Oberhausen. Wohnzimmer und mehr: Die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen zeigt ab Sonntag eine großartige und bewegende Werkschau der Fotografin Herlinde Koelbl.

Es sind fast zu viele Fotos, die da in der Ludwiggalerie an den Wänden hängen, zu viele Bilder, die sich in die Seele drücken, zu viele Geschichten und Einsichten, die im Schloss Oberhausen versammelt sind und die man mit nach Hause nimmt. Aber das war zu erwarten. Schließlich handelt es sich um eine „Werkschau“ der bedeutendsten deutschen Fotografin unserer Tage. Und diese Werkschau trägt einen weit gespannten Titel: „Herlinde Koelbl: Das deutsche Wohnzimmer, Spuren der Macht, Haare und andere menschliche Dinge – Fotografien von 1980 bis heute“.

Die Macht und die Mächtigen

Alles vorhanden, von der seit Kurzem 75-jährigen Foto-Künstlerin selbst ausgewählt und vor Ort gehängt: „Das deutsche Wohnzimmer“, jene Koelbl-typische Langzeitstudie, aus der 1980 ihr erstes Fotobuch wurde, das Fotografie-Geschichte schreiben sollte und dem so viele folgten;

die Kinderporträts, in denen sie sensibel den schon (oder noch) vorhandenen Persönlichkeiten von Vier- bis Sechsjährigen nachspürte;

die zahllosen Begegnungen mit Promis von Bruno Kreisky über Senta Berger bis zum japanischen Kollegen Araki Nobuyoshi, die sie in bewusst kleinformatigen Fotos in „Petersburger Hängung“ gleichzeitig hoch, breit und tiefer hängt;

die „Haar“-Bilder, mit denen die Künstlerin, die vor ihrer Fotokarriere Modedesignerin war und vier Kinder zur Welt brachte, nicht nur zu unseren kulturellen und mythologischen Haarwurzeln vordringt, sondern beweist, dass sie außer der Seelentiefen-Reportage für Magazine von „Stern“ und „Zeit“ bis zur „New York Times“ auch die Kamera-Artistik virtuos beherrscht;

und da sind, natürlich, neben Exponaten aus ihrer „Feine Leute“- Serie die zu Recht berühmten Langzeitporträts von Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Angela Merkel, die die Erkenntnis nahelegen, dass die Macht mit den Mächtigen mehr macht als die Mächtigen mit der Macht machen.

Große Themen, wohin man blickt: Leben und Tod, Heimat und Fremde, Jugend und Alter, Oben und Unten – großartige Fotografie zwischen Schicksalsblitzlichtern und soziologischer Langzeitbelichtung.

Soviel Weisheit in den Köpfen

Herlinde Koelbl macht kein Geheimnis daraus, dass ihr selbst die Begegnungen mit den von den Nazis aus ihrem Land vertriebenen jüdischen Intellektuellen am meisten bedeuten. Denen hat sie für ihre „jüdischen Porträts“ nicht nur mit der Kamera ins Gesicht und in die Seele geschaut, sondern hat sie, wie so viele ihrer Probanden, in Interview-Konzentraten selbst Auskunft geben lassen. Dass sie in deren Köpfen so viel Weisheit und so schmerzliche Erinnerungen, aber in ihren Herzen so wenig Bitternis fand, bewegt sie bis heute.

Wer sich die Zeit nimmt, neben den Gesichtern auch die Texte zu lesen, kann auf den Gedanken kommen, dass diese erstaunliche Fotografin nur deshalb fotografiert, weil sie nicht die Zeit hat, all die gesellschaftlichen und individuellen Tragödien und Komödien aufzuschreiben. So ist es gut möglich, dass von den 212 Fotografien weniger die 100-fachen Münder im Gedächtnis bleiben, auf die man im Eingangsraum zuläuft. Hier mag sie ihre solitäre Stärke: den Menschen „ganz“ wahr- und ganz ernst zu nehmen, an den Ausschnitt verloren haben und das tief durchdachte Koelbl-Konzept zu sehr ins beliebig Serielle umgeschlagen sein. Auch die künstlerisch ambitionierten neuen Foto-Abstraktionen und sogar ihre so provokanten wie ambivalenten Aktfotografien treten gegenüber ihren Menschen-Dokumentationen in den Hintergrund.

Ich zumindest hätte lieber mehr erfahren über Yosra, ihre neun Kinder und ihren Mann, den Kraftfahrer Mofti, die sich und ihrer Liebe in ihrem orientalisch-barocken Schlafzimmer eine Heimat ausgeschmückt haben. Von Bruno Bettelheim oder von der Einsamkeit der Rentnerin Kira Swiridowa, deren russisches Schlafzimmer so leer ist wie ihr Leben. „Und andere menschliche Dinge...“