Oberhausen. . Im Oberhausener Stenografenverein werden die drei Stufen der Kurzschrift gelehrt. Christoph Lottermoser will Parlamentsstenograf werden.
Mit einem „Klick“ startet die Stoppuhr. „Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren“, beginnt Almuth Kirsch. Die Rede trägt sie im Sitzen vor. Der Saal, vor dem sie spricht, ist so groß wie ein Klassenzimmer, gerade einmal drei Zuhörer hat sie, doch die sind besonders aufmerksam. Kirsch spricht von Europa und einer Stabilitätsunion.
Begleitet werden die rasch vorgetragenen Sätze von einem steten „tick tack, tick tack“. Kirschs Augen schauen abwechselnd auf Papier und Stoppuhr. Worum es in der Rede geht, ist hier eigentlich nebensächlich, denn Almuth Kirsch liest den Text nur zu Übungszwecken vor; in ihrem Stenografie-Kurs.
Drei Stufen der Stenografie
Während Kirsch bemüht ist, möglichst deutlich, fehlerfrei und in der vorgegebenen Geschwindigkeit zu lesen, schreiben ihre Teilnehmer in Seelenruhe mit. Von 250 Silben in der Minute, die beispielsweise von einem Nachrichtensprecher gesprochen werden, lassen sich die drei Stenografen nicht beeindrucken. Elfriede Gelhausen schwingt ihren gut gespitzten blauen Bleistift elegant über das Papier. Die Seniorin beherrscht die dritte Stufe des Stenoschreibens, die Redeschrift, aus dem Effeff. Auch Christel Giesing gerät nur in Eile, wenn sie die Seite umschlagen muss, um den Text auf einem leeren Stück Papier fortzuführen. Die Schnörkel, Punkte und Kurven bereiten ihr keine Probleme.
„Nächster Text: Meisterklasse“, verkündet Kirsch bevor sie wieder zur Stoppuhr greift. Alfred Bomanns nickt konzentriert. Er weiß, dass er die zehn Minuten wahrscheinlich nicht durchhalten wird, denn bei Texten dieser Klasse beschleunigt die Vorleserin auf bis zu 475 Silben in der Minute. „Wenn man einmal raus ist, braucht man nicht wieder einsteigen“, sagt er.
Warum sie dieses außergewöhnliche Hobby betreiben, da sind sich die drei einig: Weil es eine ganz besondere Faszination ausübt, genau so schnell schreiben zu können, wie andere sprechen. „Wir tauschen uns auch aus, ob es beispielsweise Kürzel für Worte oder Wortgruppen gibt, die wir noch nicht kennen“, erklärt Giesing, die wie Gelhausen und Kirsch schon an Steno-Weltmeisterschaften teilgenommen hat.
Deutsche Meisterschaften zum 100-Jährigen
Der Oberhausener Stenografenverein wurde 1891 gegründet und hat derzeit 60 Mitglieder. Die Kurse finden in den Räumlichkeiten des Weiterbildungsinstituts, Marktstraße 35, statt. 1991 richteten die Oberhausener die Deutschen Stenografie-Meisterschaften aus.
Um drei Seiten stenografierten Text (rund zehnminütige Rede) in Langschrift zu übertragen, brauchen Spezialisten etwa vier Stunden.
Einer, der noch ganz am Anfang seiner Kurzschrift-Karriere steht, ist Christoph Lottermoser. Der 31-Jährige Jura-Absolvent hat einen außergewöhnlichen Berufswunsch: Parlamentsstenograf. Von denen gibt es in ganz Deutschland nur rund 160. „Ich habe eine Führung durch den Bundestag mitgemacht und war sofort begeistert“, erzählt er. Seit 2011 lernt der Essener im Oberhausener Stenografieverein die Kurzschrift und ist mittlerweile bei Stufe zwei, der Eilschrift angekommen. „Es gibt drei Stufen, die Verkehrsschrift, die Eilschrift und die Redeschrift“, erklärt Peter Urselmann, Geschäftsführer des Weiterbildungsinstituts (WBI). Dass das Erlernen von Stenografie nicht an einem Wochenende zu schaffen ist, musste Lottermoser schnell feststellen: „Am Anfang habe ich mich wie in der Grundschule mit meiner Fibel gefühlt. Man muss die Zeichen wie Vokabeln lernen.“
Fleiß und Disziplin
Um so schnell und gut stenografieren zu können wie Gelhausen und Giesing, benötigt es „viel Fleiß und Disziplin“, weiß Almuth Kirsch. Das könnte ein Grund dafür sein, dass sich in den vergangenen Jahren die Reihen in den Stenokurse deutlich gelichtet haben. „Aber“, sagt Kirsch „Steno ist wieder im Kommen. Ich bin ganz verblüfft. Viele Unternehmen schicken neuerdings ihre Mitarbeiter zu uns in die Stenokurse, damit sie exakte Protokolle schreiben können.“