Oberhausen. Paulina Neukampf inszeniert drei der fünf „Prinzessinnendramen“ von Elfriede Jelinek an Stationen in der Innenstadt – „garantiert kontaktlos“.
Als die belesenen Juroren von der Schwedischen Akademie in Stockholm Elfriede Jelinek 2004 den Literaturnobelpreis zuerkannten, lobten sie „den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen“. Dass dieser einzigartige Redestrom – in Österreich gerne als „Suada“ ironisiert – sich womöglich ganz wunderbar während eines Hörspaziergangs erschließt: Diese Erkenntnis verdankt das Oberhausener Theaterpublikum der Corona-Krise. Am Freitag, 24. April, steigt um 18 Uhr vor der Lichtburg die Premiere der ersten von drei „Prinzessinnendramen“.
Romi Domkowsky zeigt auf ihren roten Ordner voller Genehmigungen. Die Dramaturgin macht deutlich: Es war ein gehöriger Aufwand, eine für den Saal 2 des Theaters konzipierte Inszenierung umzudenken und umzubauen zu einem „Soundwalk“ mit dem Prädikat „garantiert kontaktfrei“. Nach der ersten Probenwoche kam die Corona-bedingte Vollbremsung.
Spazierengehen als „neue Volksbewegung“
„Machen wir einen Film?“, fragte sich Paulina Neukampf. Die 39-jährige Regisseurin hatte sich in der vorigen Spielzeit mit der zauberhaften Inszenierung des Wimmelbilderbuches „Hier kommt keiner durch“ den Oberhausenern vorgestellt – ein großes Flanieren in stetig wechselnden Kostümen.
Die Filmidee für Jelineks „Prinzessinnendramen“ war nach zehn Tagen verworfen: „Jeder müsste bei sich zu Hause drehen“, resümiert Paulina Neukampf – und sah nur bedingten Charme unter solch „amateurhaften“ Produktionsbedingungen. Spazieren jedoch nennt Romi Domkowsky derzeit „die neue Volksbewegung“: Als Hörspaziergänge ließen sich Schauspiel-Abende gestalten, die „der Sehnsucht nach echten Ereignissen und echten Menschen“ entgegenkommen – „die nicht nur vor der Scheibe eines Bildschirms zu erleben sind“. Die Dramaturgin betätigte sich in Alt-Oberhausen als „Location-Scout“ und präsentierte schließlich über hundert mögliche Schauplätze.
Gesucht war eine produktive Reibung zwischen Stadtbild und jener Text- und Klang-Collage, die das Publikum auf seinem Hörspaziergang begleitet. Paulina Neukampf lässt als Beispiel den Anfang von Jelineks „Schneewittchen“ hören: Die Stimme raunt aus Waldestiefe, Vögel zwitschern – und der Hörspaziergänger flaniert in diesem Moment durch die gewundene Passage zwischen Elsässer und Langemarck-Straße.
„Die Betonschuhe des Patriarchats“
Und die drei Schauspielerinnen Susanne Burkhard, Agnes Lampkin, Lise Wolle sowie Daniel Rothaug? „Manchmal begegnen sie Ihnen wie ein Passant“, erklärt die Regisseurin, „manchmal in einer inszenierten Aktion“. An einigen Punkten der drei Spaziergänge stehen sogar Stühle bereit. Der gesprochene Text allerdings, betont Romi Domkowsky, „kommt immer über die Audiodateien“. Für den Saal 2 hatte Pascal Seibicke eine Ausstattung entworfen, die das Publikum in eine Wohnung versetzt hätte – aus der heraus sie dem Schauspiel zugesehen hätten. Elemente dieser „tollen Kulisse“ möchte die Dramaturgin entlang des Hörspaziergangs platzieren: weitere Anträge für ihre rote Mappe.
Drei Premieren für eine Inszenierung
Der erste Hörspaziergang mit Elfriede Jelineks „Schneewittchen“ startet am Freitag, 24. April, um 18 Uhr vor der Lichtburg, Elsässer Straße 26. Im Abstand von zehn Minuten dürfen höchstens zwei Hörspaziergänger einander folgen – bis zum letzten Termin um 19.30 Uhr. Nach demselben Schema geht’s am Samstag, 25. April, weiter mit „Dornröschen“ am Treffpunkt Druckluft, Am Förderturm 27, und am Sonntag, 26. April, mit „Rosamunde“. Dort startet der Soundwalk im Zentrum Altenberg, Hansastraße 20.
Jeder Hörspaziergang dauert zwischen 35 und 45 Minuten und kostet 5 Euro, zu buchen nur online über theater-oberhausen.de: Dann werden den Spaziergängern die Sounddateien fürs eigene Smartphone oder Tablet zugeschickt. Dramaturgin Romi Domkowsky empfiehlt, auf gut gefüllte Akkus zu achten.
Weitere Wochenenden mit den „Prinzessinnendramen“ sind 2. und 3. Mai, 8. bis 10. Mai, 15. bis 17. Mai sowie 19. bis 21. Juni.
Feministische Überschreibungen zweier vertrauter Märchen – von Schneewittchen und Dornröschen – sowie von der weniger bekannten „Rosamunde, Prinzessin von Zypern“ schuf Elfriede Jelinek in den 1990er Jahren. „20 Jahre sind viel in der Geschichte des Feminismus“, betont Paulina Neukampf. Zumal das Männerbild habe sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts sehr verändert. Die kämpferische Wienerin Jelinek nehme „eher die Frauen auf die Schippe“, meint die Regisseurin: „Die Betonschuhe des Patriarchats habt ihr euch selbst angezogen.“ Paulina Neukampfs Anspruch an ihre Inszenierung: „Ich möchte die Lücke zwischen den Geschlechtern eher schließen – und nicht zu einem Abgrund erweitern.“