Oberhausen. Vor hundert Jahren überschritt Oberhausen mit seiner Einwohnerzahl die Schwelle zur Großstadt: Teile von Frintrop und Dellwig wurden eingemeindet.

Fragt man die Oberhausener danach, seit wann unsere Stadt Großstadt sei, bekommt man fast durchgängig zur Antwort: seit 1929, seit der Vereinigung Oberhausens, Sterkrades und Osterfelds zum heutigen Stadtgebiet. – Das ist aber falsch. Richtig ist, dass Oberhausen 1929 rasant auf 190.000 Einwohner wuchs. Richtig ist aber auch: Die Schwelle zur Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern überschritt Oberhausen exakt am 1. April 1915.

An diesem Tag wurde nämlich die Eingemeindung eher bescheidener Teile der Dörfer Frintrop und Dellwig aus der Bürgermeisterei Borbeck wirksam. Oberhausen erhielt damit knapp 6000 Einwohner hinzu und zählte nun über 103.000 Menschen – einschließlich derjenigen, die als Soldaten ortsabwesend waren und seit 1914 in Frankreich oder Polen ihr Leben riskierten.

Der Erste Weltkrieg bildete zugleich die Ursache für den späten Vollzug der Eingemeindung, denn eigentlich war alles schon im Januar 1914 klar, als die seit 1911 dauernden Verhandlungen über die Aufteilung der Bürgermeisterei Borbeck auf die Städte Essen und Oberhausen zum Abschluss kamen. – Worum ging es und warum dauerte alles so lange?

Essen strebte Kanalzugang an

1910 wurde der Rhein-Herne-Kanal gebaut. Essen, die größte Stadt an der Ruhr, strebte nach einem für die Wirtschaft wichtigen Kanalzugang. Den sollte die Eingemeindung Borbecks einbringen. Die Aufnahme von Verhandlungen zwischen Essen und Borbeck ermunterte Oberhausen, den Westen Borbecks für sich zu beanspruchen. Der heutigen Stadtgrenze zu Essen entsprach damals schon der Grundbesitz von Oberhausens beherrschendem Unternehmen, der GHH.

Die Großstadtwerdung

In einem guten halben Jahrhundert wuchs die Gemeinde Oberhausen von einer Bürgermeisterei mit 5590 Einwohnern im Jahr 1862 zur kreisfreien Großstadt mit 103.000 Einwohnern im Jahr 1915. Die Serie „100 Jahre Großstadt“ beschreibt in sieben Folgen die Großstadtwerdung Oberhausens, Ursachen und Ziele der Stadtentwicklung sowie deren Folgen.

Autor der Serie ist Stadthistoriker Dr. Magnus Dellwig, Mitarbeiter im Büro des Oberbürgermeisters. Magnus Dellwig hat zur kommunalen Wirtschaftspolitik in Oberhausen 1862 bis 1938 an der TU Berlin promoviert.

Doch die Stadt Oberhausen hatte seit 1904 in anderen Eingemeindungsfragen gelernt, dass man mit einer neuen Stadtgrenze entweder bescheiden lediglich Fakten der Besiedlung nachvollziehen würde, oder aber zukunftsorientiert Gelände für weitere Planungen zur Ansiedlung von Industrie oder Wohnen gewinnen konnte.

Oberhausen wollte die große Lösung, scheiterte aber an den Umständen. Und diese Umstände sind wieder sinnfälliger Ausdruck der begrenzten Spielräume unserer Stadt in der Städteregion Ruhrgebiet: Der Aufstieg zur mittleren Großstadt war möglich, die Ausgestaltung zum regional bedeutsamen Oberzentrum wie etwa Essen nicht!

Bürgerschaft zog es nach Essen, Unternehmer nach Oberhausen

Oberhausen beanspruchte seit 1911 über die Werkssiedlung der GHH in Dellwig und oft noch freies Gelände in Frintrop – zwischen Mellinghoferstraße und Lepkesmühlenbach – hinaus die Eingemeindung der gesamten Ortschaft Frintrop. Das bedeutete mit 870 Hektar gegenüber 310 ha mehr als doppelt so viel Land und Leute, 14.000 insgesamt, als der GHH-Grundbesitz umfasste. Die Gutehoffnungshütte forderte die Eingemeindung ihrer Grundstücke, um bei Bedarf Werkserweiterungen auf dem Stahlwerksgelände östlich der Osterfelder Straße oder weitere Wohnungsbauten nur noch in einer Gemeinde durchsetzen zu müssen.

Die Bürgerschaft Borbecks hingegen mobilisierte gegen Oberhausen und strebte an, ihre Gemeinde möglichst vollständig nach Essen zu überführen. Ihr Losspruch hieß „Up ewig ungedeelt“, in Anlehnung an Schleswig-Holsteins Wechsel zu Deutschland nach dem Krieg von 1864. Viele Händler, Handwerker und in Frintrop ansässige GHH-Arbeiter aber zog es nach Oberhausen als dem näher gelegenen Stadtzentrum.

Oberhausen scheitert an Essen 

Den Ausschlag über die neue Stadtgrenze zwischen Essen und Oberhausen gaben die Frintroper selbst mit einer Abstimmung im Februar 1912. Alle männlichen Einwohner mit Kommunalwahlrecht, also mit mehr als 900 Mark Jahresverdienst und damit Erreichen der Einkommensteuerpflicht, waren wahlberechtigt. Das beeinträchtigte die Chancen Oberhausens, weil viele junge und ledige Arbeiter, die in Oberhausener Industriebetrieben arbeiteten und in Frintrop wohnten, weniger verdienten. Von 2544 Stimmen entfielen nur 894 auf Oberhausen, jedoch 1650 auf Essen.

So klar die Entscheidung ausfiel, so respektabel war Oberhausens Stimmenanteil. Denn allein 800 Beschäftigte der Staatsbahn am Güterbahnhof Frintrop hatten ein handfestes persönliches Interesse am Votum für Essen: In der größeren Stadt wurde der höhere Ortszuschlag gezahlt! Niedrigere Grund- und Einkommenssteuern traten als Anreiz hinzu, ebenso die schnelle Straßenbahnverbindung von der Frintroper Höhe in die attraktive Essener City.

GHH-Grundbesitz

So fiel die Freude in der Oberhausener Bürgerschaft bescheiden aus, als sich die Stadtspitze gegenüber Essen und der Staatsregierung Anfang 1914 mit dem GHH-Grundbesitz als Verlauf der östlichen Stadtgrenze begnügen musste.

Im Oberhausener Stadtrat bewertete Oberbürgermeister Havenstein die Auseinandersetzung um die Teilung Borbecks nach Abschluss der Eingemeindungsverhandlungen am 28. Januar 1914 treffend und prägnant: „ … Es kommt auf den Standpunkt an, ob man in dieser Grenze etwas Erfreuliches oder Unerfreuliches sehen will; vom Standpunkt der Stadterweiterung ist sie unbedeutend, vom Standpunkt der Vergrößerung der Gutehoffnungshütte nicht unbedeutend.“

Dieses Fazit markiert den Abschluss jener Eingemeindung, die Oberhausen keinen neuen Stadtteil – Frintrop – einbrachte, aber den Status der Großstadt. Immerhin sollte dies in den harten Auseinandersetzungen von 1922 bis 1929 um die Bildung „Groß-Oberhausens“ von Vorteil sein.