Oberhausen. . Polizeipräsident Ingolf Möhring hält wenig von Videoüberwachung. Er bevorzugt andere Methoden, um das Sicherheitsgefühl der Bürger zu stärken.
Herr Polizeipräsident, in Ihrer dreieinhalbjährigen Oberhausener Amtszeit sank die Zahl der registrierten Straftaten um 16 Prozent, die Aufklärungsquote erhöhte sich um 9 Prozent. Ist das Ihr Verdienst?
Ingolf Möhring: Nein, natürlich nicht. Es ist der Verdienst der Kolleginnen und Kollegen. Was ich mir vielleicht anrechnen lassen darf ist, dass die Führungsentscheidungen in dieser Behörde angesichts dieser Entwicklung nicht ganz falsch gewesen sein können.
Kann es aber auch sein, dass die offiziellen Kriminalitätszahlen viel zu niedrig ausfallen, weil viele Bürger Straftaten gar nicht mehr melden, weil sie nicht mehr glauben, dass die Polizei den Täter schnappt?
Grundsätzlich hat auch die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik -- wie jede Statistik -- Schwächen, die seit Jahrzehnten bundesweit diskutiert werden. Die Kritik daran ist genauso wenig neu wie die Tatsache, dass aus verschiedenen Gründen nicht alle Straftaten der Polizei gemeldet werden.
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Wir bilden in der Statistik nur das Hellfeld ab, also das, was uns bekannt geworden ist.
Das Unsicherheitsgefühl der Bürger steigt
In ganz Deutschland ist die Zahl der von der Polizei erfassten Straftaten gesunken. Doch die Menschen fühlen sich immer unsicherer, glauben den Statistiken nicht. Warum haben so viele Bürger das Vertrauen in die Polizei verloren?
Nach allen Umfragen schätzen die Bürger die Polizei immer noch sehr. Richtig ist aber ein steigendes Unsicherheitsgefühl von Bürgern, obwohl objektiv die Kriminalitätslage besser geworden ist. Doch dieser Trend hat nicht nur etwas mit Kriminalität zu tun, sondern mit vielen Faktoren: Das fängt mit einer unübersichtlicher gewordenen Weltlage an. So werden zum Beispiel die einst ehern erscheinenden Institutionen wie die NATO oder die EU in Frage gestellt. Konflikte an den Rändern Europas und die weltweite Migrationslage tragen ebenso dazu bei, wie die Sorge vor wirtschaftlichen Veränderungen. Das alles führt nicht zu einem Gefühl der Sicherheit.
Wie kann man aber gleichwohl das Sicherheitsgefühl der Bürger vor Ort stärken?
Das Thema ist äußerst wichtig für alle. Deshalb versuchen wir in den letzten Jahren, aktiv gegen die grassierende Unsicherheit zu arbeiten: Wir haben die mobile Wache, wir haben bald die neue Anlaufstelle Marktstraße, wir gehen deutlich gegen Drogendealer am Hauptbahnhof vor. Wir müssen die Bürger überzeugen, dass wir nur gemeinsam ein akzeptables Maß an Kriminalität erreichen können. Das Vertrauen der Bürger ist Voraussetzung dafür, dass die Polizei noch bessere Ergebnisse liefern kann.
Kann man das Sicherheitsgefühl stärken, indem man in Oberhausen mehr Plätze mit Videokameras überwacht oder mehr Polizisten Streife laufen lässt?
Wenn man stärker per Video überwacht, kann man vielleicht das Sicherheitsgefühl heben, doch in der Regel führt das nur zu Verdrängungseffekten. Drogendealer machen dann ihre Geschäfte um die Ecke. Mit mehr Präsenz von Polizisten allerdings kann man tatsächlich das Sicherheitsgefühl stärken – wir wollen das in Zukunft weiter ausbauen.
Warum hat es dann so viele Jahre gedauert, bis Sie sich dazu durchgerungen haben, eine Art Wache an der Marktstraße zu installieren – mit Präsenz von Präventionsexperten, Bezirksbeamten und städtischen Ordnungskräften?
Am Anfang hat man gefordert, eine echte Wache an der Marktstraße zu installieren, weil dort angeblich ein Kriminalitätsschwerpunkt sei. Doch eine Wache im polizeifachlichen Sinne bedeutet weniger Personal auf der Straße: Man muss Polizisten rund um die Uhr, doppelt besetzt, dort einsetzen. Effizienter ist die mobile Wache. Und auf der Marktstraße richten wir eine Anlaufstelle mit unseren Kriminalitätsvorbeugern und Bezirksbeamten ein. Aber es wird keine echte Wache geben. Die macht aus polizeifachlicher Sicht keinen Sinn – das Polizeipräsidium ist ja nur wenige Meter entfernt.
Keine Ferndiagnose zur Pannenserie in Lügde
Was die Bürger auch verstört, ist eine solche Pannenserie der Polizei wie beim Kindermissbrauchsfall in Lügde. Werden Polizisten in NRW zu schlecht ausgebildet? Oder hat die Polizei ein Strukturproblem?
Es wäre ein großer Fehler, wenn ich hier Ferndiagnosen anstellen würde, was in Lügde schief gelaufen ist. Aber grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Polizei-Ausbildung heute so gut ist wie sie früher noch nie war. Ich glaube, dass in NRW die polizeiliche Behördenstruktur mittelfristig reformiert werden muss: NRW hat zurzeit 47 Kreispolizeibehörden, andere große Flächenländer wie Bayern oder Baden-Württemberg kommen mit 12 oder 13 Kreispolizeibehörden aus. Sofort ist dann bei schwierigen Kriminalitätsfällen, bei denen man hohen Sachverstand konzentriert benötigt, die Zuständigkeit einer großen Einheit mit Fachleuten klar.
Gibt es in der Polizei nach Ihren Erfahrungen einen guten oder einen schlechten Korps-Geist? Wird Fehlverhalten aus falscher Kameraderie gedeckt?
In Einzelfällen gibt es das sicher, aber man darf das nicht verallgemeinern. So haben wir in meiner Oberhausener Zeit gegen einen Kollegen ein Verfahren eingeleitet, der bei einem Einsatz nach Meinung seiner Kolleginnen und Kollegen überreagiert hat. Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Polizei heute eine deutlich bessere Fehlerkultur als früher hat.
Wir verheimlichen nichts
Nachbarstädte stöhnen über libanesische Clans, die Mafia, Straßenprostitution und brutale Rockerbanden. Hier scheint es relativ ruhig zu sein. Hat Oberhausen keine Probleme oder halten Sie das unter die Decke, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen?
Nein, wir verheimlichen nichts. In diesem sensiblen Bereich der Sicherheit müssen wir den Bürgern klar sagen, wo die Probleme liegen. Nicht um zu dramatisieren oder um ständig mehr Personal zu fordern, sondern um Realismus und Sachlichkeit in die oft aufgeregten Debatten zu bringen. Natürlich wirkt es merkwürdig, dass ständig andere Ruhrgebietsstädte mit Bandenkriminalität erwähnt werden und Oberhausen wie eine Insel der Seligen erscheint. Wir haben deshalb noch einmal ganz genau hingeschaut – Stand jetzt: Es gibt noch keine verfestigten Clan- Strukturen, aber es besteht die Gefahr, dass der Druck in den anderen Städten zu Verdrängungseffekten führt und die Banden sich hier niederlassen. Darauf werden wir dann passende Antworten geben. Sollte sich etwas verändern, sind wir gut aufgestellt. Darüber habe ich erst letzte Woche den Polizeibeirat informiert.
Regeln werden nicht mehr so einfach akzeptiert
Im Vergleich zu früher halten sich Menschen als Verkehrsteilnehmer offenbar immer weniger an Regeln: Sie gehen über Rot, radeln auf der falschen Seite oder fahren zu schnell. Woran liegt das?
Es ist ein Phänomen dieser Gesellschaft, dass Regeln nicht mehr so einfach akzeptiert werden. Menschen meinen, wenn es ihren Interessen dient, dann könne man sich über alle Regeln hinwegsetzen. Das macht mir Sorgen. Was früher durch Erziehung geregelt worden ist, da ruft man heute die Polizei.
Sie sind täglich aus Dortmund nach Oberhausen gependelt. Welche Mentalitätsunterschiede haben Sie zwischen Westfalen und Rheinländern festgestellt?
Ich habe den Eindruck, dass weder die Dortmunder typische Westfalen sind noch Oberhausener typische Rheinländer. Beide sind typische Ruhrgebietler mit ihrem direkten Charme, ich sehe da keine großen Mentalitätsunterschiede.
Was hat Sie in Ihrer Oberhausener Amtszeit als Polizeipräsident besonders beschäftigt?
Am schwierigsten war für mich der Anfang – es hätte nicht so dicke kommen müssen: Die Anschläge in Paris, in Brüssel und auf dem Berliner Weihnachtsmarkt, die Kölner Silvester-Attacken auf Frauen, die Diskussionen um eine selbst ernannte Bürgerwehr hier in Oberhausen, Gerüchte über einen möglichen Anschlag im Centro, zum Glück misslungene Anschläge auf örtliche Flüchtlingsunterkünfte.
Beschäftigt haben dürfte Sie ja auch, dass Sie mit Ihrer Mannschaft und den Kriminalbeamten für den Umbau aus dem alten Polizeipräsidium an die Lindnerstraße ziehen mussten – und dann passiert dort im Innenausbau am Friedensplatz gar nichts.
Ja, seit einem Jahr warten wir darauf, dass es endlich vorangeht, und die Umbauphase begonnen wird. Das Polizeipräsidium ist im Eigentum des Bau- und Liegenschaftsbetriebs NRW (BLB) und der soll in den nächsten Tagen ein konkretes Mietangebot vorlegen. Das Innenministerium hat sogar zugesichert, dass es bereit ist, eine höhere Miete für das Oberhausener Polizeipräsidium zu zahlen, weil das Gebäude historisch wertvoll ist und eine besondere Bedeutung für die Stadt hat. Allein aus polizeifachlicher Sicht gibt es aber auch Alternativen.
Zieht Ihre Mannschaft womöglich gar nicht mehr zurück an den Friedensplatz?
Das kann durchaus sein. Geplant ist eigentlich, dass wir mit allen noch am Friedensplatz und am Wilhelmplatz in Sterkrade arbeitenden Teams übergangsweise auf das ehemalige Babcock-Gelände an der Duisburger Straße ziehen – für drei- bis vier Jahre Umbauzeit der bisher genutzten Gebäude. Doch wenn bald kein akzeptables Miet-Angebot vom BLB kommt, dann werden wir die Alternativplanungen weiter voranbringen.. Denn wir brauchen funktionsfähige Gebäude, in denen man polizeifachlich effizient ohne Umwege arbeiten kann. Heute müssen festgenommene Täter nach ihrer Vernehmung durch Kriminalbeamte an der Lindnerstraße erst zeitaufwändig zum Friedensplatz gebracht werden, um dort erkennungsdienstlich behandelt zu werden. Das kostet Zeit und Ressourcen, die wir nicht haben.
Was wünschen Sie Ihrem Präsidium hier für seine Zukunft? Mehr Leute, mehr Fahrzeuge, keine Kriminalität mehr?
Ich wünsche mir, dass die Politik ihren Weg fortsetzt, der Polizei mehr Personal und eine bessere Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Da hat die Vorgängerregierung schon gut begonnen, der jetzige Minister hat noch zweimal draufgelegt: Wir werden jetzt im Herbst 2019 rund 2.500 Polizeianwärter/innen einstellen, unter Innenminister Dr. Ingo Wolf waren es mal nur rund 500. Denn das Problem Kriminalität wird sich nicht irgendwie erledigen: Die Ursache von Kriminalität liegt maßgeblich auch im zunehmenden Wohlstandsgefälle in Deutschland und Europa. Das ist für mich der wahre Nährboden für Straftaten -- und nicht, ob sich bestimmte Ethnien in Deutschland aufhalten.