Es gibt auch ganz praktische Lieblingsorte. „Ich gehe gerne hier essen, es ist das naheliegendste.” Der Schauspieler Jürgen Sarkiss hat das Ristorante „Giu” gewählt, den Italiener am Ebertbad, keinen Steinwurf weit ist es bis zur Hintertür des Theaters.
Wer gelegentlich im Cafe Lux sitzt und den Schauspieler über die Elsässer Richtung Marktstraße gehen sieht oder wieder zurück zur Wohnung am Friedensplatz, der hätte eher auf ein Fußballfeld getippt. Die Beine. Wohl nur zu toppen vom legendären ehemaligen Rechtsaußen der Brasilianer, Garrincha, der hatte ein O- und ein X-Bein.
Jawoll, er hat aktiv gespielt bis rauf in die Bezirksliga, bis sich ein Freund in einem Spiel das Wadenbein gebrochen hat und das Gehirn sagte: „Das willst Du Dir nicht antun. Und zum Profi reicht es sowieso nicht.” Also hört die klassische „10” - „Die 10 muss nicht so viel laufen” - mit dem aktiven Fußball auf. 18, 19 ist Jürgen Sarkiss da, später spielt er auf einem anderen Feld, der Theaterbühne.
Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass er geboren wird. Dies passiert am 9. Juni 1968 in Hanau, weil es dort ein Krankenhaus gibt. Die Eltern wohnen rund sieben Kilometer weiter weg, in einem Städtchen namens Bruchköbel, rund 20 000 Einwohner heute. Dort geht Jürgen Sarkiss zur Schule, später dann in Hanau auf das Carl Weber Gymnasium. Er ist nicht der allerbeste Schüler, leistet sich eine Ehrenrunde und macht 1988 sein Abitur. Anschließend leistet er rund zwei Jahre lang in der Martin-Luther-Stiftung, die auch zwei Altenheime betreibt, seinen Zivildienst ab, er verbringt einfach 'ne Menge Zeit, bis er dann doch studiert, Philosophie und Germanistik an der Johann-Wolfgang-von-Goethe Universität in Frankfurt am Main.
Musikkneipe in Frankfurt geleitet
Intensiver betreibt er die Nebentätigkeit, Jürgen Sarkiss leitet eine Zeit lang als Geschäftsführer eine Musikkneipe in der Hessen-Metropole, arbeitet abends auch als Ankleider am Schauspiel Frankfurt, sein erster Kontakt mit Theater überhaupt, als Schüler ist ihm dies fremd geblieben. Dort stößt er auf eine Theatergruppe, deren Leiter Co-Intendant in Kiel wird und ihn fragt, ob er nicht Lust habe mitzukommen in die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt: „So bin ich ans Theater gekommen.” Die Mutter hätte es damals lieber, er würde „was Gescheites” machen, der Vater sieht das alles etwas entspannter: „Aber Vertrauen haben sie schon in mich gehabt, dass das irgendwie irgendwas wird. Außerdem waren die so etwas von mir gewöhnt, ich war von Anfang an ein Träumerle. Die wussten wohl, dass aus mir kein Staranwalt oder Manager wird.”
Kiel, Schauspiel: „Eigentlich hat Musik mich immer mehr interessiert, deshalb hat die Zeit in den Clubs mit den Live-Bands auch soviel Spaß gemacht. Mit denen zu schnacken war wunderbar, das ist ein eigener Schlag Menschen, den ich sehr mag. Ich habe zwar verabsäumt, ein Instrument zu lernen, aber das hole ich nach.” Zurzeit lernt Jürgen Sarkiss als Autodidakt Gitarre, Schule kommt nicht infrage, die hat er schon nicht gemocht, als er hinmusste: „Jeder Tag war eine Quälerei.”
Bei Stein im Faust-Marathon
Vier Jahre bleibt Jürgen Sarkiss in Kiel, auch Elisabeth Kopp ist dort im Ensemble, die beiden werden ein Paar, bekommen eine Tochter, die in Eckernförde geboren wird, leben immer noch zusammen. Er liebt die Nähe zum Meer, den ständigen Wind, die Musikszene ist lebendig - und er lernt Peter Carp kennen. Bevor er zu ihm nach Luzern kommt, stehen aber noch Engagements am Düsseldorfer Schauspielhaus und ein Jahr am Berliner Ensemble bei Claus Peymann an. Jürgen Sarkiss gehört zum Ensemble, mit dem die lebende Theaterlegende Peter Stein um die Jahrtausendwende „Faust I” und „Faust 2” als 23-Stunden-Projekt in Szene setzt und u.a. bei der Expo in Hannover aufführt.
Man schreibt das Jahr 2004, als Peter Carp Schauspieldirektor in Luzern wird. Er fragt Jürgen Sarkiss, ob er nicht Lust habe... Der junge Schauspieler hat Lust - und spielt vier Jahre lang von der Tragödie bis zum Boulevard alles rauf und runter. Es scheint ihm Spaß zu machen, dem Mimen, für den Regisseure überzeugend sein müssen, wenn er ihre Anweisungen befolgen soll, der sich nicht gern gängeln lässt. Offenkundig ist Peter Carp ein solcher, ihm folgt Sarkiss 2008 nach Oberhausen, begeistert sofort als Woyzeck und derzeit wieder als Jesus Christus in der „Oberhausener Johannes-Passion”.
Bei der Lied-Stimme hält das Publikum den Atem an
Eröffnungsfest zur ersten Carp-Spielzeit Ende August 2008. Jürgen Sarkiss singt bei der Vorstellung des ersten Spielplanes aus der Waits-Opera „Woyzeck” und die Menschen halten den Atem an ob dieser wunderbar lyrischen Stimme. Jetzt angesprochen, ob er nicht als Sänger mehr verdienen könne denn als Schauspieler, lacht er: „Nein, es gibt so viele gute, die rumknapsen.” Sarkiss ist ein wirklich guter, eine Stimme von elegischer Schönheit, Träumerle-Timbre zum Träumen. Ja doch, gibt er ein wenig nach, „irgendwann werde ich wohl auch eine Band haben und in der freien Zeit durch die Clubs ziehen. Aber für einen Popstar bin ich nun wirklich zu alt.”
Ein paar Jahre hat er in Berlin gelebt, „da würde ich nicht hin zurück wollen”. Nein, die Sehnsucht nach großen Städten habe er nicht wirklich. Jürgen Sarkiss mag das Meer, im Süden, wo das Klima weicher ist, aber auch der Ostseewind um die Nase hat ihm gefallen, die Berge um Luzern: „Ich habe Sehnsucht nach Orten, die ich nicht kennen, das müssen keine großen Städte sein.”
Und Oberhausen? „Keine Berge, kein Meer. Die Extreme finden in der Stadt statt. Hier ist der Indikator um zu erkennen, was in Deutschland passiert, wie es auseinander geht mit Arm und Reich, wie sich Hoffnungslosigkeit breit macht. Hier gibt es keine Arroganz und Horváth sagt ja, dass man sich nie sinken lassen darf. Irgendwie ist Oberhausen eine Stadt, der man wünscht, dass es ihr einmal besser geht.” Zum Ende der Spielzeit kommt Jürgen Sarkiss mit einem eigenen Songabend in die b.a.r., will damit um Oberhausen auf Tour.” Vielleicht mit einem Oberhausener Song, der die Befindlichkeiten der Stadt mit denen des Jürgen Sarkiss mischt. Und mit dieser Stimme.