Oberhausen. Dem Theater Oberhausen machte Günter Lamprecht in seinen Memoiren das schönste Kompliment: „Hier ist alles sinnlicher, hier ist es menschlicher“.
Den von Marlene Dietrich bis Udo Lindenberg viel besungenen „Koffer in Berlin“ kann sich Günter Lamprecht schenken – als gebürtiger Berliner. Der inzwischen 90-Jährige hat vielmehr eine Reiseschreibmaschine in Oberhausen: Die hat auch ein Köfferchen – eine braunbeige Triumph von 1959, damals abgestottert per Ratenzahlung. Eine herzliche Gabe fürs historische Archiv der Stadtsparkasse.
Will man mal warmherzige Worte eines wirklich Großen aus Theater und Kino über Oberhausen lesen, dann landet der Sucher im See der goldenen Zitate unweigerlich bei diesem Satz aus Günter Lamprechts Erinnerungen: „Hier ist alles sinnlicher, hier ist es menschlicher, hier fühlen sich nicht alle zu Höherem geboren.“ So schrieb es der begnadete Erzähler seiner eigenen Lebensgeschichte im zweiten Band mit dem Titel „Ein höllisches Ding, das Leben“. Wie dieser Lebenshungrige als 29-Jähriger seine Zeit am Theater Oberhausen genossen hat, ist darin mit Blick fürs lebenspralle Detail erzählt.
Von Bochum nach Oberhausen: „ein Abstieg“
Ein damals – 1960 – junger Schauspieler kurz nach dem Start seiner Karriere: da verklärt sich der Blick zurück, mag man sagen. Doch wirklich bemerkenswert ist Günter Lamprechts standfeste Treue: Noch im neunten Lebensjahrzehnt macht er dem Ruhrgebiet ehrliche Komplimente, kommt mit seiner Ehefrau Claudia Amm gerne zu Lesungen – und stiftet Memorabilien.
Dabei war doch der Weg nach Oberhausen für den gelernten Orthopädiemechaniker und späteren Stipendiaten der Max-Reinhardt-Schauspielschule ganz klar „ein Abstieg“. So sah es jedenfalls Hans Schalla, der berühmte Bochumer Intendant jener Jahre (von 1949 bis 1972), der dem kantigen Berliner sein erstes festes Engagement gegeben hatte – und naserümpfend von „Oberhäuschen“ sprach. Klar, Bochums Schauspielhaus ist ungleich größer und galt schon damals als eine der ersten Bühnen der Bundesrepublik.
Die genussvolle Kakophonie im Innenhof
Doch genau das meinte der selbstbewusste Proletarier Lamprecht mit seiner kleinen Spitze von den „zu Höherem“ Berufenen. Das mit etlichen An- und Umbauten aus einem Gasthaussaal entstandene Dreispartenhaus in Oberhausen beschrieb er in seinen Memoiren geradezu genussvoll kakophonisch: „In den Werkstätten wird von morgens bis abends gearbeitet. Da hört man die Koloraturen einer Sängerin, das Kreischen einer Bandsäge, einen Sänger bei der Probe mit begleitender Klaviermusik, das Hämmern aus dem Malersaal.“ So hörte er’s staunend im kleinen Innenhof.
Unserer Zeitungsgruppe anno 1959 hatte Günter Lamprecht für die Serie „Neu am Theater“ seinen Weg zum Schauspiel beschrieben: Der junge Orthopäde mit Gehilfenbrief hatte im Nachkriegs-Berlin einen Nebenjob als Sänger in der Jazzbar „Badewanne“ an Land gezogen – und wurde prompt für die Max-Reinhardt-Schauspielschule „entdeckt“. Selbst fürs Kino hatte der Amateurboxer bereits kleine Rollen im dreifachen Dutzend ergattert – und nennt diese Werke im Zeitungsinterview lässig „deutsche Edelschnulzen“.
Damit musste sich der Kraftkerl auf der Bühne nicht abgeben: Günter Lamprecht startete durch mit vier Premieren in den ersten vier Wochen – sinnigerweise mit Thornton Wilders „Unsere kleine Stadt“. Hauptrollen waren noch nicht dabei, aber auch vorm Operettenfach schreckte der 29-Jährige nicht zurück – und war der Kriegsgott Mars in „Orpheus in der Unterwelt“. Schließlich gab’s im Musiktheater 40 DM pro Vorstellung extra.
Ins feine Wiesbaden, ans „Krawattentheater“
Man wundert sich, dass Günter Lamprecht, der dann auch noch bei den Proben für Curt Flatows „Fenster zum Flur“ seine zukünftige zweite Ehefrau Gisela Zülch kennenlernte, sich nach nur zwei Jahren abwerben ließ. Und dann auch noch ins feine Wiesbaden, an dieses „Krawattentheater“. Lamprecht wunderte sich wohl selbst, denn in seinen Erinnerungen schreibt er: „Dieser Schauspieldirektor aus Wiesbaden war mir eigentlich sehr suspekt: eine eitle Offizierserscheinung.“ Nichts für den „Prolet vom Dienst“, wie sich der als Franz Biberkopf aus Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ Unvergessliche selbstironisch titulierte.
Theater-Chronik: Rund ums Schiller-Jubiläum
Die 1950er Jahre waren für das Theater Oberhausen eine Ära bisher noch nicht gekannter Stabilität: Seit 1949 leitete Dr. Alfred Kruchen als Intendant das Dreispartenhaus – und verabschiedete sich erst nach zehn Spielzeiten in den Ruhestand: Für Oberhausen war das ein Langzeitrekord.
1959 beginnt die Intendanz des aus Lübeck kommenden Dr. Christian Mettin. Zu seinem fast komplett erneuerten Schauspiel-Ensemble zählt auch Günter Lamprecht. Mit einem ganzen Festivalmonat feiert das Theater im November den 200. Geburtstag Friedrich Schillers. Auch Will Quadflieg kommt zu einer Lesung aus Briefen und Gedichten Schillers.
1960 gründen sich der „Oberhausener Theaterring“ und die „Volksbühne“ als eingetragene Vereine.
„Heftig, geradlinig und hochsensibel für alle Formen der Ungerechtigkeit“: So hatte sein Verleger, Helge Malchow von Kiepenheuer & Witsch, Lamprecht charakterisiert, als es 2010 galt, ihm in Oberhausen den großen Kulturpreis der Sparkassen-Kulturstiftung zu verleihen. Wenn so eine Berliner Urgewalt vom einstigen Kneipenleben rund um Theater und Ebertbad schwärmt – dann muss man das einfach glauben.