Oberhausen. . Bei der Reittherapie werden körperliche, emotionale und soziale Kompetenzen gestärkt. Dort lernen Menschen jeden Alters von und mit dem Pferd.

Simon liegt ruhig auf dem Rücken des Pferdes. Beim Laufen wird er sanft hin und her geschaukelt. Seine Beine und Arme berühren dabei das weiße Fell des Tieres: So entspannt sieht Ralf Krawetzke sein Kind nur selten. Denn der Zehnjährige hat eine körperliche und geistige Behinderung, sitzt im Rollstuhl.

„Simon ist sonst sehr nervös. Wenn er reitet, wird er viel ruhiger und er spürt sich selbst ganz anders. Das ist echt schön zu sehen.“ Seit einigen Jahren kommt Simon zur Reittherapie ins natur- und tierpädagogische Zentrum vom Alsbachtal. Dort lernen Menschen jeden Alters mit körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen von und mit dem Pferd.

Striegeln, streicheln, füttern

Der Reitschulbetrieb ist integrativ, dort sind also auch Kinder ohne Behinderung mit dabei. Leiterin Patricia Rahardja hält das für wichtig: „Über die Tiere sind die Begegnungen zwischen den Kindern einfacher möglich. Wir haben hier ganz tolle Erfahrungen damit gemacht.“ Die 36-Jährige ist seit der Eröffnung im Revierpark Mattlerbusch vor vier Jahren mit dabei. Doch auf dem Hof geht es nicht nur um das Reiten. Striegeln, Streicheln, Füttern, Spazieren gehen – all das gehört dazu. Und dient dem Bindungsaufbau zwischen Mensch und Tier. Denn bei der Therapie sollen neben den körperlichen auch emotionale und soziale Fähigkeiten gestärkt werden. „Die Reittherapie soll den Menschen ganzheitlich ansprechen. Sie sollen hier den Körper und die Seele baumeln lassen können“, erklärt Rahardja. Dabei helfen neben den neun Therapiepferden vor allem die vier ausgebildeten Reitpädagogen.

„Wir wollen Menschen das Reiten ermöglichen, die es woanders nicht können. Besonders schwerst mehrfachbehinderte Menschen brauchen eine intensive Betreuung.“ Dabei sei es nicht unüblich, dass neben dem Teilnehmer drei Personen in der Therapiestunde dabei sind. Die Therapie selber läuft auf dem Mattlerhof nach dem Motto „Stärken stärken“. Das heißt bei dem ansetzen, was die Teilnehmer gut können. „Außerdem rückt die Therapie für die Menschen in den Hintergrund. Der Umgang mit dem Tier ist für sie viel wichtiger.“

Im Jahr 1965 gegründet

Der Verein für körper- und mehrfachbehinderte Menschen Alsbachtal e.V. ist eine in Oberhausen aktive Behinderteneinrichtung mit Sitz am Naherholungsgebiet „Alsbachtal“ im Norden Oberhausens. Der Verein ist 1965 aus einer Elternselbsthilfegruppe hervorgegangen und wird auch heute noch von ehrenamtlich tätigen Eltern geführt.

Damit auch jeder die Möglichkeit hat, zur Therapie zu kommen, ist der Hof barrierefrei gestaltet. Ob Stall, Bad oder Reithalle – alles ist mit dem Rollstuhl erreichbar. Zahlreiche Aufstiegshilfen wie Rampen oder sogar ein Hebemechanismus helfen zusätzlich beim Aufsteigen.

Pferde werden individuell ausgewählt

Riesige Hufe mit langen Haaren an den Beinen, ein dicker Bauch und volle Mähne. Mücke, ein Kaltblut, wird für die Stunde mit der vierzehnjährigen Wiebke vorbereitet. Wiebke sitzt auf einer Satteldecke und hat einen Gurt zum Festhalten. Keinen Sattel – so ist sie näher am Pferd. Trotzdem wirken Pferd und Reiter in der Halle unentspannt. Kaum draußen, ist die Laune besser. Wiebke streichelt Mücke beim Reiten sanft über den Hals. Jetzt merkt man, dass die beiden sich kennen und vertrauen. Kein Wunder – schließlich ist Mücke Wiebkes Pferd. Zumindest während der Therapie.

Rahardja sagt: „Das Pferd wird für jeden Teilnehmer nach seinem Temperament und Neigungen ausgewählt wird. Für Wiebke und Mücke ist es zum Beispiel wichtig, auszureiten, sie brauchen beide den Platz.“ Neben seinen eigenen Charakterzügen hat aber jedes der Therapiepferde ein ausgeglichenes, ruhiges Gemüt. „Die Pferde werden von uns speziell ausgesucht und ausgebildet. Sie kennen laute Geräusche und die Materialien, die wir verwenden.“ Die Basis für eine gelungene Therapie sei aber vor Allem artgerechte Haltung. Deshalb sind die Tiere tagsüber auf der Weide. Ausreiten und Longieren neben den Therapiestunden stehen auch auf dem Tagesplan. „Die Kinder sollen die Pferde als Partner und als Lebewesen kennenlernen.“

Neben den Pferden werden beim Alsbachtal auch zwei Therapiebegleithunde eingesetzt. Einer von ihnen ist bei Patricia Rahardja auf dem Mattlerhof. Dort spielt neben den Tieren aber auch die Natur eine große Rolle. „Es ist uns wichtig, dass die Kinder Dinge aus der Natur sehen, die sie heutzutage leider kaum noch mitbekommen: Wasser, Heu, Staub, Regen.“ Und deshalb schwingt man sich hier auch bei Regen in den Sattel.