Oberhausen. Andreas Mihm von der Björn-Steiger-Stiftung äußert sich im Interview zur Diskussion um den Rettungsdienst in Oberhausen.
Der Streit zwischen dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) und der Stadtverwaltung um die Teilnahme an der Notfallrettung in Oberhausen zeigt: Es gibt weiter Diskussionsbedarf. Reichen zwölf Minuten Hilfsfrist? Darauf zieht sich die Stadt zurück, seit bekannt wurde, dass es mit der bisher zugrundegelegten Acht-Minuten-Frist in den Randgebieten der Stadt nicht klappt.
Andreas Mihm von der Björn-Steiger-Stiftung in Winnenden (Baden-Württemberg) stellte sich Fragen zur Notfallrettung. Die Stiftung trug seit 1969 dazu bei, dass an Fernstraßen Notrufsäulen hängen. Heute macht sie sich für Baby-Notarztwagen und für die Herz-Lungen-Wiederbelebung stark.
Seit einigen Jahren gibt es eine gesetzliche Hilfsfrist für die Notfallrettung. Acht Minuten nach einem Notruf soll der Rettungsdienst vor Ort sein. Warum gibt es sie überhaupt?
Andreas Mihm: Sie macht die Schnelligkeit des Rettungsdienstes kontrollierbar. Allerdings gibt es nicht nur von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Hilfsfristen. In Nordrhein-Westfalen gibt es sogar zwei verschiedene. Danach soll sie in NRW bei acht Minuten in dicht bevölkerten Gebieten liegen und bei zwölf in dünner besiedelten Gebieten.
Ist diese Zweiteilung überhaupt akzeptabel?
Mihm: Je kürzer die Hilfsfrist ist, desto besser ist es für die Patienten. Aber da gibt es natürlich Grenzen der Umsetzbarkeit. In den meisten anderen Bundesländern gilt die Zwölf-Minuten-Frist. Die Acht-Minuten-Frist wäre allerdings wünschenswert.
Es steht zwar nicht so im derzeitigen Rettungsdienstbedarfsplan der Stadt, aber die argumentierte zuletzt mit den zweierlei Hilfsfristen innerhalb des gleichen Stadtgebietes. Ist das in einer kreisfreien Stadt wie Oberhausen hinnehmbar?
Mihm: Die acht Minuten sind das hoch gesteckte Ziel und die zwölf Minuten jenes Ziel, das unbedingt eingehalten werden sollte.
Aber dadurch wird doch innerhalb einer Stadt eine Zwei-Klassen-Versorgung installiert.
Mihm: Richtig. Es kommt halt darauf an, ob die Bevölkerung in einer Stadt wie Oberhausen das mit sich machen lässt.
Nun gilt die Hilfsfrist in Nordrhein-Westfalen als erfüllt, wenn sie in 90 Prozent aller Fälle eingehalten wird. Halten Sie die Quote für akzeptabel?
Mihm: Bei acht Minuten sind die 90 Prozent akzeptabel. Bei zwölf Minuten sollte man schon auf 95 Prozent gehen. Die Frage ist einfach, wie viele Minuten darüber hinaus noch vergehen.
Im Stadtteil Borbeck waren es im Januar 2015 von 34 Einsätzen 32, die innerhalb von zwölf Minuten erreicht wurden. Wie sehen Sie das?
Mihm: Das wären ungefähr 96 Prozent gewesen und das wäre akzeptabel.
Dabei spielt es keine Rolle, dass die Randgebiete der Stadt nur etwa zur Hälfte gut versorgt sind, also innerhalb von acht Minuten. Halten Sie das für hinnehmbar?
Mihm: Ja, ich halte es dann für hinnehmbar, wenn in diesen Randgebieten die Zwölf-Minuten-Frist in 95 Prozent der Fälle auch eingehalten wird.
Die Verantwortlichen bei der Stadt argumentieren, dass sie in den Kerngebieten mit hohem Einsatzaufkommen eine Unterversorgung riskieren würden, wenn der neue vierte Rettungswagen an einem abgelegenen Standort stehen würde. Halten Sie das für nachvollziehbar?
Mihm: Richtig wäre es, ihn dort zu stationieren, wo selbst die Zwölf-Minuten-Frist in dem genannten Umfang nicht eingehalten werden kann.
Die Stadt weigert sich bislang, auch Hilfsorganisationen wie Arbeiter-Samariter-Bund, Malteser oder Johanniter im Rettungsdienst einzusetzen. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
Mihm: Sie machen nach unserer Kenntnis überall im Bundesgebiet einen guten Job. Ich kann nicht verstehen, dass sie in Oberhausen außen vor sind. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz liegt der Rettungsdienst vollständig in ihren Händen.
Da gibt es aber noch das Argument, dass die Hilfsorganisationen im Rettungsdienst schlechtere Arbeitsbedingungen bieten würden als die Berufsfeuerwehr. Frauen und Männer dort bekämen viel eher gesundheitliche Schwierigkeiten, weil ihre Kollegen bei der Berufsfeuerwehr zwischen dem eher seltenen Löschdienst und dem stressigen Rettungsdienst mal wechseln können?
Mihm: Ich habe keine Statistik gefunden, die diese Annahme bestätigen würde. Man kann ältere Kollegen auch im Rettungsdienst schonen, indem man sie in der Leitstelle einsetzt.
Und was halten Sie davon, künftig in die Bedarfsplanung Faktoren wie die Benutzung der Autobahnen im Stadtgebiet einzukalkulieren oder den Zeitgewinn durch Satelliten-Navigation?
Mihm: Mich wundert, dass die Autobahnen erst künftig als reguläre Rettungswege eingeplant werden sollen. Denn bei einem Stau auf einer innerstädtischen Straße habe ich im Unterschied zur Autobahn ja nicht mal eine Rettungsgasse. Die angesprochene Kopplung der Satelliten-Navigation an den Einsatzleitrechner wird zur Zeit bundesweit eingeführt, ist also nichts Besonderes.
Was sagen Sie zu dem Argument der Stadt, es hätte den mit den Krankenkassen vereinbarten Kostenrahmen gesprengt, wenn man für die bessere Versorgung der Randgebiete Personal und Fahrzeuge aufgestockt hätte?
Mihm: Das irritiert mich schon. Nach dem Rettungsdienstgesetz ist der Bedarfsplan die Grundlage, also das, was zur Versorgung der Bevölkerung notwendig ist, und nicht der Kostenrahmen. Der ergibt sich ja erst daraus.
Außenstandorte soll es nur geben, wenn zum Beispiel ein neues Altenheim dort das Einsatzaufkommen „lohnend“ erscheinen lässt. Wie sehen Sie das?
Mihm: Ich wehre mich dagegen, die Notfallversorgung primär unter Kostengesichtspunkten zu organisieren. Das bedeutet nämlich, dass man für eine bestimmte Anzahl von Fällen den Tod eines Menschen in Kauf nimmt.