Oberhausen. Unfallversicherung droht der Branche mit Rückfahrverbot für Müllautos. Polizisten sollten „bei unplanmäßiger Rückwärtsfahrt“ als Einweiser agieren.

Es mag verrückt klingen, aber für die städtischen Entsorgungsbetriebe landauf, landab – nicht nur in Oberhausen – baut sich seit Monaten und Jahren ein ernstes Problem auf: Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung arbeitet an einer Branchenregel „Abfallsammlung“, die ein Rückwärtsfahren der schweren Müllwagen nur noch an wenigen Punkten und mit hohem bürokratischen Aufwand gestatten würde. Sonst wäre der Versicherungsschutz gefährdet.

BDE-Chef: "realitätsfern"

Über ihren Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft, kurz BDE, hatten die städtischen und privaten Betriebe der Branche bereits im Herbst Alarm geschlagen. „Sollte die Branchenregel unverändert in Kraft treten, würde die Abfallsammlung für alle Beteiligten aufwendiger“, mahnte BDE-Präsident Peter Kurth per Pressemitteilung. „Der Entsorger hätte zusätzlichen bürokratischen und personellen Aufwand, der letztlich vom Verbraucher zu tragen wäre.“

Zur Liste der Grausamkeiten, mit denen die Versicherer das offensichtlich als zu riskant angesehene Rückwärtsfahren verhindern wollen, gehört die Forderung nach einem „Rückwärtsfahrkataster“, das jede einzelne Sackgasse benennen soll, in die Müllfahrzeuge bisher nie vorwärts einbiegen, weil der Fahrer weiß, dass es sonst zu eng wird. „Völlig realitätsfern“ nennt der BDE-Chef und (bis 2001) frühere Finanzsenator von Berlin den Vorschlag, die Fahrer sollten „bei unplanmäßiger Rückwärtsfahrt die Polizei als Einweiser herbeirufen“.

80.000 Tonnen Abfall pro Jahr

130 Mitarbeiter beschäftigen die Wirtschaftsbetriebe Oberhausen (WBO) als Fahrer und Lader ihres 30 Fahrzeuge zählenden Entsorgungs-Fuhrparks.

Die Dreier-Teams bewegen auf einer durchschnittlichen Tour rund 1300 Abfallbehälter mit einem Gesamtgewicht von 20 Tonnen. Addiert man alle Behälter für Restmüll, Verpackungen, Papier, Grün- schnitt und den Sperrmüll bewegen die Entsorger jährlich rund 80 000 Tonnen – oder rund 380 Kilo für jeden Oberhausener.

Sollten die Versicherer verschärfte Rückfahrts-Regeln durchsetzen, wäre das vor allem für die Betriebe kleinerer Städte verhängnisvoll: Bundesweit sind 3500 Seitenlader im Einsatz – mit allein dem Fahrer als Besatzung. Er bewegt die Müllbehälter per Greifarm mit einem „Joystick“, kontrolliert durch Rückfahrkameras.

Die Entsorgungs-Wirtschaft fordert deshalb über den BDE-Verband von der Unfallversicherung, die elektronischen Rückfahrt-Assistenzsysteme, die auch aktiv bremsen können, quasi als „Einweiser“ anzuerkennen.

Oberhausens Wirtschaftsbetriebe kommentieren die heftige Debatte nur sehr zurückhaltend. Man verfolge die Diskussion „mit Interesse“, ließ WBO-Geschäftsführerin Maria Guthoff auf Nachfrage der Redaktion vermelden. Für eine Bewertung sei der Diskussionsstand allerdings noch „zu vage“.

Über-bürokratische Branchenregelung

Auch Maria Guthoffs Statement lässt erkennen, dass auch sie die – im Herbst von der Unfallversicherung vorerst zurückgezogene – Branchenregelung für über-bürokratisch hält: „Die praktische Umsetzbarkeit und ein möglichst geringer Verwaltungsaufwand sind uns wichtig.“ Die WBO-Geschäftsführerin: „Unsere Entsorger müssen flexibel auf Staus, Baustellen und Ähnliches reagieren können.“

Die rund 120 Mitarbeiter der Müllabfuhr sind in Dreier-Teams unterwegs: ein Fahrer, zwei Lader – die auch routinierte Einweiser sein können. In besonders engen Straßen wie den Osterfelder Höchtebögen setzt die WBO Minimüllfahrzeuge ein. Zur Strategie, den Rückwärtsgang möglichst zu vermeiden, zählt auch Aufmerksamkeit bei Planung von Neubaugebieten: In den jüngsten Wohnstraßen sind auch deshalb Stellplätze ausgewiesen, damit nachlässige Einparker nicht die Fahrbahn verengen.