Oberhausen. Jahrelanger Betrug mit Mobiltelefonen für die Stadt Oberhausen. Schon vor 2011 verschwanden Handys. Wie die Täter das Bestellsystem austricksten.
Kaum ein Oberhausener Thema hat die Bürger in unserer Stadt im vergangenen Jahr so sehr bewegt wie der Handy-Betrug beim städtischen Gebäudemanagement OGM. Oberbürgermeister Daniel Schranz kündigt jetzt sogar an, aus der Handy-Affäre Rückschlüsse ziehen zu wollen, um das Verhältnis zwischen Rathaus und städtischen Tochtergesellschaften zu reformieren.
Auf dieser Seite dokumentieren wir die wichtigsten Ergebnisse der von der Stadt im vergangenen Jahr beauftragten Gutachter: Sie ermittelten, wie genau der Handy-Betrug abgelaufen ist – und wer dafür verantwortlich ist.
Immerhin verschwanden über 3300 teure i-Phones und Samsung-Galaxy-Mobilfunkgeräte von 2011 bis 2014 – bis heute weiß von einem Großteil dieser Handys niemand, an wen die von zwei OGM-Mitarbeitern überwiegend unzulässig auf Kosten der Stadt bestellten Handys verkauft oder verschenkt wurden.
Verbleib der Telefone ungeklärt
Klar ist mittlerweile, dass der Schaden für die OGM mindestens 737 000 Euro ausmacht; die Telekom, die die teuren Handys aufgrund von Verträgen mit der OGM geliefert hat, blieb auf 477 000 Euro sitzen. Der Gesamtschaden betrug damit über eine Million Euro. Und weil kein Staatsanwalt Interesse und genügend Personal hat, die Käufer der Handys zu ermitteln, bleibt wohl der Verbleib dieser einst so kostenträchtigen Geräte für immer ungeklärt.
Die Duisburger Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Niederrheinische Treuhand (NRT) wurde vom Rat im Mai 2015 beauftragt, die missbräuchliche Beschaffung der Mobiltelefone und die Einkaufsstrukturen der OGM zu untersuchen. Ihr Abschlussbericht über 170 Seiten lag den Ratsmitgliedern schon im alten Jahr vor.
Der Beginn des Betrugs
Die Gutachter stellten fest, dass es wohl schon vor 2011 Praxis im zuständigen OGM-IT-Bereich war, vom Rathaus zurückgesandte „Altgeräte“, die städtische Bedienstete erlaubterweise nach zwei Jahren gegen ein neues Handy-Modell tauschen wollten, einfach weiter zu verschenken oder extern zu verkaufen. Dabei hätte ein Verkaufserlös der funktionstüchtigen Altgeräte der Stadt zufließen müssen. Auf diesem Wege sollen rund 500 Handys verschwunden sein.
Der Ablauf des Betrugs
Im September 2011 gewährte die Telekom der OGM die Möglichkeit, Verträge und neue Mobiltelefone über ein „Business Service Portal“ im Internet zu bestellen. Die Zugangserlaubnis dafür erhielt der Abteilungsleiter, der diesen aber „unter Missachtung der Vorgaben“ an seine beiden Sachbearbeiter weitergab. Von ihnen wurden Verträge über zwei Jahre mit festen monatlichen Mobilfunknutzungs-Kosten abgeschlossen, um dann die eigentlich sehr teuren i-Phones verbilligt auf wenige Cent zu bekommen – ohne die eigentlich notwendige vorherige Bestellung durch die Stadt.
Ein Beispiel aus dem Gutachten: Die Handys wurden für 74,39 Euro monatlichen Grundpreis an Telefongebühren, die über zwei Jahre zu bezahlen sind, bestellt (Gesamtwert: 1785 Euro) plus einmaligen Minimal-Kosten für das i-Phone für ein Euro brutto (netto 0,84 Euro). Die beiden Sachbearbeiter holten die ungeöffneten Pakete mit den Telefonen in der OGM-Poststelle ab – in Spitzenzeiten bis zu 50 Geräte am Tag. Die mitgelieferten SIM-Karten wurden weggeworfen, damit sie nicht genutzt werden konnten.
Danach stuften die beiden die Verträge online in zwei Schritten zu einem deutlich günstigeren Monatspreis herab – auf eine monatliche Grundgebühr von 2,32 Euro (Gesamtvertragskosten über zwei Jahre plötzlich nur noch 55,69 Euro). Sie kündigten sofort den Vertrag für die Zeit nach Ablauf der 24-Monatsfrist. Dieses Vorgehen ist in 1600 Fällen laut Gutachter nachweisbar. Warum der Telekom diese missbräuchliche Herabstufung der Verträge nicht eher als im Herbst 2014 auffiel, bleibt rätselhaft. Denn eigentlich war die Preisherabstufung verboten – es sei denn, man würde die teuren Handys wieder zurücksenden. Denn nach dem Tarifmodell werden ja die Handys indirekt durch Raten der monatlich hohen Mobilfunkpreise bezahlt.
Die fehlende Kontrolle
„Die beiden OGM-Sachbearbeiter zeichneten die Rechnungen der Telekom für die Endgeräte als richtig ab und veranlassten die Mitzeichnung ihres Abteilungsleiters“, heißt es in dem Bericht. Die OGM bezahlte die Rechnungen der Telekom, berechnete die Beträge per Rechnungsjournale an die Stadt weiter – ohne Lieferung eines Endgerätes. Die Rechnungsjournale waren mit kryptischen Bemerkungen „Abrg. dv. OGM+Bereiche“ oder „SMSC-DA, Abrg“ laut Gutachter für die Stadt unkontrollierbar – und angesichts der oft kleinen Beträge nicht auffällig. Sie schreiben: „Eine Stichprobe vom Monat Juli/2013 ergab, dass in 900 Einzelpositionen insgesamt 30 Positionen Handybeschaffung mit Kostenangaben von netto 0,84 Euro bis 312,96 Euro auftauchten. Dabei blieb unklar, wie viele Endgeräte welcher Marken und Preise sich dahinter verbargen.“
Die beiden OGM-Mitarbeiter hätten die Beschaffungskosten verschiedenen städtischen Bereichen zugeordnet, um eine auffällige Häufung von Handy-Käufen in einem Bereich zu vermeiden. Die Beträge zu den bestellten Mobiltelefonen gingen in den vielen Positionen unter. „Die Vertragskosten für den Mobilfunkbereich für die Stadt waren weder verständlich noch nachprüfbar“, schreiben die NRT-Fachleute. Zudem nahmen die Endgerät-Beschaffungskosten für die Stadt seit 2011 deutlich ab – ein Grund weniger, argwöhnisch zu sein.
Im Ergebnis kein Verstoß der Geschäftsführung
Die Prüfer der Niederrheinischen Treuhand (NRT) hatten erhebliche Probleme, die Höhe des tatsächlichen Schadens für die Stadt Oberhausen zu ermitteln. Über das Telekom-Portal sind im Zeitraum Ende 2011 bis zur Entdeckung im November 2014 über 3300 Mobiltelefone von Apple und Samsung bestellt worden, darunter auch welche, die die Stadt tatsächlich benötigte, bestellte und verwendete. Kurioserweise untersagte allerdings eine Rundverfügung der Stadt Oberhausen vom August 2010 eigentlich, Diensthandys der Marke „Apple iPhone“ einzusetzen – aus Sicherheits- und Kostengründen. Faktisch wurden aber bei der Stadt und von der OGM solche hochpreisigen Geräte tatsächlich genutzt. Am Ende bezifferten die NRT-Gutachter den Gesamt-Netto-Schaden auf 480 000 Euro für die OGM und auf 260 000 Euro für die Stadt.
Die Schuldfrage
Die Gutachter kommen ähnlich wie die Staatsanwaltschaft Duisburg zu dem Schluss, dass die beiden Sachbearbeiter verantwortlich sind und mit hoher krimineller Energie Schwachstellen im Bestellsystem ausgenutzt haben. Der zuständige Abteilungsleiter hat nach Auffassung der Treuhand-Prüfer grob fahrlässig gehandelt, weil er den Sachbearbeitern den Zugang zum Telekom-Bestellportal gab und ihm vorgelegte Rechnungen „über die unzähligen Endgeräte-Bestellungen“ grob fahrlässig als richtig mitgezeichnet hat.
„Eine erkennbare Ausübung der Dienst- und Fachaufsicht über die Sachbearbeiter fand nicht statt“, schreiben die Gutachter. Sie fanden aber keine beweiskräftigen Belege, dass der Abteilungsleiter von den Betrügereien der beiden Sacharbeiter wusste. Allerdings sei unter seiner Leitung die Übersicht über Endgeräte, Verträge und Nutzer verloren gegangen, weil eine entsprechende Datenbank jahrelang einfach nicht weitergepflegt worden ist und der mit der Stadt geschlossene IT-Vertrag 2014 nicht umgesetzt wurde.
Zur Rolle der OGM-Geschäftsführung von Hartmut Schmidt und Horst Kalthoff schreiben die Gutachter der Niederrheinische Treuhand (NRT): „Die Geschäftsführung ist zur Verhinderung von Unregelmäßigkeiten, Korruption und Geschäftsschädigung durch Straftaten gehalten, für eine optimale Organisation mit klaren Geschäftsprozessen zu sorgen. NRT konnte im Ergebnis keinen Verstoß der Geschäftsführung gegen diese Anforderungen im vorliegenden Fall feststellen.“
Sechs wichtige Tipps der Gutachter für die OGM
Am Ende des ersten Teils ihres Gutachtens über den konkreten Handy-Bestellmissbrauch geben die NRT-Gutachter Empfehlungen ab, damit in Zukunft solche Vorfälle verhindert werden können oder eher auffallen müssen. OGM-Geschäftsführer Hartmut Schmidt versicherte kürzlich, dass die meisten Vorschläge der Gutachter bereits umgesetzt worden seien.
1. Bei Rückgabe von Altgeräten muss der Erlös aus dem Verkauf des gebrauchten Handys der Stadt zufließen.
2. Die Datenbank für Endgeräte, Verträge und Nutzer muss aktualisiert oder neu aufgestellt werden.
3. Mitarbeiter müssen regelmäßig über die Pflicht zur Einhaltung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten erinnert und regelmäßige Kontrollen durchgeführt werden.
4. Beschaffungsverfahren außerhalb des Zentralen Einkaufs sollen stets der Geschäftsführung gesondert angezeigt – und besonders kontrolliert werden.
5. Die Möglichkeit ist zu beseitigen, dass Endgeräte und Verträge ohne echte städtische Anforderung bestellt bzw. abgeschlossen werden können. Mittelfristig soll zwischen Stadt und OGM ein IT-gestütztes Verfahren für Einkäufe eingeführt werden, das alle Schritte von der Bestellung über den Wareneingang bis zur Auszahlung genau erfasst und das die Berechtigung der Nutzer des Systems prüft und dokumentiert.
6. Die Nichtprüfbarkeit der von der OGM erstellten Rechnungsjournale für Leistungen in der Informations- und Telekommunikationstechnik in Richtung Stadtverwaltung muss beseitigt werden. Die Spalte „Bezeichnung“ soll mit verständlichen und detaillierten Beschreibungen der berechneten Leistung versehen werden. Hinzugefügt werden sollen die städtische Anforderung, der Lieferschein und/oder die Bestätigung des Empfängers der Stadt.
Die Gutachter
Die Duisburger Niederrheinische Treuhand (NRT) bietet nach eigenen Angaben bereits seit 1966 ein ganzes Bündel an Beratungsleistungen an – im Verbund mit mehreren Kanzleien und Agenturen von der Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung über Rechts- und Unternehmensberatung bis hin zu Beratungsdiensten für Kommunen. Seit 2006 ist der frühere Duisburger Stadtdirektor, Jürgen C. Brandt (Foto: Lars Fröhlich), als Berater bei der NRT dabei. Der Jurist und frühere Geschäftsführer städtischer Betriebe stellte im Herbst 2015 noch vor der Oberbürgermeister-Wahl auf einer Pressekonferenz die ersten Ergebnisse der NRT-Gutachter über den Handy-Skandal vor. Dass Brandt ein Sozialdemokrat ist, sahen Kritiker der SPD gleich als Fingerzeig an, dass hier Gefälligkeitsgutachten geschrieben würden. Doch die Niederrheinische Treuhand als Gutachter wurde aus einer Reihe von Angeboten ausgewählt – auch von der CDU-Opposition.