Oberhausen. . Richard Brox lebt seit rund 30 Jahren auf der Straße und gibt Insider-Tipps. Seine Geschichte soll als Buch erscheinen. Unterstützung von Günter Wallraff.
Helmut Richard Brox lebt seit rund 30 Jahren auf der Straße, meist irgendwo zwischen Oberhausen, Essen und Dortmund. Wie es dazu kam, was er erlebte – das will er in einem Buch erzählen. Als Autor unterstützt ihn Dirk Kästel, Vorsitzender des Kölner Vereins „kunst hilft geben für Arme und Wohnungslose“. Ein Kapitel steuert Enthüllungsjournalist Hans-Günter Wallraff bei.
Der Buchentwurf liegt bereits beim Rowohlt Verlag. Eine Zusage steht allerdings noch aus. Am 18. Dezember ist Brox als Gast in „Bülents große Überraschungsshow“ (RTL, 20.15 Uhr).
Nein, Helmut Richard Brox sieht nicht aus wie ein Mensch, der auf der Straße lebt. Er legt Wert auf sein Erscheinungsbild. Und wer ihn sprechen hört, käme nie auf die Idee, dass er kaum zur Schule gegangen ist. Dirk Kästel, der Brox gut kennt, weiß, dass dieser Mensch ausgesprochen intelligent ist. Er spiele mit Wallraff regelmäßig Schach: „Wallraff hat nur einmal gewonnen.“ Was aber war es, das diesen so bemerkenswerten Mann an den Rand der Gesellschaft drängte?
Brox erzählt selbst. Nachdenklich, langsam. Er wurde in Mannheim geboren, blieb das einzige Kind. Mit fünf Jahren kam er erstmals in ein Kinderheim. „Ich galt als hyperaktiv, verhaltensauffällig, wohl auch aggressiv“, sagt er mit fester Stimme. Ein schwieriger Sohn also, mit dem die Eltern überfordert waren. Doch Brox hegt keinen Groll. Er weiß: „Meine Eltern waren traumatisiert.“
Traumatisierte Eltern
Die Mutter, Jüdin, hatte das KZ Ravensbrück überlebt. Ravensbrück war das größte Konzentrationslager für Frauen zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Vater war ebenfalls von den Nazis gebrochen worden. „Es saß mehrfach in Zuchthäusern, wurde mit einem Strafbataillon an die Front geschickt.“ Auch dafür fand Dirk Kästel bei den Recherchen fürs Buch reichlich Belege.
Die Eltern brachten ihr Kind ins Heim – und sie holten es wieder raus. Aus vielen Häusern. Auch aus einem Heim im Odenwald. Wo nicht nur der Achtjährige unter einem sadistischen Heimleiter litt, der die Kinder misshandelte. „Das Kinderheim war der Wurmfortsatz der wegen sexuellen Missbrauchs in Verruf geratenen Odenwaldschule“, fasst Brox das Grauen dieser Zeit in einem Satz zusammen.
Die Eltern befreiten ihn, er kam wenig später zu Pflegeeltern und erlebte zum ersten Mal so etwas wie ein intaktes Familienleben. „Hätte ich doch nur dort bleiben können.“ Aber er konnte nicht. Der Pflegevater erkrankte zu schwer. Noch einmal erlebte er glückliche Jahre: 1971 bis 1973 in einem Kinderheim bei Heidelberg. Endlich eine Einrichtung, in der es den Kindern gut ging. „Ich frage mich noch heute, warum das Mannheimer Jugendamt mich dort nicht ließ.“
1977 starb sein Vater. Die Mutter litt an Depressionen. Für den Jugendlichen der Start in eine Drogensucht, die ihn bis 1989 gefangen hielt. 1981 kam er zum letzten Mal in ein Heim für schwererziehbare Jugendliche – und damit erneut in die Hölle. „Auch hier missbrauchten Erzieher ihre Schutzbefohlenen, zwangen sie sogar zur Prostitution.“ Richard Brox flüchtete, wie so oft.
Als die Mutter 1985 starb und er die Wohnung übernehmen wollte, kannte die Stadt Mannheim keine Gnade – es kam zur Zwangsräumung. „Obwohl ich das Jugendamt, das Sozialamt und das Gesundheitsamt um Unterstützung gebeten hatte.“
Auf der Suche nach einer Wohnung
Richard Brox hatte damals um einen Therapieplatz gebettelt, wollte nicht lassen vom Letzten, das ihm von der Familie geblieben war. Doch vergeblich.
Mit zwei Taschen kam er in seiner ersten Notunterkunft an. „Am nächsten Tag waren die Taschen weg.“ Drei Jahre lebte er in Mannheim auf der Straße. Die Drogensucht ließ ihm nur die Wahl: Tod auf Raten oder Therapie. Brox entschied sich für eine Therapie in Heidelberg. Danach stand sein Entschluss fest: „Ich will anderen helfen, anderen in ähnlicher Situation.“ Bis heute hat Richard Brox keine Drogen mehr angerührt.
Er entwarf zwei Internetseiten, auf denen er Obdachlosen, Suchtkranken und deren Angehörigen Insider-Tipps gibt. Über 5000 Adressen sind dort zu finden. Brox kennt alle persönlich. Für diese beiden Internet-Seiten wurde der 51-Jährige bereits für den Deutschen Engagementpreis nominiert – und kam von 2000 Bewerbern unter die besten 50. Beim „taz Panter Preis“ wurde er aus gleichem Grund mit dem zweiten Preis ausgezeichnet.
Der „Ruhrpott“ ist seine Heimat geworden. „Hier will ich bleiben“, sagt Brox. Er lebt noch immer auf der Straße, steuert ab und an Notunterkünfte an, erholt sich gelegentlich bei Freunden. Auf seinen Reisen lernte er Dirk Kästel kennen – und Günter Wallraff. Dem Kölner Verein „kunst hilft geben“ steht er beratend für den Bau eines Hauses für Obdachlose zur Seite. Kästel bestätigt: „Richard Brox erhält eine kleine Entschädigung aus dem Bundesfonds für misshandelte Heimkinder.“ Auch das Jugendamt in Mannheim habe in einem Schreiben an Brox Fehler eingeräumt. Gerne würde Brox, der sonst keine finanzielle Unterstützung erhält und an Rheuma erkrankt ist, sesshaft werden. „Ich würde mich freuen, wenn mir jemand eine kleine Dachgeschoss-Wohnung zur Verfügung stellen würde.“ Dann hätte er auch Anspruch auf Grundsicherung. Und im Dachgeschoss fühle er sich halt am wohlsten. Vielleicht, weil ihm der Himmel so ein wenig näher ist.
Auf der Suche nach einem Verlag
Dirk Kästel von „kunst hilft geben“ ist für Richard Brox auf der Suche nach einem Verlag: 0162/2336701. Wer Brox eine Wohnung anbieten oder ihn durch eine Spende unterstützen möchte, kann das ebenfalls über den Kölner Verein tun.
Die Internetadressen von Richard Brox: ohnewohnung-wasnun.de und suchthilfe-deutschland.de