Oberhausen. Wilkening stellt sehr sensible Teile für Rennautos her. Doch jetzt fürchtet die Oberhausener Firma um ihre Existenz. Wegen einer neuen Straße.
Wann immer auf den großen Rennstrecken dieser Welt die schnellen Flitzer von Porsche oder Mercedes ihre Runden drehen, sind dabei kleine Bauteile aus Oberhausener Fertigung mit im Spiel.
Andreas Wilkening hat es mit seinem Betrieb an der Straße Im Erlengrund in über 20 Jahren Selbstständigkeit geschafft, Zulieferer für die im Spitzen-Rennsport eingesetzten Fahrzeuge zu sein. Das Geschäft brummt. Ein Anbau ist vorgesehen. Dennoch plagen ihn Existenzsorgen.
Denn hinter seinem Grundstück (Im Erlengrund 9) ist die neue Umgehungsstraße als Zufahrt zum geplanten Zentrallager von Edeka im Gewerbegebiet Waldteich vorgesehen. Wilkening schließt nicht aus, dass er gegen den vom Rat der Stadt beschlossenen Bebauungsplan deshalb Klage einreicht.
Ganz geringe Fertigungstoleranzen
„Ich habe die große Sorge, dass der vorhergesagte Lkw-Verkehr auf der neuen Straße zu Bodenerschütterungen führt, die meine Produktion beeinträchtigen“, sagt er. Denn dabei komme es auf höchste Präzision an.
Mehr als 0,02 Millimeter Abweichung dürfe es zum Beispiel bei den Verschlussstopfen nicht geben, mit denen die Räder der Rennwagen befestigt sind. Sie ermöglichen in Sekundenschnelle beim Boxenstopp den Radwechsel. „Bei größerer Abweichung würde der Schnellverschluss nicht halten, droht Radverlust“, sagt der 51-jährige Firmenchef.
Noch kleiner sind die Toleranzen bei den Getriebeteilen: 0,012 Millimeter. „Würden sie nicht eingehalten, käme es zu Getriebeschäden“, erklärt Wilkening. „Wir genießen ein hohes Ansehen, aber bei drei bis fünf groben Fehlern wären wir unseren Kunden los.“
Neues Messgerät
Immerhin acht Festangestellte, Elektriker, Zerspanungstechniker und Schlosser, finden bei Wilkening ihr Auskommen. In dem bereits beantragten Anbau soll ein neues Messgerät aufgestellt werden, das die Einhaltung dieser Toleranzen überwacht. Auch dieses Gerät ist hochempfindlich. All diese Maschinen und Geräte sind in der Anschaffung jeweils so teuer wie eine Immobilie.
Ausgerechnet in ihrer Nähe aber würden künftig über 3200 Lkw pro Tag verkehren, mehr als zwei pro Minute also. Zwar verläuft die neue Straße nicht, wie ursprünglich angenommen, in zehn bis 15 Metern Abstand zu seinem Grundstück. Es sollen wohl über 30 Meter Entfernung sein. „Aber mir macht ja auch nicht die nagelneue Straße Sorgen, sondern die Fahrbahnschäden, die sich einstellen, Erschütterungen durch Gullideckel etwa. Alles, was Unruhe in den Verkehr bringt.“
Die Stadt schrieb dem Unternehmer jetzt, der Rat habe bei der Beratung des Bebauungsplans seinen Bedenken „stattgegeben“. Ausgeräumt sind sie indes nicht. Die Sorge besteht weiter.
Den zweiten vor dem ersten Schritt gemacht?
Weil es für Andreas Wilkening und seine Firma um die Existenz geht, hat er die Essener Rechtsanwältin Stephanie Terfehr, eine Fachanwältin für Verwaltungsrecht, beauftragt, seine Interessen zu vertreten. Und die ist erstaunt, wie die Stadt Oberhausen mit den Interessen ihres Mandanten umgegangen ist.
„Wir können überhaupt noch keine Entscheidung treffen, ob wir Normenkontrollantrag stellen“, den Bebauungsplan also vor dem Oberverwaltungsgericht anfechten, sagt sie. Denn dazu würden ihr die nötigen Informationen fehlen. Der Rat hat zwar auf Vorschlag der Stadtverwaltung den von ihr vorgebrachten Bedenken „stattgegeben“. Aber sie seien deswegen nicht ausgeräumt. Genau das aber wäre Aufgabe des „Abwägungsverfahrens“ gewesen, das dem Ratsbeschluss eigentlich vorausgehen müsse.
Bei einem Bebauungsplan sind alle öffentlichen und privaten Belange, soweit sie bekannt sind, zu berücksichtigen. Sie müssen gegen- und untereinander abgewogen werden. Im Fall Wilkening hat die Stadt zwar ein Erschütterungsgutachten in Auftrag gegeben. Aber sie hat das Ergebnis nicht abgewartet. Vielmehr sollen daraus erst bei der späteren Baugenehmigung für die Straße eventuell Konsequenzen gezogen werden – also bei Festlegungen über den Fahrbahnbelag oder über die Gullideckel.
Stadt steht offenbar unter großem Zeitdruck
„Man kann die Bedenken ja bei der nachgeordneten Baugenehmigung ausräumen“, sagt die Anwältin. Aber dann müsse zuvor, im übergeordneten Planverfahren, geklärt sein, dass dies und wie dies dabei möglich ist. Genau dies ist allerdings nicht geschehen. „Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Mit ihrer Vorgehensweise provoziert die Stadt, dass wir Rechtsmittel einlegen“, sagt sie. Offenbar stehe die unter großem Zeitdruck.
Terfehr jedenfalls hat ein großes Störgefühl bei der Sache. Denn es helfe ihrem Mandanten ja nicht, wenn der beauftragte Gutachter vorab angeblich signalisiert habe, die Erschütterungen seien unerheblich. Selbstverständlich würden sie sein Gutachten, wenn es ihnen denn vorliegen würde, von einem Gutachter ihrer Wahl auf Plausibilität hin überprüfen lassen.
Zu viel hänge davon ab, ob vor Ort weiter Präzisionsteile gefertigt werden können oder ein Umzug ins Auge gefasst werden müsse – und wer diesen dann bezahlt.
Straße soll Gewerbegebiete anbinden
Bei dem Projekt, für das die Umgehungsstraße am Firmengelände von Klaus Wilkening vorbeiführen soll, handelt es sich um die Verlagerung und Erweiterung des heute in Moers ansässigen Edeka-Zentrallagers Rhein-Ruhr.
Auf 279.000 Quadratmetern soll künftig das Warensortiment zur Belieferung von 1000 Edeka-, Marktgut- und Trinkgut-Märkten in der Region gelagert werden. Mindestens 1000 neue Arbeitsplätze würden entstehen.
Chance auf 1000 Arbeitsplätze nur bei Edeka
Oberbürgermeister Daniel Schranz und die große Mehrheit des Stadtrates versprechen sich davon einen wirksamen Beitrag gegen die hohe Langzeitarbeitslosigkeit in der Stadt. Viele Un- und Angelernte unter ihnen könnten dort Beschäftigung finden. Entsprechend würden die hohen Sozialhilfe-Ausgaben der Stadt für sie zurückgehen, so die Überlegung.
Allerdings ist das Projekt mit viel zusätzlichem Lkw-Verkehr verbunden. Weil sich keine zusätzliche Autobahnabfahrt an die A 3 dort realisieren ließ, entstand der Plan der neuen Straße. Diese würde die Weißenstein- und Erlenstraße sogar entlasten.
>>> INFO: So entstand die Firma Wilkening
Andreas Wilkening hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Er ist gelernter Elektromechaniker und war bei der Post für die Instandhaltung einer großen Post-Sortieranlage zuständig.
Weil ihm beim Aufbocken seines Motorrads immer die Fußrasten abbrachen, schaffte er sich eine kleine Drehbank an und stellte sie selbst her. Bald kam noch eine kleine Fräsmaschine hinzu. Mit einem Kumpel baute er damit hochwertige Schallplattenspieler in Kleinserie.
Als die Post dringend Ersatzteile benötigte, machte er sich mit deren Fertigung 1996 selbstständig. 1998 zog er aus der Garage am Rechenacker auf 220 qm Betriebsfläche an der Kiebitzstraße. 2012 erwarb er das Gelände Im Erlengrund, wo er die Betriebsfläche verdoppeln konnte.