Oberhausen.
Knapp vor einem Monat gewann die CDU die Oberbürgermeister-Wahl, die SPD musste erneut eine herbe Wahlschlappe hinnehmen. Über die Zukunft der SPD-Fraktion und über die führenden Positionen sprachen wir mit dem Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Große Brömer.
Nach der erneuten Wahlniederlage stehen auch Sie in der Kritik: Wie gehen Sie persönlich damit um?
Wolfgang Große Brömer: Es kommt auf die Art der Vorwürfe an, wie man sie selbst einordnet und wie man sich selbst in der Rolle definiert. Wenn man der Überzeugung ist, dass die Kritik entweder schlecht argumentiert wird oder keine objektive Grundlage hat, kann man leichter damit umgehen. Ich persönlich hatte immer eine gesunde Position bezogen, da ich stets gesagt habe: Ich klebe nicht an meinem Stuhl. Ich mache das Weitermachen davon abhängig, ob ich das Vertrauen in meiner Fraktion habe. Ich mache das zum Beispiel nicht abhängig von Leserbriefen.
Sie sagen: Sie kleben nicht an Ihrem Stuhl, geben ihn aber auch nicht frei.
Große Brömer: Ich hatte den längst frei gemacht, was kaum jemand weiß. Für mich war die ursprüngliche Lebensplanung so: 2015 Schluss mit dem Landtagsmandat, weil da ja ursprünglich die Legislaturperiode enden sollte. Ich hatte Klaus Wehling, Mike Groschek, Hardy Schmidt gegenüber angekündigt, dass ich auf keinen Fall zur Kommunalwahl 2014 zur Verfügung stehen würde. Ich habe stets gefordert, dass wir keine von der Kommunalwahl getrennte isolierte Oberbürgermeisterwahl durchführen sollten. Ich betone: Das hat nichts mit der Arbeit oder Person von Klaus Wehling zu tun. Nachdem gegen meinen Rat entschieden worden ist, habe ich den drei genannten gegenüber meinen Rücktritt erklärt und verschriftlicht. Das war im Oktober 2013. Danach habe ich die Vertrauensfrage in der Fraktion gestellt, weil die Signale waren: Hör nicht auf, mach weiter. Das war der einzige Grund, warum ich 2014 überhaupt noch kandidiert habe.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, in der SPD trauten sich nur wenige, ihre wirkliche Meinung zu sagen?
Große Brömer: Das ist Quatsch. Weder in der Fraktion noch in der Partei, bei Mitgliederversammlungen, Ortsvereinssitzungen, Parteitagen – da hat niemand Angst, etwas zu sagen. Es gibt auch gar kein Drohpotenzial, was Angst erzeugen könnte. Es gibt offene Diskussionen. Sicherlich ist da, wie häufig, der eine oder andere, der sich in einer großen Runde nicht traut, sich zu artikulieren, aber da gibt es andere Möglichkeiten der Meinungsäußerung. Bei uns wird keine Meinung unterdrückt.
Wen würden Sie sich als Nachfolger wünschen?
Große Brömer: Da gibt es keine Namen. Ich möchte mich an personellen Spekulationen nicht beteiligen.
Anders gefragt: Was muss er/sie für ein Typ sein?
Große Brömer: Er oder sie muss viel Zeit mitbringen. Er/sie muss integrieren, zusammenhalten können, verschiedene Meinungen akzeptieren und sie in ein gemeinsames Meinungsbild lenken, das solidarisch nach außen getragen werden kann. Er/sie muss offen sein für Anregungen, ein dickes Fell haben und in der Lage sein, ad hoc in Diskussionen im Rat die Positionen der SPD oder der Ampel vertreten zu können. Er oder sie braucht auf jeden Fall das Vertrauen der Gesamtfraktion, die muss hinter ihm oder ihr stehen. Er/sie muss die richtigen Akzente setzen und offen sein für Akzente anderer. Das Ganze orientiert an den politischen Hauptvorstellungen, die durch Partei und die Koalitionspartner vorgegeben werden.
Ist diese Phase des Umbruchs eher zum Ausprobieren geeignet oder soll nun der zukünftige Weg festgezurrt werden?
Große Brömer: Das lässt sich nicht trennen. Es wird keiner das Patentrezept, das festgezurrt werden könnte, in der Tasche haben. Es wird sich noch einiges sortieren müssen, allerdings können wir uns längere Testphasen auch nicht leisten. Es geht zukünftig auch um die Frage: Wie gehen wir eigentlich miteinander um? Was machen wir mit einem CDU-OB, der nicht nur im Wahlkampf für durchaus verletzende Aktivitäten verantwortlich gewesen ist. Wie geht er mit uns um? Er weiß, dass er mit den gezählten 30, die er als Basis für seinen Wechsel gesehen hatte, eben keinen Wechsel hin bekommt, weil diese Basis völlig instabil ist. Welche politische Richtungen will er eigentlich initiieren und welche können mit uns gemeinsam gestaltet werden? Das sind die entscheidenden Fragen. Daran orientiert wird sich eher feststellen lassen, wer in der Lage ist, das umzusetzen. Die inhaltliche Arbeit ist wesentlicher als die Frage: alt oder jung.
Was wünschen Sie sich vom neuen Oberbürgermeister Daniel Schranz?
Große Brömer: Einen anderen Politikstil als bisher! Es gibt einige bei uns, die eine Entschuldigung von ihm erwarten. Aber so verwegen bin ich nicht. Es hat bei uns im Vorfeld des Wahlkampfes durchaus eine starke Betroffenheit gegeben, zum Teil menschliche Enttäuschungen hinsichtlich einiger Kampagnen, die von der CDU gefahren worden sind. Beispiel Elia Albrecht-Mainz. Sie ist nicht verantwortlich für die LED-Lampen-Ausschreibung, hat diese aber gewonnen. Die anschließende Kampagne grenzte schon fast an Rufmord. Da sind wirklich Wunden entstanden. Wir haben auch viele unsachliche und polemische Leserbriefe gesammelt und wollten mit dem einen oder anderen Briefschreiber in Kontakt treten. Erfolglos, offensichtlich existieren diese Personen in der Realität überhaupt nicht. Was mich irritiert, ist, dass sich nach der Wahl diese Methode fortsetzt. Jeder aktuelle Leserbrief macht jetzt eine Strategie deutlich: Weil die Ampelkoalition die Mehrheit für Daniel Schranz verhindert, wird nun versucht, sie weich zu klopfen. Das wird nichts nutzen und wir erwarten, dass das aufhört. Das ist nicht der Stil, auf den wir uns einlassen werden. Die Propaganda-Abteilung der CDU-Ratsfraktion muss jetzt entweder Kreide fressen oder ihre Arbeit einstellen. Von uns kann nicht erwartet werden, dass wir uns ständig beschimpfen lassen und dann anschließend als Mehrheitsbeschaffer für die CDU dienen.
Für Kompromisse benötigt man ein Grundvertrauen – auf persönlicher Ebene klappt das ja. Wir haben es gemeinsam geschafft, diese vertrackte Situation bei der Stadtsparkasse – Stichwort Sport-Concept – in den Griff zu bekommen. Wir haben über vier Jahre hinweg alle Entscheidungen einstimmig im Verwaltungsrat getroffen. Es geht also.
„Die OB-Wahl war die logische Konsequenz“
Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus der Wahlniederlage jetzt und aus der im Mai 2014?
Große Brömer: Die OB-Wahl war die logische Konsequenz, es war eine Fortsetzung der Entwicklungen, die 2014 schon stattgefunden hatten. Im Gegensatz zu den Wahlen davor haben wir es nicht geschafft, eine positive Stimmung mit uns zu verknüpfen. In vielen Wahlkämpfen geht es mittlerweile gar nicht mehr um Sachargumente, weil sie nicht vermittelbar, weil sie zu komplex geworden sind. Da geht es um Emotionen.
2009 haben wir es noch geschafft: Wir hatten die gleiche Verschuldungssituation, viel stärker noch als heute. Damals hatten wir geschafft zu sagen: Wir sind das gallische Dorf, wir kämpfen für die Stadt und die Ausbildung bei der Stadtverwaltung, die uns untersagt werden sollte. Es war uns gelungen, mit Gewerkschaften für diese Stadt Leute auf die Straße zu bringen und zu demonstrieren.
Finanziell geht es uns jetzt besser. Wir haben mehr Spielräume als 2009, aber wir haben es nicht verstanden, dies zu vermitteln und positiv nach vorne zu bringen. Auch weil die CDU in ihrer Kampagnenfähigkeit, in ihrer Kritik an uns erheblich aggressiver geworden ist als das 2009 der Fall war. Da ist mit Inhalten und Parolen gearbeitet worden, die man nur schwer ertragen kann, aber auf die wir – selbstkritisch gesehen – keine greifbare Antwort gefunden haben.
Hätte Ihr Wahlkampf aggressiver sein müssen?
Große Brömer: Aggressiver nicht unbedingt, aber er hätte polarisierter stattfinden müssen, um deutlich zu machen, wo die Unterschiede liegen. Die Darstellung, dass Apostolos Tsalastras der geeignete und kompetente Kandidat ist, hat allein offensichtlich nicht gereicht. Die CDU hat es geschafft, mit Anstatt-Slogans – zum Beispiel „Bürgerbeteiligung statt Bevormundung“ – Emotionen gegen uns zu wecken, auch wenn sie aus unserer Sicht inhaltlich nicht nachvollziehbar waren. Wir haben nicht das entsprechende dagegen gesetzt. Das gehört zu den taktischen Fehlern im Wahlkampf.
Abgesehen von der personellen Debatte, wie muss sich die SPD in Fraktion und Partei verändern?
Große Brömer: Es muss sich eine Menge ändern. Die inhaltliche Arbeit der Fraktionsarbeitskreise muss neu justiert werden. Wir müssen unsere klassische Ortsvereinsarbeit überdenken. Wir müssen auch feststellen, dass das alte Stammwählerpotenzial offensichtlich nicht mehr vorhanden ist. Ich halte wenig davon, dass alle Parteien jetzt ein Rundumsorglos-Paket für alle Bevölkerungsstrukturen bilden, sondern wir müssen Schwerpunkte setzen. Der alte klassische Schwerpunkt der SPD war: soziale Gerechtigkeit. Wir müssen generell Programmatik, Zielgruppen überdenken und überarbeiten. Wir brauchen eine Stabilisierung der Ortsvereine. Da haben wir offensichtlich einiges an Defiziten.