Oberhausen. Mit zwei Dokumentationen aus Oberhausen eröffnet das Sally-Perel-Filmfestival. „Verkauft, verjagt, vergessen“ ist ein Spaziergang über die Marktstraße.

Am Premierenabend des nach ihm benannten Filmfestivals zeigte sich Sally Perel „tief bewegt“. Im roten Schal – und später auch noch ausgestattet mit einem roten RWO-Trikot – warnte der 90-jährige Ehrengast aus Israel in der Lichtburg vor der Macht filmischer Propaganda. Schließlich zeigt „sein“ Festival am Samstag, 20. Februar, in einem Seminar auch jenen 1933 entstandenen „Hitlerjunge Quex“, den er selbst im HJ-Alter gesehen hatte: „Sogar mich hätte dieser Film zu einem strammen Hitlerjungen gemacht. Leider haben solche Parolen wieder eine Chance.“

Ein jährlich wertvolleres Dokument

Aber der Auftaktabend gehörte ja keinem Werk aus dem „Giftschrank“ der NS-Filmgeschichte, sondern zwei zeitlos aktuellen Oberhausener Produktionen: Der zweite Beitrag „Das Leben des Hitlerjungen Salomon. Sally Perel in Oberhausen“ zeigte kompakt in einer halben Stunde, was der Zeitzeuge und nun auch Ehrenringträger der Stadt alljährlich an Schulen zwischen Schmachtendorf und Styrum leistet. „Er absolviert ein schier unglaubliches Programm“, meinte Kulturdezernent Apostolos Tsalastras. „Sie wollen die Jugend impfen“, sagte Nagihan Erdas, die Vorsitzende des Integrationsrates, zu Sally Perel. „Diesen unermüdlichen Einsatz wollen wir würdigen.“

Im Team mit Norbert Tillmann und mit zwölf damaligen Schülern des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums hatte Volker Köster, der Technische Leiter der Kurzfilmtage, aber auch Oberhausener Zeitzeugen ins Bild gesetzt: „Verkauft, verjagt, vergessen. Die Arisierung der Marktstraße“ ist ein mit jedem Jahr seit seiner Entstehung 2009 wertvolleres Dokument. Im Kern ist die filmische Erzählung ein dreiviertelstündiger Spaziergang über die Marktstraße: Der 84-jährige Ehud Sander begleitet die 16- und 17-Jährigen und berichtet vom Ende einer vor dem Zivilisationsbruch regen jüdischen Kaufmannschaft. Norbert Tillmann nennt die eindrückliche Arbeit „eine virtuelle Gedenkhalle“.

Menschlichkeit und Manipulation

Zwei weitere Filme zeigt das Sally Perel Filmfestival: Am heutigen Donnerstag, 18. Februar, um 18.30 Uhr beginnt die Dokumentation „Mut zum Überleben. Die Botschaft der Überlebenden von Auschwitz“. Christa Spannbauer und Thomas Gonschior wollten vor allem zeigen, wie sich die Überlebenden der Schoah ihre Menschlichkeit bewahrten.

Ein „Meisterstück“ der Manipulation ist Hans Steinhoffs „Hitlerjunge Quex“ von 1933. Der NS-Propagandafilm darf nur fachlich begleitet durch ein Seminar gezeigt werden – so auch am Samstag, 20. Februar, um 18.30 Uhr in der Lichtburg. Online: www.perel-filmfestival.de

Zu sehen sind die Schüler vor Allerwelts-Geschäftsfassaden, vor Douglas, Fielmann und Backwerk: Sie nennen die einstigen Geschäftsleute – sehr oft firmierten sie mit „Manufakturwaren“ – und wann sie aufgeben mussten: 1933, 1934 oder spätestens nach der Pogromnacht 1938. Es ist die Geschichte eines Raubzuges, über den der Sozialdemokrat Hugo Baum in die Kamera sagte: „Es waren nicht nur die Nazi-Bosse. Es waren auch die kleinen miesen Typen im Nachbarhaus.“

Als der Kaplan dem Schuljungen Hugo Baum in gewundenen Worten erklärte, dass sein Vater aus dem „Volk des Buches“ stammt, war der Sohn zunächst voller Stolz. Wenig später erzählte seine Mutter von Nachbarn, die ihr erklärt hatten, dass sie nun nicht mehr auf der Straße grüßen können. „Meine Mutter sagte: Dann werden wir uns mit den Augen grüßen.“ Hugo Baum: „Wir waren Kinder, aber wir haben alles mitbekommen.“

"In fünf Minuten war die ganze Wohnung kaputt geschlagen"

Ehud, damals Erich Sander, erzählte von der Razzia des „Sicherheitsdienstes“, der in der elterlichen Wohnung nach der Waffe des Vaters suchte, der im Ersten Weltkrieg Frontkämpfer gewesen war, später auch Schützenkönig. Die verarmte Familie hatte sie längst verpfändet. Der 10. November 1938 in den Worten Ehud Sanders: „In fünf Minuten hatten sie unsere ganze Wohnung kaputt geschlagen. Wir brauchten zwei Tage, bis wir alle Scherben aufgelesen und alle Möbel wieder aufgebaut hatten.“

Was nicht zerstört wurde, wurde geraubt, weit unter Wert verkauft, „arisiert“. Ein Bild zeigt das Möbellager im großen Saal von Haus Union:

„Schrecklich fromme Christen“ haben Schnäppchen gemacht. Es gab aber auch Oberhausener Familien, die es nicht übers Herz brachten, sich dort zu bedienen.