Wir haben rechtzeitig Unterstützung bekommen, alleine hätten wir das nie geschafft.“

Am Gesundheitsamt dreht sich alles um Covid-19

Denn eigentlich beschäftigt die Stadt nur fünf ausgebildete Hygiene-Kontrolleure (früher: „Gesundheitsaufseher“), denen die Detektiv-Arbeit nicht fremd ist. Wenn mal nicht gleich die ganze Welt von einer Pandemie lahmgelegt wird, überwachen sie alles, was mit Hygieneschutz und Infektionskrankheiten zu tun hat: Krankenhäuser, Arztpraxen, Tätowierer, Piercing-Studios, das Trinkwasser. Und egal ob Corona oder Masern-Ausbruch in der Schule, die Kontrolleure müssen herausfinden, wer die Erreger hat, wo sie herkommen, wer Kontakt mit den Infizierten hatte, um danach weitere Schritte einzuleiten. „Im Moment dreht sich alles um Covid-19. Wir kommen zu nichts anderem mehr.“

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Dass sich das Coronavirus in Oberhausen nicht so weit verbreiten konnte wie in anderen Städten und Kreisen, hängt auch mit der Arbeit der Corona-Ermittler zusammen. Und mit der Entscheidung, hier schnell mehr Personal einzusetzen. Zusätzliche Mitarbeiter aus anderen Bereichen des Gesundheitsamtes und der Stadtverwaltung wurden von Komorowski und ihrem Team nach und nach angelernt. Gemeinschaftsräume wurden in Büros umfunktioniert – bis diese nicht mehr reichten. Am Ende saßen zehn Kollegen, die allein für den Telefondienst zuständig waren auch noch im Bürgerzentrum Alte Heid.

Bis zu 200 Befunde täglich

Mittlerweile gehen nur noch zwanzig Ermittler dem Virus auf die Spur. „Wir können bei Bedarf jederzeit wieder hochfahren“, betont Gesundheitsdezernentin Sabine Lauxen. Die für Corona kurzerhand geschaffenen (Infra)Strukturen blieben weiter bestehen. Amtshilfe musste die Stadt nicht beantragen. Die vom Robert-Koch-Institut geschaffenen Jobs der „Containment Scouts“, die vielerorts von Studenten übernommen wurden, brauchte Oberhausen nicht. Lediglich vier Helfer des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen waren kurzzeitig im Einsatz.

„Als Ende Februar die ersten Meldungen aus Wuhan gekommen sind, hatten wir das Thema bereits auf dem Schirm. Doch der erste Hotspot erreichte uns dann schneller als gedacht, mit einem Optiker-Laden in Schmachtendorf und den Urlaubsrückkehrern aus Ischgl“, erzählt Birgit Komorowski rückblickend. Als dann die ersten Fälle in Seniorenheimen registriert wurden, sei ihr erst bewusst geworden, welches Ausmaß das Coronavirus annehmen würde.

„Teilweise haben wir täglich 200 Befunde bekommen, die gesichtet werden mussten.“ Allein ein Fall könne schon mal 50 Kontaktpersonen nach sich ziehen, die alle abtelefoniert werden müssten. Menschen, die alle wiederum Kontakt zu weiteren Mitmenschen gehabt haben könnten – eine Sisyphus-Arbeit. „An den Wochenenden sind wir zusätzlich noch rausgefahren und haben die Hygienemaßnahmen in den Altenheimen kontrolliert“, ergänzt die Kontrolleurin. Die Heime seien aber schon im Vorfeld gut aufgestellt gewesen.

Gesundheitsdezernentin: „Chance nicht vertun, aus Corona zu lernen“

Eigentlich kann eine wie Birgit Komorowski, die schon seit 1979 für das Oberhausener Gesundheitsamt arbeitet, so schnell nichts aus der Ruhe bringen, doch Corona sei „schon eine andere Hausnummer“. Es habe sich täglich etwas geändert. Noch vor der Sitzung des Krisenstabs mussten die Mitarbeiter in der Frühbesprechung auf den neuesten Stand gebracht werden: Gab es neue Fälle in der Nacht? Gilt ein neuer Erlass? Gibt es neue Vorgaben vom Robert-Koch-Institut? Hat sich etwas bei der Meldepflicht geändert? „Das was am Montag noch Gültigkeit hatte, war am Mittwoch schon wieder anders“, erinnert sich Komorowski und ist froh, dass das Team nun eingespielt und das Gröbste wohl überstanden ist.

Gesundheitsdezernentin Sabine Lauxen (li.) informiert sich über die aktuelle Lage bei Corona-Ermittlerin Birgit Komorowski.
Gesundheitsdezernentin Sabine Lauxen (li.) informiert sich über die aktuelle Lage bei Corona-Ermittlerin Birgit Komorowski. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Corona war und ist ein Test für die städtischen Institutionen. „Wir sollten deshalb auch nicht die Chance vertun, daraus zu lernen“, unterstreicht die verantwortliche Gesundheitsdezernentin Sabine Lauxen. „Personell und finanziell müssen wir in der Stadt langfristig aufstocken, damit wir auf solche Ereignisse schnell und flexibel reagieren können.“ Gerade in Sachen IT und beim mobilen Arbeiten habe man noch einiges aufzuholen.

Doch noch ist nicht nach der Krise, die Arbeit der Corona-Ermittler geht weiter. „Es war eine extrem stressige Zeit“, resümiert Birgit Komorowski. „Es ist etwas ruhiger geworden. Dafür sind die Fälle, die jetzt kommen, schwieriger.“

Vorgaben des Robert-Koch-Instituts

Anhand eines Prüfschemas des Robert-Koch-Instituts bewerten die Ermittler, wer zum weiteren Personenkreis eines Infizierten gehört und welche Art von Kontakt stattgefunden hat. Ein höheres Infektionsrisiko stellen Kontaktpersonen der Kategorie 1 dar. In die fällt jemand, der mit einem Infizierten länger als 15 Minuten direkten Gesichtskontakt (etwa bei einem Gespräch) hatte. In diesem Fall wird sofort Quarantäne angeordnet, die Person so schnell wie möglich getestet und darauf mehrmals täglich vom Gesundheitsamt bezüglich der Krankheitssymptome und Einhalten der Kontaktbeschränkungen kontrolliert.

Kategorie 2 umfasst einen Kontakt mit einem größeren Abstand oder kürzerer Dauer (zum Beispiel Schüler im Klassenraum). Personen können sich dann in eine freiwillige Isolation begeben. Für medizinisches Personal werden die Kategorien allerdings anders definiert. Dort gibt es noch zusätzlich die Kategorie 3. Bereits bei Verdachtsfällen – also, wenn noch kein Test-Ergebnis eines Abstriches vorliegt – recherchieren die Corona-Ermittler, um nicht wertvolle Zeit zu verlieren.

Kommunaler Ordnungsdienst überbringt Schreiben

„Dann nehmen wir sofort telefonischen Kontakt zu der Person auf“, erklärt Hygiene-Kontrolleurin Birgit Komorowski. „Wenn wir keine Nummer haben, wird sofort der Kommunale Ordnungsdienst hinzugezogen, der dann ein Anschreiben von uns überbringt, dass derjenige sich unverzüglich bei uns melden muss.“

Dann werde ein Gespräch mit dem Erkrankten geführt, wobei Symptome und Vorerkrankungen abgefragt werden. Über engmaschige Befragungen und mit Hilfe von Kontaktlisten, die die Betroffenen erstellen müssen, werde nach dem Überträger des Virus gesucht. Sowohl der Erkrankte und die Kontaktpersonen werden in der Regel unter Quarantäne gestellt. Das geht mit einer Ordnungsverfügung einher.

Alles wird kleinteilig nachgezeichnet und digital in einem Computersystem erfasst – von der Kontaktliste bis zum Laborbericht. In dringenden Fällen gehen die Tests ins Labor am EKO, dann liegen Ergebnisse teilweise schon am selben Tag vor.