Oberhausen. „Man muss sich erlauben, alles zu denken“.
„Alle meine Projekte erzählen eine Geschichte“, sagt Herlinde Koelbl beim Besuch in der Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen. „Es gibt einen Faden, alles hat einen Anfang und ein Ende.“ Kurz vor Ende ihrer Werkschau (zu sehen bis 3. Mai) plauderte die Fotografin mit Museumsdirektorin Christine Vogt über akribische Vorbereitung auf Begegnungen, den „kalten Blick“ aufs eigene Werk und warum es so wichtig ist, ohne „Schere im Kopf“ auf Menschen zuzugehen.
„Licht und Technik sind in der Fotografie wichtig“, sagt Koelbl, eine der renommiertesten deutschen Künstlerinnen auf ihrem Gebiet. „Aber wichtiger ist das Denken. Man muss sich erlauben, alles zu denken.“ Mit dieser Freiheit im Kopf könne man sich erst in sein Gegenüber einfühlen – „ohne Vorurteile!“ Diese Empathie habe Koelbl bei all ihren Projekten geholfen. Dabei, die Reichen, Schönen und Mächtigen abzulichten, für ihre „Macht“-Serie sogar über viele Jahre hinweg immer wieder, ebenso bei ganz normalen Leuten, denen die Münchenerin mit ihren „Wohnzimmer“- und „Schlafzimmer“-Serien intime, aber keineswegs voyeuristische Denkmale gesetzt hat. „Die Leute müssen merken, dass ich Interesse an der Person habe“, verrät sie den rund 100 gebannt lauschenden Besuchern in der Ludwiggalerie ihr Geheimnis.
Die Bilder sind eindringlich
Wer ihre Porträts von deutschen Juden gesehen hat, die den Holocaust überlebt haben und heute weltweit verstreut leben, bedarf dieser Erklärungen nicht. Die Bilder sind eindringlich, mit das Stärkste, was in Oberhausen gezeigt wird. Und sie zeigen Koelbs zweites Talent: Neben jedem Bild hängt, ebenfalls gerahmt und absolut gleichwertig, ein kurzes Interview oder ein Statement des Abgebildeten. Es geht um Heimat, Glaube, Tradition. Man spürt mit jedem Wort das große Vertrauen, welches die Porträtierten Herlinde Koelbl entgegengebracht haben müssen. Die Künstlerin selbst schreibt dieses besondere Einfühlungsvermögen ihrem freien Blick, aber auch der Tatsache zu, dass sie sich, anders als ein Journalist, ohne Druck und bestimmte Vorgaben ihrem Sujet nähern kann. Dies habe sie sich in all den Jahren bewahrt, nachdem sie spät zur Fotografie gekommen sei.
Ihre ersten Bilder, erzählt die Autodidaktin, habe sie von ihren spielenden Kindern gemacht, „aber nicht von oben, aus einer Erwachsenenperspektive, sondern, indem ich mich zu ihnen gesetzt habe, Teil des Spiels geworden bin“.