Herne. Der Autor und Journalist Harald Jähner war zu Gast im Literaturhaus Herne. Sein Thema: die „Wolfszeit“ genannten Nachkriegsjahre in Deutschland.

Im Gespräch mit Klaus Füssmann von der Theodor Heuss-Akademie stellte Harald Jähner am Dienstagabend sein neues Sachbuch „Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945-1955“ im Literaturhaus vor. Das Buch ist mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden.

Unaufgeregt und ohne moralischen oder ideologischen Zeigefinger greift der Journalist und Autor hier ein Tabuthema der deutschen Geschichte auf: die Nachkriegsjahre. Anschaulich vollzieht er nach, wie aus dem anfänglich offenen Umgang mit den Ereignissen in den 50er Jahren eine Kultur des kollektiven Schweigens entstand.

Lebensfreude trotz katastrophaler Umstände

Die Nachkriegszeit ist Harald Jähners Thema.
Die Nachkriegszeit ist Harald Jähners Thema. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Jähner, selbst Jahrgang 1953, beschreibt, wie groß Loyalität und Lebensfreude trotz der zum Teil katastrophalen Bedingungen waren. Die durch den Krieg mobilisierten Flüchtlingsströme, Wohnungslosigkeit, Rationierung und Schwarzmarkt prägten den Alltag. Doch der befürchtete Überlebenskampf „aller gegen alle“, eine „Wolfszeit“, blieb aus, auch wenn viele Kriegsheimkehrer sich als Opfer sahen und mit ihrer Verbitterung die Beziehung zu ihrer Familie belasteten, die sich so lange unter Leitung der Frauen allein hatte durchschlagen müssen.

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Neun Millionen auf’s Land geflüchtete und dort misstrauisch beäugte Städter brachten zudem einen Modernisierungsschub in die Dörfer, sozial wie auch erotisch. Denn Tanzclubs schossen überall aus dem Boden, Zeugnisse einer ungebrochenen Lebenslust, auch mitten in den Trümmerlandschaften, in denen viele ihre Existenz durch Tauschgeschäfte auf den Schwarzmärkten sicherten. Und die sollten sich mit ihrer Relativierung der Werte als Staatsbürgerschule für die spätere Demokratie mit ihrer sozialen Marktwirtschaft erweisen, denn ohne ein Mindestmaß an Fairness konnte man auf dem Schwarzmarkt nicht überleben.

Zurückblicken wollten die Menschen nicht, das belegen viele Fotos aus der Zeit; sie wollten in stillschweigendem Einvernehmen das Geschehene hinter sich lassen. An die fesselnde Lesung im Literaturhaus schlossen sich noch viele Fragen und rege Gespräche an.