Oberhausen. . Schüler würden durch den Ausfall vieler Unterrichtsstunden nicht gut genug aufs Abi vorbereitet, klagt eine Mutter. Schulleiter stoßen täglich an ihre Grenzen.
Ein bis zwei Stunden Unterricht, die täglich ausfallen. Leistungskurs-Stunden, die nicht gegeben werden. Die Mutter einer Schülerin des Elsa-Brändström-Gymnasiums, die anonym bleiben möchte, macht ihrem Ärger in einem Schreiben an die Redaktion Luft. Besonders nach den Herbstferien und vor Weihnachten habe es viel Ausfall gegeben, berichtet die Mutter. Was sie besonders ärgert: Ihre Tochter ist in der Stufe zwölf, wird also in diesem Frühjahr ihre Abiturprüfungen absolvieren. Durch das G8-Abitur müsse der Stoff ohnehin in verkürzter Zeit durchgeboxt werden, so die Mutter, „aber wenn so häufig Stunden ausfallen, steigt der Druck“.
Mit den Vorwürfen konfrontiert, gesteht Brigitte Fontein, Leiterin des Elsa-Brändström-Gymnasiums, offensiv ein: „Mit dem Problem Unterrichtsausfall haben alle Oberhausener Gymnasien zu kämpfen.“ Fontein kann das so sagen, weil sie als Oberhausener Sprecherin der Schulform Gymnasium um die Situation an ihrer und den anderen Abi-Schmieden weiß. „Wir tun unser Möglichstes, aber wir kommen an unsere Grenzen“, sagt die Direktorin. „Wenn alle Kollegen da sind, ist alles okay, aber das ist nun mal nicht so.“
Aus dem Fundus vertreten
Die Schulleiterin beschreibt das Prozedere, wenn Lehrer wegen Krankheit ausfallen. Erst ab einer Krankschreibung von sechs Wochen – und auch die liege ja oft nicht von Anfang an vor – kann die Schulleitung eine Vertretungsstelle ausschreiben, auch mitten im Schuljahr. Kürzere Krankheitsausfälle „müssen wir aus dem Fundus vertreten, dann muss ich die Kollegen zu Überstunden verdonnern“. Und gleichzeitig muss sie darauf achten, dass die Vertretungskräfte neben ihrem normalen Programm nicht zu viel belastet würden, „sonst fallen die mir auch noch aus“. Gleichwohl sei die Bereitschaft im Kollegium groß, die Mehrarbeit zu übernehmen, lobt Fontein.
Denn in der Sekundarstufe eins muss der Unterricht vertreten werden, möglichst mit einem Fachlehrer, „das ist aber schwierig“, gibt Fontein zu. In der Oberstufe haben im Fall des Ausfalls Abi-Kurse Priorität. Hier müsse Ersatz geschaffen werden, weil sonst in Zeiten des Zentralabiturs dasselbige anfechtbar sei. In der Oberstufe könne man im Krankheitsfall auch über das Selbstlernzentrum vieles auffangen, „der betreffende Kollege gibt die Aufgaben durch“.
Markt ist leer gefegt
Wenn sie eine Vertretungsstelle ausschreiben könne, erklärt Brigitte Fontein das Prozedere weiter, „melden sich hoffentlich arbeitslose Lehrer, aber der Markt ist ziemlich leer gefegt“. Gerade für das Fach Deutsch sei es aktuell schwierig, jemanden zu finden, weshalb Fontein für einen Zwölferkurs in der Oberstufe einen pensionierten Studiendirektor gewinnen konnte, „ein erfahrener Kollege, ein Glücksfall“, betont Fontein.
Eine weitere Schwierigkeit beim Einstellen von Vertretungslehrern: Das bürokratische Verfahren mit Vorstellungsgesprächen, Besten-Auslese, Sachbearbeitung bei der Bezirksregierung dauere gut drei Wochen, erst danach schlägt der Lehrer an der Schule auf.
Schulleiter-Kollege Uwe Bleckmann, Direktor des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Sterkrade, springt Fontein bei. „Die Schulen werden hinsichtlich des Personals kurz gehalten. Ich habe hier ja keine zwei Mann als Reserve rumsitzen, die sonst nichts tun und im Bedarfsfall einspringen könnten.“ Unterrichtsausfall habe es immer gegeben, versucht Uwe Bleckmann zu beruhigen, „ich habe nicht den Eindruck, das es so besonders schlimm geworden ist“. Es sei wichtig, die Eltern mit ins Boot zu holen. Und vom unrealistischen Luxuswunsch, eine Vertretungsreserve zu bekommen, will er gar nicht sprechen. Die Mutter der Schülerin am „Elsa“ hat eigentlich nur einen Wunsch: „Dass die Stunden gegeben werden, die auf dem Plan stehen.“
Regierung schätzt: Nur 1,7 Prozentder Stunden fallen aus
Ist „Vertretung“ schon Unterrichtsausfall? Darüber kann man geteilter Meinung sein. Ein paar Einblicke in ein komplexes Thema.
Was ist Unterrichtsausfall?
Die Landesregierung spricht nur dann von Ausfall, wenn tatsächlich kein Unterricht stattgefunden hat. Betreut ein Vertretungslehrer die Klasse, wird das nicht als Ausfall gezählt, auch wenn der beispielsweise Klassenarbeiten korrigiert, während die Schüler ihre Hausaufgaben machen. Kritiker sagen, dass der Unterricht nur dann als erteilt gelten dürfte, wenn der Vertretungslehrer aus dem gleichen Fachbereich wie der ausgefallene Kollege kommt und auch tatsächlich unterrichtet.
Was die Landesregierung sagt
Glaubt man der Landesregierung, ist Unterrichtsausfall an NRW-Schulen kein schwerwiegendes Problem. Nur 1,7 Prozent, nicht einmal zwei von hundert Schulstunden, seien im vergangenen Schuljahr ausgefallen. Das ist allerdings keine präzise Zählung, sondern eine Schätzung auf Basis einer Stichprobe. Zwei Wochen lang wurde dafür der Unterrichtsausfall an 770 der rund 6000 Schulen in NRW gemessen.
Was der Rechnungshof sagt
Der Landesrechnungshof geht davon aus, dass der tatsächliche Ausfall viel höher ist, etwa weil viele Pflichtstunden gar nicht erst im Stundenplan auftauchen. Motto: Was nicht im Stundenplan steht, kann auch nicht ausfallen. Zehn Prozent der Gymnasien und sogar 23 Prozent der Realschulen in den Klassen fünf bis zehn würden „ganz erheblich“ von den Vorgaben abweichen, hat der Rechnungshof in einer eigenen Erhebung herausgefunden. Er forderte mehr Transparenz und eine präzisere Erhebung der Fehlstunden.
Doch die Landesregierung hielt mit einer Studie dagegen: Den Unterrichtsausfall präzise zu dokumentieren, sei zu teuer.
Ein Beschwerde-Brief, dernicht abgeschickt wurde
Vor einigen Monaten war für die Schulpflegschaftsvorsitzenden der Oberhausener Gymnasien das Maß beim Thema Unterrichtsausfall voll. Bei einem Treffen vereinbarten die Elternvertreter, einen Protestbrief an NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann zu schicken. Das Motto „Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung“.
Der Brief ist nicht zustande gekommen, weiß Bettina Panne-Düffels, Schulpflegschaftsvorsitzende am Elsa-Brändström-Gymnasium, die damals selbst noch nicht im Amt war. Warum der angestaute Frust seinen Weg nicht nach Düsseldorf fand, ist ihr nicht bekannt. Aber auch sie würde sich wünschen, dass Schulministerin Löhrmann (Grüne) oder Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) nach Oberhausen kommen. „Um im persönlichen Gespräch die Probleme anschaulich schildern zu können.“
Allerdings findet Bettina Panne-Düffels nicht, dass so viel Unterricht ausfällt am „Elsa“, und das Thema als solches „gibt es ja schon sehr lange, auch schon in den 70er und 80er Jahren“. Als „rosarot“ empfindet die Elternvertreterin die Lage aber auch nicht. „Unterrichtsausfall ist ein Problem. Und dann werden Stellen genehmigt, aber es gibt keine Personen, die die Stellen füllen“, sagt Panne-Düffels. Die Landesregierung habe lange die Augen zu gemacht und alles laufen lassen. Als Vorteil in dieser Situation betrachtet die Schüler-Mutter das Hausaufgaben-Konzept am „Elsa“, damit lerne der Nachwuchs selbstständiges Arbeiten.