Oberhausen. . Der neue Parteichef Dirk Vöpel will substanzielle Veränderungen durchsetzen. Ortsvereine besser einbinden, Politiker als Kümmerer, mehr Beteiligung.

Die Oberhausener SPD hat zu wenig intern diskutiert, sich zu wenig mit Themen der Bürger beschäftigt und ein zu geringes eigenständiges Profil gegenüber der Rathaus-Spitze und der Ratsfraktion gezeigt. Das sind nach Auffassung des neuen, seit gut einem Monat amtierenden Vorsitzenden der SPD Oberhausen, Dirk Vöpel, die Gründe für das schlechte Abschneiden seiner Partei bei den vergangenen Wahlen im Stadtgebiet – und für die klare Niederlage bei der prestige-trächtigen Oberbürgermeister-Wahl im September 2015.

Recht offen und kritisch analysierte der mit 79 Prozent der Stimmen frisch gewählte Parteichef Vöpel, der Michael Groschek als Konsequenz aus der Wahlschlappe ablöste, die Lage seiner SPD – und kündigt in seinem ersten großen Interview mit dieser Zeitung substanzielle Veränderungen an.

„Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Wir haben uns zu wenig mit dem Bürger auseinandergesetzt. Wenn man sich nicht dem Wettbewerb stellt und um die besten Ideen ringt, wird man auch nicht gewählt“, konstatiert Vöpel. „In den vergangenen 20 Jahren ist die Partei eigentlich zu keinem Thema wirklich aufgestellt gewesen. Wir müssen als Partei wahrgenommen werden, die inhaltlich was anzubieten hat.“

Wahrnehmbar für die Menschen

Künftig sollen die sieben Ortsvereine der SPD, aber auch der 17-köpfige Vorstand der Partei wieder eine stärkere Rolle als früher spielen. Die Zeiten, in denen eine Handvoll SPD-Politiker die Geschicke auch der Partei bestimmten, sollen vorbei sein.

Vöpel strebt an, dass die Oberhausener Bürger die Sozialdemokraten in der Stadt wieder als Kümmerer wahrnehmen. Schon Groschek hatte versucht, die Partei in dieser Richtung wiederzubeleben – angesichts stark gesunkener Mitgliederzahlen (derzeit knapp 1700) ist das objektiv allerdings keine leichte Aufgabe.

„Wir haben versäumt, dass wir für die Menschen wahrnehmbar waren. das muss verbessert werden“, sagte Vöpel.

Als Beispiel nannte er im Interview die neuen Stadtteilkonferenzen der SPD in Lirich und Alstaden, die bisher zweimal im Jahr stattgefunden haben. „Der Bürger kann vorbeikommen und sagen, wie er die Entwicklung in seinem Stadtteil sieht, welche Erwartungen er an uns hat. Zum ersten Treffen kamen sechs, zum zweiten 60 Bürger. Dieser Kontakt ist in der Vergangenheit verloren gegangen. Wichtig ist aber auch, dass nach der Stadtteilkonferenz Dinge nicht im Sand verlaufen, sondern was angepackt wird.“

Das Interview 

Seit dem 30. November 2015 ist Dirk Vöpel Vorsitzender der SPD in Oberhausen. Der bis dahin amtierende Vorstand um Michael Groschek hatte nach der verlorenen Oberbürgermeisterwahl seine Ämter zur Verfügung gestellt. Vöpel ist 44 Jahre alt und seit 2013 Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Oberhausen/Dinslaken.

Herr Vöpel, die SPD Oberhausen liegt am Boden – würden Sie dem Satz zustimmen?

Dirk Vöpel: Am Boden, das weiß ich nicht. Wir haben aber mit Sicherheit bessere Zeiten gesehen. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Sonst wäre ich auch nicht zur Wahl des Parteivorsitzenden angetreten.

Ratswahl, Nachwahl Sterkrader Heide, Abstimmung zur Straßenbahnlinie 105, OB-Wahl – die SPD Oberhausen hat in den vergangenen zwei Jahren vier Abstimmungen verloren. Welche Fehler hat Ihre Partei gemacht?

Vöpel: Eine Tendenz hat sich verstetigt: Die Partei hat zu wenig intern diskutiert und sich zu wenig mit den Themen beschäftigt, die für die Stadt wichtig sind. Wir haben uns auch zu wenig mit dem Bürger auseinandergesetzt. Die Zeiten, als man den berühmten roten Besenstil hinstellen konnte und gewählt wurde, sind vorbei – was ich übrigens auch richtig finde. Wenn man sich nicht dem Wettbewerb stellt und um die besten Ideen ringt, wird man auch nicht gewählt. Man muss aber auch feststellen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der wir insgesamt mit der Wahlbeteiligung nicht zufrieden sein können.

Woran liegt das?

Vöpel: Viele Bürger sind frustriert, ihnen ist nicht mehr klar, warum sie welche Partei wählen sollen. Was in der Kommunalpolitik aber auch manchmal schwierig ist, denn eine Straße baue ich richtig oder falsch, aber nicht rot, gelb oder schwarz. Uns ist es nicht gelungen, dem Bürger klar zu machen, dass wir für die guten Ideen stehen. Daran müssen wir intensiv arbeiten.


Wie konnte der Kontakt zum Wähler verloren gehen? Die Kümmerer-Partei ist die SPD nicht mehr. Braucht es noch Kümmerer?

Vöpel: Ja, die braucht es. Bei speziellen Problemen beispielsweise vor meiner Haustür, wenn etwa die Straße kaputt ist, ein Baum gefährlich schief steht oder sonst etwas. Wenn dann die Stadt oder ihre Töchter nicht reagieren, dann brauche ich einen Ansprechpartner, der sich kümmert, im Idealfall ist dies der Stadtverordnete oder Bezirksvertreter. Auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass das Interesse an der breiten Politik wenig ausgeprägt ist. Es gibt es einen Rückzug ins Privatleben.

Was folgern Sie denn aus dieser Entwicklung?

Vöpel: Die Gesellschaft hat sich verändert, klar, das merken nicht nur die Parteien, sondern auch die Kirchen und Vereine. Aber man darf jetzt nicht sagen, die Gesellschaft ist schuld, sondern muss, um wieder auf die SPD zurückzukommen, die Frage stellen: Hat die Partei ausreichend auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagiert?

Das hat sie wohl nicht. Aber wie wird sie wieder zu einer gestaltenden Partei, die Wähler anspricht? Im Rat hat sie keine Mehrheit.

Vöpel: Aber sie ist die stärkste Fraktion, ohne sie kann man so gut wie nichts organisieren. Außerdem haben wir eine Koalition mit den Grünen und der FDP. Und die sollte nicht ohne Not beendet werden. Wir haben einen Koalitionsvertrag und an dessen Inhalte werden wir festhalten. Ganz wichtig ist, wie sich jetzt der neue Oberbürgermeister Daniel Schranz definiert. Er ist als jemand angetreten, der für breite Mehrheiten sorgen will. Das muss er jetzt unter Beweis stellen. Wir als SPD müssen uns neu aufstellen und neu organisieren.

Besserer Kontakt zum Bürger schaffen 

Wie wollen Sie das schaffen?

Vöpel: Ich bin seit zehn Jahren Ortsvereinsvorsitzender in Alstaden und Lirich. Diese lokale Prägung hatte der ehemalige geschäftsführende Vorstand nicht so. Mir ist wichtig, dass die Parteigeschäftsstelle mehr Service-Arbeit für die ehrenamtlich arbeitenden Ortsvereine übernimmt, die müssen so weit als möglich von organisatorischen Dingen wie Einladungen schreiben und verschicken et cetera entlastet werden.

Und wie will die SPD wieder den Bürger erreichen?

Vöpel: Am Samstag, den 9. Januar wird sich der gesamte neue Vorstand in einer Klausur zusammensetzen. Das sind 17 Personen, das ist ein großes Spektrum und ein breites Potenzial. Dieses gesamte Potenzial wurde in der Vergangenheit nicht so genutzt. Und es gibt noch die Stadtverordneten, die Bezirksvertreter, die Ortsvereine. Dieses Wissen muss man wieder aktivieren. Es kann nur klappen, wenn viele mitmachen. Die Lust an Politik muss wieder geweckt werden.

Einen genauen Fahrplan mit Haltepunkten gibt es noch nicht?

Vöpel: Es wäre albern zu sagen, wir haben die Riesenlösung für alles. Nach der verlorenen Kommunalwahl haben wir in Lirich und Alstaden sogenannte Stadtteilkonferenzen durchgeführt. Die gibt es zweimal im Jahr. Der Bürger kann vorbeikommen und sagen, wie er die Entwicklung in seinem Stadtteil sieht, welche Erwartungen er an uns hat. Zum ersten Treffen kamen sechs, zum zweiten 60 Bürger. Dieser Kontakt ist in der Vergangenheit verloren gegangen. Wichtig ist aber auch, dass nach der Stadtteilkonferenz Dinge nicht im Sand verlaufen, sondern was angepackt wird.

Wie gehen Sie mit der Doppelbelastung Bundestagsabgeordneter mit Ausschuss- und Parlamentssitzungen in Berlin und Parteivorsitz in Oberhausen um?

Vöpel: Ich habe nicht den Ansatz, hier in Oberhausen alles alleine richten zu können. Ich habe Stellvertreter und den weiteren Kreis der Vorstandsmitglieder. Es kommt mir auf eine gemeinsam entwickelte Politik an. In der sitzungsfreien Woche kann ich meinen Zeitplan allerdings auch relativ frei gestalten.

Gibt es Oberhausener Themen, die Sie besonders im Blick haben?

Vöpel: Kommunalpolitik besteht aus Millionen kleiner Themen. Wir haben versäumt, dass wir für die Menschen wahrnehmbar waren. das muss verbessert werden. Und wir haben versäumt, über größere gesellschaftliche Themen zu diskutieren. Warum nicht Themenabende organisieren? Damit könnten wir auch wieder Lust an Politik wecken.

Gibt es Wünsche an die Fraktion?

Vöpel: Mein Ansatz ist, dass die Partei wieder stärker werden muss. Wir werden innerparteiliche Arbeitskreise bilden. Die gab es bisher nicht, das hat man immer der Fraktion überlassen.

Nennen Sie ein konkretes Beispiel.

Vöpel: Der Bildungsplan, also der Zukunftsentwurf für unsere Schullandschaft – hier drückt der Zeitplan, im Mai wird bereits entschieden. Wenn etwa Schulschließungen anstehen, dann muss die Partei sprachfähig sein. In den betreffenden Stadtteilen müssen wir im Januar, Februar die Diskussion führen. In den vergangenen 20 Jahren ist die Partei eigentlich zu keinem Thema wirklich aufgestellt gewesen. Wir müssen wieder als Partei wahrgenommen werden, die inhaltlich was anzubieten hat. Dann kann die SPD auch wieder Impulse in die Ratsfraktion senden. Ich hoffe, dass in einem halben Jahr die ersten Lebenszeichen von der Partei wieder ausgestrahlt werden können. Von der Fraktion erwarte ich, dass sie die Partei unterstützt.

Gilt das auch für den jetzigen Fraktionsvorstand?

Vöpel: Das ist für mich nicht an Personen gebunden. Personen sind zwar wichtig, aber es geht darum, eine Streit- und Diskussionskultur zu entwickeln.

Das Interview mit SPD-Chef Dirk Vöpel führte Frank Helling

Zur Person 

Dirk Vöpel wurde am 29. Mai 1971 in Oberhausen geboren. Nach dem Abitur am Elsa-Bränd-ström-Gymnasium leistete er Zivildienst. 1993 Beginn eines Studiums der Rechtswissenschaften. Seit 1998 ist er Gründer und Geschäftsführer der SAV (Service Agentur Vöpel), deren Schwerpunkt Dienstleistungen im Bereich IT-Handel und IT-Service sind. Seit 1988 ist Vöpel SPD-Mitglied. Von 1992 bis 1994 war er Vorsitzender der Oberhausener Jungsozialisten. Er war Mitglied der Bezirksvertretung Alt-Oberhausen, Bezirksbürgermeister und von 1999 bis 2013 Mitglied des Rates der Stadt Oberhausen. Vöpel ist geschieden, Vater einer Tochter.