Oberhausen. . Hunderte Weltkriegsbomben dürfte Feuerwerker Peter Giesecke in den vergangenen Jahrzehnten entschärft haben. Ende September ist es damit vorbei.
- Oberhausener machte schon mal acht Blindgänger an einem Tag in Holten unschädlich
- „Ich habe meinen Job immer mit Leib und Seele gemacht“, sagt der Feuerwerker, „aber jetzt ist gut.“
- Ehefrau Heidi Giesecke freut sich, dass sie sich künftig weniger Sorgen um ihren Mann machen muss
Peter Giesecke hat diese eine Frage schon unzählige Male gestellt bekommen: Wie viele Bomben er im Laufe seines Lebens schon entschärft habe. Die Antwort: „Ich weiß es wirklich nicht“, sagt Giesecke. Er hat sie nicht gezählt, er kokettiert nicht damit. Klar ist: Es müssen hunderte gewesen sein, seit der Feuerwerker 1980 zum Kampfmittelbeseitigungsdienst der Bezirksregierung Düsseldorf, der damals noch Kampfmittelräumdienst hieß, gestoßen ist.
Klar ist auch: Seine letzte Bombe rückt unweigerlich näher. Zum Ende dieses Monats geht Giesecke in den Ruhestand. Ab 1. Oktober ist der 63-jährige Oberhausener, der jahrzehntelang im Fokus der Öffentlichkeit stand, Rentner. Noch sagt Giesecke: „Ich muss mich erstmal an die Situation gewöhnen. Die ersten Wochen werden vielleicht wie Urlaub sein.“ Keine 24 Stunden nach diesem Gespräch rückt der Feuerwerker schon wieder aus. Am Rheindeich bei Duisburg-Mündelheim ist eine britische Fünf-Zentner-Bombe gefunden worden. Ein Job für Giesecke. Noch wenige Tage.
Blindgänger im Rhein unschädlich gemacht
Der 63-Jährige blickt, wie er sagt, „auf ein bewegtes Leben“ zurück. Das Bundesverdienstkreuz hat er schon 1990 erhalten, unterschrieben vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Giesecke hat einmal eine Bombe in einem Jungenklo einer Wuppertaler Schule in einem Schacht in dreieinhalb Metern Tiefe entschärft, er hat schon mal acht (!) an einem Tag nahe der früheren Ruhrchemie in Oberhausen unschädlich gemacht - gefunden worden waren die Blindgänger im Zuge der Emscher-Renaturierung im Holtener Feld. Selbst im Flussbett des Rheins war er schon im Einsatz, als bei Ausbaggerungsarbeiten ein Blindgänger gefunden worden war. Den entschärfte Giesecke dann in einer Tauchglocke am Grund des Stroms. Die Erinnerungen daran lagern in einer Kiste von der Größe eines Schuhkartons: Schwarz-Weiß- und Farb-Fotos, Zeitungsausschnitte aus unterschiedlichen Epochen. Handschriftliche Briefe, in denen sich Anwohner bedanken. „Ich habe meinen Job immer mit Leib und Seele gemacht“, sagt Giesecke, „und es hat mir Spaß gemacht, die Herausforderungen zu bewältigen, aber nach so langer Zeit denke ich: Jetzt ist gut. Ich bin froh, wenn das vorbei ist.“
Giesecke hat einen Job gemacht, bei dem morgens nie klar war, was der Tag noch bringt: „Routine ist es nie.“ In dem Überstunden gerade bei größeren Lagen die Regel sind und selten selbst verschuldet. Als er vor wenigen Tagen zu einer Zwanzig-Zentner-Bombe auf dem Waldteichgelände in Oberhausen anrückte, verzögerte sich die Entschärfung um über eine Stunde. Die Einsatzkräfte mussten zunächst noch einige in einem nahen Gewerbegebiet in ihnen Lastern lebende Trucker aus den Fahrzeugen holen. Entwarnung gab es um 22.28 Uhr.
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Es war erst die zweite Zwanzig-Zentner-Bombe in Gieseckes Laufbahn - mit das schwerste, was im Zweiten Weltkrieg vom Himmel fiel. Der Blindgänger war größer als er selbst. 1,80 Meter hoch, 60 Zentimeter im Durchmesser, als Fracht über 500 Kilogramm Sprengstoff im stählernen Bauch. Dabei spielt für den Feuerwerker die Größe der Bombe keine Rolle. Der Zünder ist auch bei kleineren „Kalibern“ identisch, unterscheidet sich allenfalls zwischen britischen und amerikanischen Weltkriegsrelikten.
Gieseckes Revier: Essen, Oberhausen, Duisburg, Mülheim
Die Trupps vom Kampfmittelbeseitigungsdienst arbeiten jeweils in Zweier-Teams. Über seinen direkten Kollegen sagt er: „Man muss sich vertrauen können bei der Arbeit. Das ist ein wertvoller und wichtiger Bestandteil unserer Arbeit.“ Das Gebiet der Bezirksregierung ist aufgeteilt. In den rechten und den linken Niederrhein, den Großraum Düsseldorf und Gieseckes Revier: Essen, Oberhausen, Duisburg, Mülheim und Teile von Hünxe und Schermbeck.
Von seinem Job war er von Anfang an „fasziniert“, erzählt Giesecke. Dabei machen die eigentlichen Entschärfungen nur einen kleinen - wenn auch spektakulären - Teil aus: „Wir sitzen nicht in einem Kämmerlein und warten darauf, dass eine Bombe gefunden wird. Das Tagesgeschäft sieht deutlich anders aus.“ Da werden Luftbilder von Bomberpiloten ausgewertet, da werden vor anstehenden Bauprojekten bei Verdachtsmomenten auf Ortsterminen Bodenuntersuchungen vorgenommen. Da ist es dann doch mitunter Routine.
Angst, sagt Giesecke, habe er in all den Jahren nie gehabt. „Man wird zu einem Einsatz gerufen und dann beginnt die Vorbereitung.“ Dem Feuerwerker gehen dann die Gedanken durch den Kopf: Was ist es für eine Bombe? Aus welchem Land stammt sie? Ist es ein normaler oder ein Langzeit-Zünder? Ist die Bombe bei Baggerarbeiten möglicherweise schon bewegt worden? Bis er an den Punkt kommt zu sagen: „Das müsste eigentlich gut gehen.“ Aber Giesecke sagt auch: „Ein Restrisiko bleibt immer. 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht.“ Giesecke hat ein mahnendes Beispiel vor Augen. Vor ein paar Jahren sei beim Versuch der Entschärfung in Göttingen eine Bombe explodiert. Drei Menschen seien dabei ums Leben gekommen. Giesecke hat in seinem Leben auch Glück gehabt.
Mit dem Eintritt in den Ruhestand atmet die Ehefrau auf
Mit dem Eintritt in den Ruhestand atmet vor allem Ehefrau Heidi auf. Die Sorgen, die sie sich um ihren Mann gemacht habe, seien mit jeder Bombe größer geworden, erzählt sie. Bevor Peter Giesecke an einem Fundort loslegt, ruft er sie an - und gibt meldet sich nach geglückter Entschärfung wieder. Es sind viele bange Minuten für Heidi Giesecke gewesen. Immer wieder der Gedanke: „Diese Bombe könnte die letzte sein. Sie warten und warten und wenn er anruft, dann ist es vorbei“, beschreibt sie die Situation und die erlösende Nachricht.
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Der gebürtige Wuppertaler und die Oberhausenerin, die sich als 17-Jährige bei einer Ferienfreizeit an der ligurischen Küste in Italien kennen und lieben gelernt und zwei Jahre später geheiratet haben, sind ein eingespieltes Team: Die Familie, von der ein Teil auf Borkum lebt, wollen sie künftig noch öfter sehen. „Wir haben tolle Kinder und tolle Enkelkinder“, sagt Heidi Giesecke. „Die besten“, ergänzt Peter Giesecke. „Die Familie ist sehr wichtig, das ist das eigentliche Glück im Leben“, sagen beide. Im Ruhestand wird der Feuerwerker wieder mehr Motorrad fahren. In ihrem Haus in Alstaden ist immer was zu tun, und der Garten ist auch noch da. Aufs Fahrrad wollen sich beide öfter schwingen - und Deutschland bei Reisen entdecken. „Es gibt ein Leben nach der Arbeit“, sagt Giesecke. Er gehe bald mit einem „lachenden und einem weinenden Auge“. Heidi Giesecke dürfte zwei lachende Augen haben.