Oberhausen. Asylbewerber aus Eritrea, Albanien und Syrien erzählten, wie sie Oberhausen ereichten. Zahlreiche Zuhörer. Der Wunsch der Kollegschüler: Kontakt.

„Großartig, dass so viele Menschen kommen“, rief Tilman Raabke in die Theaterbar. Der Dramaturg erklärte sich „ein bisschen gerührt“. Schließlich war da auch die Befürchtung der Theatermacher, mit einem weiteren Beitrag zum großen Thema Flüchtlinge die Oberhausener zu überfordern. Doch dieser Abend in der Bar war anders – denn man redete nicht über die „Schutzbefohlenen“, wie es bei Elfriede Jelinek heißt – sondern mit ihnen.

Tilman Raabke nannte die zunächst in Tigrinya, Albanisch und Arabisch vorgetragenen Texte der 19- bis 25-Jährigen „telegrafische Reiseberichte“. Selbst die schlimmsten Episoden ihrer mehrmonatigen Flucht waren in einen Satz oder einen Halbsatz gedrängt. „Oberhausen“ war stets als eines der letzten Worte aus den Kurzvorträgen herauszuhören – ehe Henry Meyer vom Ensemble des Theaters übersetzte.

„Sie möchten heraus aus ihrer Isolation“, so erklärte Ruben Penaloza-Ramirez die Motivation seiner Schüler im Deutschkurs des Hans-Sachs-Kollegs, mitzumachen beim Theater. „Wir waren noch nicht fertig mit Lektion 1“ – da kam die Zumutung des Jelinek-Textes. Doch die hoch-artifizielle Sprache der Nobelpreisträgerin von den „Schutzbefohlenen“ drang zu ihnen durch: „Das sind wir!“

Schutzbefohlene bleiben Thema im Theater

„Wir bauen das zu einem großen Epos aus“, meinte Chefdramaturg Tilman Raabke. Konkret: Auch „Erzählungen der Schutzbefohlenen II“ soll folgen. Allerdings erst im Januar 2016.

Intendant Peter Carp kündigte für Dezember einen Abend an, der den Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg zum Thema macht.

Rafael aus Eritrea, fast kindlich schmal, nahm als Erster sein Textblatt und berichtete: „In Eritrea gibt es keine Freiheit.“ 14 Tage durchquerte er zu Fuß das große Nachbarland Äthiopien, um in den Sudan zu gelangen. Von dort durch die Sahara an die libysche Küste.

Wie gefährlich diese Fluchtroute ist, machte sein Landsmann deutlich: Er sah während des zweiwöchigen Transports mit Lastwagen, unzureichend versorgt mit Essen und Wasser, ein Mädchen und einen Jungen sterben. Beide Eritreer waren in Libyen monatelang inhaftiert, um Geld von ihren Familien zu erpressen. Als auch die libyschen Milizen kassiert hatten, folgte die riskante Passage übers Mittelmeer. „Mit 360 Menschen in einem kleinen Motorboot“, sagt Rafael. In Tarent, am Absatz des italienischen „Stiefels“, erreichte er Europa.

Im Heim kann man nicht lernen

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Die Gefahren dieser Flucht durch zwei Bürgerkriegs-Länder, Südsudan und Libyen, erklären, warum aus Ostafrika ganz überwiegend junge Männer Asyl suchen. „Frauen aus Eritrea bleiben in Äthiopien“, erklärt Rafael. Sie wären auf dem weiteren Weg noch schutzloser als die Männer.

„Über alles Literarische hinaus“ nannte Tilman Raabke die „Erzählungen“ der Kolleg-Schüler „eine Befreiung“. Wer sich aus der Klasse von Ruben Penaloza-Ramirez nicht beteiligte, der schweigt aus Angst vor Repressalien, die seine Familie erleiden müsste.

Aber alle wollen „Kontakt aufbauen“ in dieser neuen Fremde, erklärte der Lehrer. „Das erste Jahr konzentrieren wir uns auf die Sprache. Wir versuchen, Klassen zu mischen, deutsche Schüler als Paten zu finden.“ Einige Kollegschüler waren in der Bar dabei – zwischen einem überwiegend älteren Theater-Publikum. Der schwierigste Teil sei nun, so Penaloza-Ramirez, auch für Ausbildungsplätze zu sorgen.

Von den vier Schutzbefohlenen auf der kleinen Bar-Bühne fasste allein der junge Albaner aus Durres schon den Mut, die Fragen der Zuhörer auf Deutsch zu beantworten: Nachdem das Hans-Sachs-Kolleg und seine Sozialarbeiter auch Wohnungen vermittelt hatten – „im Asylbewerberheim kann man nicht lernen“ – passt der drängendste Wunsch an die Oberhausener in ein Wort: Kontakt. „Wir möchten auch im Theater nicht mehr als Flüchtlinge auftreten“, übersetzte ihr Lehrer, „sondern als normale Bürger“.