Oberhausen. Diskussion in der Volkshochschule Oberhausen über mehr direkte Demokratie. Analyse der Abstimmung über den Ausbau der Straßenbahnlinie 105

Am 8. März dieses Jahres hat eine deutliche Mehrheit der Wähler einer Verlängerung der Straßenbahnlinie 105 von Essen nach Oberhausen eine Absage erteilt. Es war die erste Abstimmung, bei der der Oberhausener Rat die Entscheidung Bürgern überlassen hat. Ob es aber eine Sternstunde der Demokratie war, darüber wurde kürzlich bei der Volkshochschule kontrovers diskutiert. Alexander Trennheuser vom Verein „Mehr Demokratie“ und Martin Florack von der Uni Essen-Duisburg lieferten sich im Bert-Brecht-Haus einen munteren Ge­dankenaustausch.

„Ich hätte vorher gewettet, dass es mit ,Nein’ endet“, erklärte Florack. Gegen etwas lasse sich immer leichter mobilisieren als für etwas. „Bei zusätzlichen Geldausgaben sind die Bürger selbst viel vorsichtiger als Parlamente.“ Außerdem verzerre eine so geringe Wahlbeteiligung von 23 Prozent das Ergebnis, gäben doch direkt Betroffene dabei den Ausschlag.

Politik hat sich nicht getraut

In Oberhausen hätten Sozial- und Christdemokraten damit eine Machtfrage von den Bürgern austragen lassen, meint der Wissenschaftler: „Die SPD hat sich nicht getraut, die Entscheidung im Rat zu treffen, weil sie sie dann im OB-Wahlkampf hätte vertreten müssen“, sagte Florack. Und die CDU habe „ein bisschen gekniffen“, sich also nicht dage­gen ausgesprochen, sondern nur gegen die von der SPD favorisierte Trasse, damit die Entscheidung der Bürger als SPD-Niederlage gedeutet werden konnte. Normalerweise gehe die Initiative für direkte Demokratie ja von den Bürgern selbst aus.

Florack bezweifelte aber, ob die Bürger bessere Entscheidungen treffen könnten als die Politiker. Beispiel: „Die Schweiz hat auf diesem Weg das Frauenwahlrecht 50 Jahre später eingeführt als Deutschland.“ Schon die sinkende Teilnahme an Wahlen habe zudem zur Folge, dass sich Menschen mit geringen Einkommen und geringer Bildung von der Teilnahme verabschiedet hätten. Bei Volksabstimmungen sei diese soziale Verzerrung noch ausgeprägter. „Deswegen bedeutet mehr direkte Demokratie am Ende sogar weniger Demokratie“, warnte der Politologe.

Dem hielt Alexander Trennheuser entgegen, es gehe ja nicht darum, die Entscheidungen durch die Parlamente völlig zu ersetzen. Vielmehr sollten die Bürger nur in für sie besonders wichtigen und umstrittenen Fällen selbst entscheiden, auch auf Bundesebene. Dass die Beteiligung daran geringer als an Wahlen sei, stimme so nicht. Sie liege bundesweit im Durchschnitt bei 50 Prozent.

Wenige Wahllokale geöffnet

Die Stadt Oberhausen habe der Abstimmung im März nicht gedient, indem sie nur wenige Wahllokale geöffnet habe. Auch sei die gesetzliche Regelung, dass die jeweilige Mehrheit mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen muss, ein Fehler. „Das verleitet zur Nicht-Teilnahme, die wie eine Gegenstimme wirkt“, sagte Trennheuser.

Martin Florack musste einräumen, dass Volksabstimmungen auch Sinn machen können. So seien sie in Bayern in den 80er Jahren als Gegengewicht zur damaligen Vormachtstellung der CSU durchgesetzt worden. In der Schweiz handele es sich um ein Gegengewicht gegen die dortige ständige Allparteienregierung. Und im Fall von „Stuttgart 21“ habe sie befriedende Wirkung gehabt. Einig waren sich beide in der Einschätzung, dass die desaströse finanzielle Lage der Städte jeder Form von Demokratie abträglich sei. „Die finanziellen Möglichkeiten der Schweizer Städte sind besser“ (Trennheuser).

Die Zuhörer brachten noch ein, dass die Bürger den Folgekosten des Projekts damals nicht getraut hätten. „Die wurden schöngerechnet. Und das haben die Leute gemerkt“, beklagte eine Frau. Auch sei die Abstimmung ein Denkzettel für die Führung der Oberhausener SPD gewesen, hieß es. „Volksabstimmungen sind ein Gegenmittel gegen die Macht der Lobbygruppen“, betonte ein Mann.