Oberhausen. Noch wächst die Hülle um den Gasometer, der im Sommer für kurze Zeit komplett verpackt sein soll. Denkmalpfleger bestimmten den grauen Farbton.

Es sind Gipfelstürmer der anderen Art, die – ein halbes Jahr nach dem Ende der Erfolgs-Ausstellung „Der Berg ruft“ – das Geschehen am Gasometer bestimmen. Die Gerüstbauer der Gloser GmbH haben bereits in zwei von vier Bauabschnitten das knapp 118 Meter hohe Fassadengerüst in die Höhe gezogen. Dabei behalten sie den „Gipfel“ – oder besser: das Ziel – fest im Blick, nämlich das rund 30.000 Quadratmeter umfassende Gerüst unter Einsatz von rund tausend Tonnen Material zu komplettieren.

Korrosionsschutz-Experten streichen sonst Schiffe und Brücken

Von Mitte Juni bis August wird sich das Oberhausener Wahrzeichen für kurze Zeit komplett verhüllt zeigen. Dieser Coup hat jedoch nichts zu tun mit dem inzwischen 84-jährigen Künstler Christo Javacheff, der schon zweimal den Gasometer bespielt hatte – allerdings dessen Inneres. Sein aktuellstes Werk ankerte während des vorletzten Sommers als Pyramiden-Installation aus 7500 Ölfässern, genannt „London Mastaba“, im kleinen See des Hyde-Parks im Zentrum der britischen Metropole.

Nur für Schwindelfreie: Der Ausblick vom Gasometer-Gerüst auf Tennisplätze, Centro und das halbe Ruhrgebiet.
Nur für Schwindelfreie: Der Ausblick vom Gasometer-Gerüst auf Tennisplätze, Centro und das halbe Ruhrgebiet. © Gasometer GmbH | Dirk Böttger

In Oberhausen allerdings ist die so kunstvoll schimmernde Verpackung eine staubdichte Einhausung für die anstehenden Sanierungs-Arbeiten. Sobald eingehaust ist, beginnen die Experten der Rodopi Marine GmbH mit den Arbeiten am Korrosionsschutz. Die Düsseldorfer sind eigentlich Spezialisten für die Beschichtung von Schiffen und Offshore-Bauten. Ihr Referenz-Bauwerk ist noch weit größer als der Gasometer: Die Strelasund-Querung verbindet als eine der längsten Brücken Deutschlands die Insel Rügen mit dem vorpommerschen Festland. 2007 wurde diese dreispurige Hochbrücke über 4100 Meter fertiggestellt.

Spannung vor dem Beginn der Strahlarbeiten

Am Gasometer werden zunächst mit Feststrahl-Technik der Rost und frühere Beschichtungen von der Außenhülle und vom Dach entfernt. „Das Projekt ist trotz des stürmischen Frühjahrs und einiger Unterbrechungen bisher gut vorangekommen“, erklärt Projektleiter David Auerbach von Lindner Lohse Architekten. „Nun erwarten wir mit Spannung den Beginn der Strahlarbeiten, der unmittelbar bevorsteht.“ Erst dann wird sich umfassend das Schadensbild zeigen; dann erst sind die Stahlflächen von den schon historischen Lackschichten befreit – und es zeigt sich, wie dünn und brüchig die Stahlhülle tatsächlich ist. Auf die Strahlarbeiten folgt der neue Anstrich, der den Gasometer für viele Jahre in neuem Glanz erstrahlen lassen soll.

Schöner Bildband als Trost für die ausstellungslose Zeit

Vom aktuellen Fortschritt der Sanierung berichtet das Baustellentagebuch auf der Webseite gasometer.de. Die nächste Ausstellung in Europas höchster Ausstellungshalle ist für das Frühjahr 2021 geplant.

Ein schönes Souvenir aus dem doppelten Jubiläumsjahr 2019 – 90 Jahre als Industriebauwerk, 25 Jahre als Ausstellungsort – ist der Bildband „Gasometer Oberhausen“, erschienen im Klartext-Verlag, und für 14,95 Euro auch noch nach dem Ausstellungsfinale erhältlich. Und ab Montag, 20. April, sind auch wieder die Buchläden geöffnet.

Zum Farb-Einsatz kommt eine Mischung aus einem grauen Grundton mit einer oxydrötlichen Einfärbung. Diese Mischung beschreiben die Experten als „eine zeitgemäße Weiterentwicklung“ des ursprünglichen, bräunlich wirkenden Farbtons, der beim Wiederaufbau des Gasometers 1949 als Deckfarbe verwendet worden war. In der neuen Rezeptur mischt das mit der Farbzusammenstellung beauftragte Duisburger Unternehmen Geholit + Wiemer einen Anteil an Eisenglimmer hinein, der den Korrosionsschutz verstärkt. „Uns war es wichtig, dem Gasometer sein ursprüngliches Gesicht zurückzugeben“, erklärt Jeanette Schmitz, die Geschäftsführerin der Gasometer GmbH. „Dank der detaillierten Analyse der Farbschichten können wir dies nun in historisch korrekter Art und Weise tun.“

Insgesamt 14 Farbschichten auf der Gasometer-Hülle förderten die Laboruntersuchungen zutage, hier dokumentiert auf der „Freilegungstreppe“.
Insgesamt 14 Farbschichten auf der Gasometer-Hülle förderten die Laboruntersuchungen zutage, hier dokumentiert auf der „Freilegungstreppe“. © Gasometer GmbH | Dirk Böttger

Dafür war regelrechte Detektivarbeit erforderlich, denn der Gasometer erhielt in seiner bewegten jüngeren Geschichte mehr als einen Anstrich. Das zumindest ergaben die Untersuchungen der Restauratorin Susanne Conrad vom LVR-Amt für Denkmalpflege. Über die ganze Fläche der dünnen Stahlhaut verteilt wurden Proben genommen, anhand derer dann Querschliff, Pigment und Bindemittel analysiert wurden. Insgesamt 14 Farbschichten förderten die Laboruntersuchungen zutage.

Drei Musterbleche für die Farben-Analyse

Optisch veranschaulicht diese Farbenfolge eine sogenannte „Freilegungstreppe“, für die unter dem Mikroskop Farbschicht für Farbschicht abgetragen wurde – wie es ähnlich Archäologen bei ihren Grabungen dokumentieren. Da nicht der ganze Gasometer den Weg unter das Mikroskop antreten konnte, wurden an einem der Ausbläser drei 30 x 60 cm große Musterbleche herausgeflext. „Die Herausforderung war, die richtige Stelle am Gasometer zu finden“, erklärt Restauratorin Susanne Conrad, „damit wir auch alle aufgetragenen Farbschichten auf diese Weise sichtbar machen und dokumentieren konnten“.

Auf einer Musterfläche erproben die Fachfirmen den historisch verbürgten grauen Anstrich und den kontrastierenden Grünton aus den 1970er Jahren.
Auf einer Musterfläche erproben die Fachfirmen den historisch verbürgten grauen Anstrich und den kontrastierenden Grünton aus den 1970er Jahren. © Gasometer GmbH | Dirk Böttger

Neben der Deckschicht im grauen Grundton mit oxydrötlicher Einfärbung erhalten abgesetzte Elemente wie die Umläufe den bis dato verwendeten Grünton als Anstrich. „Die Farbauswahl orientiert sich am Befund der verschiedenen Farbschichten der Gasometer Außenhülle und der einzelnen Anbauteile“, erklärt Andreas von Scheven von der städtischen Denkmalbehörde. „Der Grünton der Anbauteile stammt aus den 1970er Jahren.“