Oberhausen. . Politik und Verwaltung hatten aus „Triple Five“ gelernt und Konsequenzen gezogen. Alt-OB Friedhelm van den Mond erinnert sich an bewegte Jahre.

  • Der Wegfall der Stahlindustrie stellte die Stadt in den 80er Jahren vor massive Probleme
  • Heute ist das ehemalige Thyssen-Gelände als Neue Mitte Oberhausen bekannt
  • Auf dem Weg zu Centro und Co. gab es zunächst mehrere Rückschläge

Mit der Fläche, die als „Neue Mitte Oberhausen“ mittlerweile beinahe bekannter ist als ihre industrielle Vorgängerin um GHH, HOAG und Thyssen, hat sich Friedhelm van den Mond (SPD) schon beschäftigen müssen, als er noch gar nicht Oberbürgermeister war. Warum das so war, wie sich der Industriestandort völlig veränderte, welche Probleme es auf dem Weg dahin gab, erzählt der mittlerweile 84 Jahre alte Ehrenbürger unserer Stadt im Gespräch mit Gustav Wentz.

Was war das für eine Situation, in der Friedhelm van den Mond sein Amt als Oberbürgermeister antrat?

Friedhelm van den Mond: Persönlich war ich fast fertiger Berufsschullehrer, ich stand kurz vor dem 2. Staatsexamen, war zudem seit 1975 Bürgermeister und als solcher Stellvertreter der Oberbürgermeisterin Luise Albertz. Als sie am 1. Februar 1979 starb, war ich plötzlich amtierender Oberbürgermeister, musste im Februar das letzte Examen machen und dann zurück zur Bergbau AG Niederrhein in die Abteilung Ausbildung und angewandte Arbeitswissenschaften. Doch noch bevor der Rat mich im März 1979 auch offiziell gewählt hatte, bekam ich Besuch von Thyssen: 2000 Arbeitsplätze gingen an der Essener Straße verloren, weil Betriebsteile stillgelegt wurden.

Eine Stilllegung war für den früheren Hibernia-Steiger ja keine neue Erfahrung.

van den Mond: Das nicht, aber für den noch nicht gewählten Oberbürgermeister schon! Ich kam nach Hause und dachte mir: Worauf hast du dich da eingelassen? Aber es ging ja weiter.

Und wie?

van den Mond: Erstmal ging es nahtlos weiter mit den schlechten Meldungen von Thyssen: Walzstraßen, Siemens-Martin-Öfen und so weiter.

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Welche Auswirkungen hatte das auf die Stimmung in der Stadt?

van den Mond: Die Stimmung war schlecht, obwohl man natürlich unterscheiden muss. Es gab ja bei Kohle und Stahl nahezu perfekte Sozialpläne. Niemand fiel ins Bergfreie. Die schlimmste Folge war der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit. Plötzlich fehlten Ausbildungsplätze, plötzlich fehlten Plätze für junge Leute ohne großen Bildungsabschluss. Diese Problematik wuchs, und sie hat mich sehr bekümmert.

Wie steuert man gegen eine schlechte Grundstimmung an?

van den Mond: Zunächst mal steht da die bittere Erkenntnis, dass es keinen Ersatz für die weggefallenen Arbeitsplätze gibt. Und dann haben wir in Partei und Fraktion gesagt: Wir müssen weg von der Klagemauer! Wir müssen Perspektiven entwickeln!

Wie sahen die aus?

van den Mond: Wir hatten schon einen industriellen Komplex im Auge, nämlich den Schwerpunkt Umweltschutz. Mit Babcock, GHH und EVO hatten wir drei Unternehmen in der Stadt, die sich im engeren und weiteren Sinne damit beschäftigten. Man darf nicht vergessen: Kernkraft galt damals als umweltfreundlich! Umwelt und Umweltsicherheit, das waren die Ideen, die dann zur Gründung von „Umsicht“ führten. Wenn man so will, war das die Keimzelle der Vorwärtsentwicklung. Übrigens: Ohne die Vorstände Wiehn von Babcock, Meissner von GHH und Deuster von der EVO wäre es nie dazu gekommen. Aber: Arbeitsplätze haben wir damit nicht annähernd so viele geschaffen, wie wir verloren haben.

Und dann tauchte plötzlich „Triple Five“ auf?

van den Mond: Auch aufgrund der schlechten Lage war Oberhausen ja auf die Karte von internationalen Scouts gekommen. Die Größe der Thyssenflächen und ihre hervorragende Lage inmitten eines mitteleuropäischen Ballungsraums erregten Aufmerksamkeit. Und so gerieten wir ins Fadenkreuz internationaler Investoren.

War die „Triple Five“-Geschichte denn nicht zunächst mal ein Desaster für Oberhausen?

van den Mond: Erst Desaster, dann Glücksfall! Ich will das mal erklären: Was die Ghermezian-Brüder in Oberhausen vorhatten, war einfach der Zeit voraus, war auch in den Dimensionen so groß, so phantastisch, dass niemand hier das glauben konnte. Wir sahen in der West Edmonton Mall Dinge, die es so in Deutschland nirgendwo gab – Themenhotels, Spielbank, Shopping Mall, Sport, Musikhalle, Theater, und alles unter einem Dach! Das führte letztlich dazu, dass die Nachbarstädte uns verlachten, dass auch die Landesregierung sich vornehm zurückhielt, wenn man von der „Beglückung“ durch die HDO-Studios mal absieht.

Oberhausen stand als Kübelkind des Reviers arm, schmierig und brav – wie man in Alstaden so sagt – in der Ecke und hielt Ruhe.

van den Mond: Es machte sich eine resignative Ruhe breit. Auch innerhalb der Partei waren die Pläne ja umstritten. So war es auch noch, als Eddie Healey mit seinen Plänen kam, die den Vorteil hatten, dass Healey in Sheffield eine alte Stahlbrache schon verwandelt hatte. Außerdem: Wir hatten unsere Lektion gelernt.

Inwiefern?

van den Mond: Das Prinzip der Arbeitsteilung war perfekt: Heinz Schleußer war Landesfinanzminister und arbeitete mit Manfred Dammeyer, auch Minister in Düsseldorf geworden, hinter den Kulissen. Burkhard Drescher bündelte als Stadt- und dann Oberstadtdirektor in der Verwaltung Instrumente und Kräfte in einer bis dahin beispiellosen Organisation und Konzentration. Sonst ewig dauernde Pläne und Vorhaben wurden zu Angelegenheiten von ganz wenigen Jahren. Alles unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, versteht sich. Und ich als Oberbürgermeister bearbeitete Bezirksplanungsrat und Verbandsversammlung im Kommunalverband. Parteiintern war der unvergessene Friedhelm Nangast der Mann, der Kanten schliff und für Unterstützung sorgte. Wir traten als Einheit auf und waren auch eine. Ich werde die Bürgerversammlung im Blue Moon-Zelt nicht vergessen: Über 400 Leute waren gekommen, weil sie wissen wollten, was jetzt Sache ist. Und sie gingen froher als sie gekommen waren.

Aus Depression war Euphorie geworden?

van den Mond: Das ist vielleicht etwas überspitzt formuliert, aber nicht falsch. Ich habe in all den Jahren kommunalpolitischer Arbeit keine Zeit erlebt mit so intensiver, mit so zupackender und begeisternder Arbeit im Rathaus. Vor den Frauen und Männern, die damals in einer eigens gebildeten Gruppe gearbeitet haben, kann ich nur den Hut ziehen. Als eröffnet wurde, waren die letzten Abnahmen erst Stunden vorher erfolgt – aber alles koordiniert, geplant, auf Maß gearbeitet. Große Klasse!

Die Nachbarn im Revier staunten.

van den Mond: Die hatten uns ja lange ausgelacht und nach der Ghermezian-Geschichte nicht mehr ernst genommen. Manche werden auch vor Wut geschäumt haben.

Zur Erfolgsgeschichte Neue Mitte zählt unbestritten der Gasometer, dessen Erhalt lange umstritten war.

van den Mond: Ich verschweige nicht, dass ich zunächst für den Abriss war, weil ich nicht einsehen konnte, dass die Stadt für eine vermeintliche Schrott-Immobilie einstehen sollte. Dann kam ich erstmals in den Gasometer, und in diesem Moment schien die Sonne durchs Glasdach, ins Gewölbe. Das berührt mich noch heute. Ein erstaunlicher Moment, eine Fügung des Schicksals, vielleicht ein Wink vom lieben Gott. Ich sagte mir, ein solches Werk kann man nicht abreißen.

Zu den Verlierern der Neuen Mitte gehört der heimische Einzelhandel. Hätte die Politik da nicht mehr tun können?

van den Mond: Was kann Politik schon tun? Handel hilft immer sich und schafft sich seine Bedingungen. Die Marktstraße, um die es ja in erster Linie geht, war schon in der Mitte der 80er Jahre auf dem absteigenden Ast. In ihrer alten Rolle als Oberzen-trum ist sie abgelöst. Der Handel muss und wird sich finden, hat es zu Teilen auch längst getan. Erinnert sich noch jemand daran, dass Oberhausen vor Jahrzehnten mal die Stadt mit den meisten Möbelgeschäften in Westdeutschland war? Erinnern wir uns mal, wie viele inhabergeführte Drogerien es einmal in unserer Stadt gegeben hat. Heute gibt es, ohne dass Politik beteiligt war, nur noch große Drogeriemarkt-Ketten mit jeweils mehreren Filialen.

Geht Friedhelm van den Mond eigentlich mal ins Centro?

van den Mond: Regelmäßig sogar! Wann immer ich Fragen zu Dingen wie I-Pod oder Laptop habe, gehe ich hin. Und als älterer Mensch habe ich bisweilen welche. Auch meine Bekleidung und andere Dinge wie Haushaltswaren kaufe ich in der Regel dort. Vom Kauf im Internet halte ich nicht so viel, denn ich will sehen und anfassen, was ich kaufe.