Oberhausen. . Thieß Brammer ist seit vier Wochen der Neue im Theater-Ensemble. Das Landestheater in Schleswig begeisterte den heute 25-Jährigen für die Bühne.

Im aktuellen Spielzeitheft des Theaters präsentiert sich der Neue im Ensemble so großstädtisch-mondän inszeniert wie seine Kollegen: in tiefen Polstern, umgeben von getäfelten Wänden, hinter sich ein Kamin mit Stuck-Fries. Dabei kommt Thieß Brammer aus dem hohen Norden, vom Land – und das haben auch die Jahre an der hochmögenden Ernst Busch-Schauspielschule nicht aus seinem Tonfall gewischt. Außerdem trägt der 25-Jährige den Kinnbart so eckig geschnitten wie ein traditionsbewusster alter Seebär.

In Borgwedel an der Schlei ist der gebürtige Berliner aufgewachsen „300 Menschen, viel Natur, direkt am Wasser,“ sehr überzeugend sagt er: „So wünscht man sich Kindheit.“ Nur die Kultur war zunächst knapp dosiert: Ein Instrument lernen? Der junge Thieß versuchte es mit der Klarinette – „grauenhaft“. Dann doch lieber Basketball spielen und in der Jugendfeuerwehr mitmachen. „In der Schule hatte ich so Tendenzen zum Klassenclown“, sagt Thieß Brammer – zur Begeisterung des Theater-Pressesprechers. „Das wird die Schlagzeile“, jubelt Tim Lucas. Gemach.

Thieß’ Mutter hatte den Unbändigen überredet, es doch mal wie die große Schwester im Theater-Jugendclub zu versuchen. „Wie uncool. Jungs sollen sich schminken?“ Der 14-Jährige fuhr trotzdem ins nahe Schleswig zum Landestheater. Und? „Es hat mich richtig umgehauen. Es fühlte sich an wie Freiheit.“

Theater fühlte sich an wie Freiheit

Und wie Verliebtheit. Denn der Debütant schwärmte als von Pucks Liebestropfen vergifteter Demetrius für die etwas ältere Helena. „Williams Birne“ hieß diese Shakespeare-Collage – aber anders als im „Sommernachtstraum“ schmachtete nicht Helena, sondern Demetrius leidvoll vergebens.

Der Oberschüler Thieß Brammer blieb beim Jugendclub, dessen Ensemble als Teil des Landestheaters Schleswig-Holstein sogar jährlich auf Tournee ging „von Flensburg bis Rendsburg“. Stressig? „Ja, aber es war auch ein Ventil. Vorher hatte ich viel Quatsch gemacht.“ Jetzt wuchs seine Überzeugung: Schauspieler könnte auch mein Beruf werden.

Weh tut ihm nur der heutige Anblick „seines“ Schleswiger Theaters: der klassizistische Bau wurde vor vier Jahren wegen Einsturzgefahr geschlossen. Über ein neues Theatergebäude wird immer noch verhandelt. „Es ist bitter“, sagt Thieß Brammer, „heute daran vorbeizufahren“.

Jährlich 25 Studienplatz-Bewerber nimmt die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick. „Von Borgwedel nach Berlin, das war schon ein krasser Cut“, erinnert sich der große Blonde. Täglich straffes Programm von 9 bis 19 Uhr inklusive Fechten, Akrobatik, Bogenschießen – „ich fand’s großartig“.

Kleine Tournee für die Absolventen

Sind Schauspieler eigentlich auch ein begeistertes Theaterpublikum? „Meistens achte ich mehr darauf, wie die Kollegen es machen, merke mir ihre Kniffe“, sagt Thieß Brammer. „Außer bei einigen Abenden, dann sitzt man nur noch staunend da und fragt sich: Wie machen die das?“

Im vierten Studienjahr stellen sich die Ernst-Busch-Schauspieler dem Intendanten-Vorspiel. Viele Theater-Chefs sind eingeladen, nicht alle kommen. Darum arrangiert die Hochschule für ihre Abschluss-Jahrgänge eine kleine Tournee. Peter Carp sah Thieß Brammer in Neuss und lud ihn nach Oberhausen ein.

Unter den drei Texten, die Thieß Brammer fürs Vorsprechen auswählte, war auch seine letzte große Lieblingsrolle aus den Jugendclub-Jahren: Henrik Ibsens traumtanzender Draufgänger Peer Gynt.

Die Zuschauer könnte „ein Taxi überfahren“

Seit vier Wochen arbeitet der Neue in Oberhausen, probt für Frank Goosens „Raketenmänner“, hat eine Wohnung gefunden. Sein erster Eindruck? „Mir war Berlin manchmal zu cool. Hier sind die Leute sehr offen, steckt man nach zwei Minuten wirklich in einem Kneipengespräch.“ Er meint: in einem Gespräch, das ihn nicht auf Status und Hipness abklopft.

Für ihn sollte so auch Theater sein: nämlich mehr als Entertainment. Für das Spielzeit-Heft hatte er denn auch ein deftiges Zitat von Tennessee Williams ausgewählt: „Manchmal wünsche ich mir, dass die Zuschauer, wenn sie aus einem meiner Stücke kommen, von einem Taxi überfahren werden.“ Soll heißen: Sie sollen gebannt noch die Bühnenwelt vor Augen haben – selbst wenn’s gefährlich werden könnte.