Oberhausen. . Drei syrische Brüder sind nach getrennter Flucht in Oberhausen vereint. Sie wollen nach vorn schauen – Studium und Ausbildung helfen dabei.

„Ich habe nur gedacht: Ich sterbe jetzt.“ Faysal Ntafh hat die Augen weit aufgerissen. Seine Hand bleibt plötzlich, wie erstarrt, in der Luft stehen, als er von der eisigen Kälte erzählt. Von den Tagen im November 2015, an denen der heute 30-Jährige in Slowenien beinahe sein Leben verloren hätte. „Ein kleines Kind hat es nicht geschafft“, erinnert er sich, es sei an Unterkühlung gestorben. Im Dauerregen, irgendwo in der slowenischen Einöde.

Das alles ist nun schon drei Jahre her – doch für Faysal noch immer enorm präsent. Rund einen Monat war er auf der Flucht, aus seiner vom Bürgerkrieg zerstörten Heimat Syrien bis nach Deutschland. Acht Länder hat er durchquert, das Mittelmeer in einem Schlauchboot, in Griechenland mehrere Tage auf der Straße gelebt. Seine beiden Brüder, Mohammad (29) und Ahmad Nteifeh (26), haben ähnliches durchgemacht, jeder für sich. Eine gemeinsame Flucht war nicht möglich.

„Ich hatte ein wunderbares Leben“

Nachdem er nach seiner Ankunft zunächst in Frankfurt an der Oder untergebracht war, zog es Faysal Mitte 2016 nach Oberhausen. Hier wollte er von vorn anfangen, ein Master-Studium in Statistik an der Technischen Uni in Dortmund aufnehmen. Sein Bruder Ahmad, damals beherbergt im brandenburgischen Seelow, begleitete ihn. In Oberhausen absolvierte er einen Integrations- und einen weiterführenden Sprachkurs, dann machte er sich auf die Suche nach Arbeit.

In Syrien hatten die Brüder noch bis kurz vor ihrer Flucht studiert: Faysal Statistik in Damaskus, Ahmad Hocharabisch in der gemeinsamen Heimatstadt Latakia. Dass sie wegen des eskalierenden Bürgerkriegs alles hinwerfen mussten, schmerzt sie noch heute. „Ich hatte ein wunderbares Leben“, sagt Faysal. Schon während des Studiums hatte er ein Nachhilfeinstitut gegründet, irgendwann einmal wollte er Mathematiklehrer werden.

Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung

Weil er seinen Elan jedoch auch in der neuen Umgebung nicht verloren hat, erhielt der 30-Jährige vor kurzem ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung. In Dortmund ist er inzwischen im zweiten Master-Semester. „Dort habe ich fast nur noch deutsche Freunde“, erzählt Faysal, der froh ist, allmählich einen Platz in der Gesellschaft gefunden zu haben.

Dass das mitunter ein langer und steiniger Weg ist, hat vor allem der dritte der Brüder erfahren: Die ersten zweieinhalb Jahre nach seiner Ankunft war Mohammad in einem Heim im oberbergischen Lindlar untergebracht, „anderthalb davon ohne Schule, ohne alles“, wie er sagt. „Es gab nur Schlafen und Essen.“ Auf Asyl musste er zwei Jahre lang warten. Eine einsame und ungewisse Zeit, an die der 29-Jährige nicht gerne zurückdenkt.

Ausbildung in der Bäckerei

Seit fünf Monaten wohnt auch er nun in Oberhausen, vereint mit seinen Brüdern. Dass er umziehen und erstmals irgendwo Fuß fassen konnte, verdankt er in erster Linie dem Jüngsten der drei, Ahmad. Der 26-Jährige hatte sich NRW-weit um eine Bäcker-Ausbildung beworben – und nach fast 20 Absagen schließlich eine Stelle bei der Mülheimer Bäckerei „Hemmerle“ gefunden.

Im Gespräch mit dem zukünftigen Chef habe er dann – noch vor der Vertragsunterschrift – für seinen Bruder mitverhandelt: „Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht bleiben möchte, wenn mein Bruder nicht zu uns kommen kann“. Mohammad, der für den Umzug einen Job nachweisen musste, durfte zur Probe arbeiten – und überzeugte.

So starteten im August gleich beide Brüder mit ihrer Bäckerlehre, um halb 3 in der Früh beginnt die Schicht. „Das ist schon hart, aber es macht Spaß, wir haben ein gutes Team“, sagt Mohammad zufrieden.

Das Gefühl von Sicherheit ist zurück

Er würde nach der dreijährigen Ausbildung gerne bei „Hemmerle“ bleiben, das weiß er schon jetzt. Auch Ahmad will künftig backen, träumt aber von einem eigenen Café. Faysal wiederum fehlt für den Traum vom Lehrerjob ein zweites Fach – dies ist in Deutschland Voraussetzung. „Vielleicht arbeite ich mal als Statistiker“, sagt er, auch die Politik würde ihn interessieren. Möglichkeiten gibt es für die engagierten Brüder inzwischen einige.

Jedoch, und das überrascht nur im ersten Moment: Wirklich glücklich sind sie trotz aller Fortschritte nicht. „Nein“, sagt Faysal, „aber ich bin dankbar. Uns haben auf unserem Weg und in Deutschland sehr viele Menschen geholfen.“ Sie fühlten wieder Freiheit und Sicherheit, doch wenn sie eine Wahl hätten, so die Brüder einhellig, wenn endlich wieder Frieden herrschte, würden sie noch heute zurück in die Heimat reisen. Ihre Eltern und die gemeinsame Schwester haben Faysal, Ahmad und Mohammad seit nunmehr drei Jahren nicht gesehen.

Unabhängig von ihren jüngsten Erfolgen überwiegt also noch immer ein Gefühl, das zwar hinlänglich bekannt, aber doch nur schwer nachzuempfinden ist: Heimweh.

>>> Junge Syrer wollen Brücken bauen

„Gib etwas zurück“, kurz: „G.e.z.“, so lautet das namensgebende Motto einer Initiative syrischer Flüchtlinge, die sich vor rund einem Jahr in Oberhausen gegründet hat, um soziale Projekte zu unterstützen.

Durch ehrenamtliches Engagement möchte die Gruppe, zu deren Gründern auch Faysal Ntafh und Ahmad Nteifeh zählen, „den Menschen in Oberhausen für ihre Hilfe danken“, wie Faysal erklärt.

So nehmen einige der mittlerweile 40 Mitglieder an städtischen Aktionen wie „Super-Sauber-Oberhausen“ teil, andere helfen bei Umzügen oder besuchen Altenheime. Häufig stammen die Ideen von den Geflüchteten selbst, Bekannte und Flüchtlingshelfer aus der Stadt stellen den Kontakt her, darunter Ulrike Heuer von „Lirich ist bunt!“.

Bei der Jubiläumsfeier von St. Peter in Alstaden konnten Faysal, Ahmad und Mohammad auf diese Weise an einem Stand Falafel anbieten – „die so beliebt waren, dass für 2019 ein syrischer Abend in der Gemeinde geplant ist“, sagt Heuer.

Werben für mehr Akzeptanz

Durch Aktionen wie diese wollen sich die jungen Syrer besser integrieren, gleichzeitig aber auch für mehr Akzeptanz und Toleranz innerhalb der Gesellschaft werben.

Damit auch andere Flüchtlinge, vor allem Kinder, möglichst schnell Fuß fassen in ihrem neuen Umfeld, bietet „G.e.z.“ arabischen Schülern in verschiedenen Fächern Nachhilfe an, darunter Englisch, Mathematik und Physik. Überdies werden Migranten, die gar nicht oder nur schlecht Deutsch sprechen, bei Behördengängen begleitet.

Immer dienstags von 17 bis 19 Uhr findet eine offene Sprechstunde im Integrationszentrum, Mülheimer Straße 200, statt. „Viele von uns geben ihr Bestes, um sich einzubringen“, sagt Faysal, „deshalb hoffen wir, dass uns die Leute hier auch wirklich akzeptieren.“

>>> Darum haben die Brüder verschiedene Nachnamen

Bei der behördlichen Registrierung mussten Faysal, Ahmad und Mohammad ihre Namen von der arabischen in die lateinische Schrift transkribieren. Nach dem Prinzip der Lautschrift machten Ahmad und Mohammad aus ihrem Nachnamen „Nteifeh“, Faysal entschied sich spontan für „Ntafh“. Eine nachträgliche Änderung des Nachnamens würde Faysal nun rund 800 Euro kosten.